Multiple Sklerose

Ocrelizumab: Therapie auch ohne Zulassung

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Berlin -

Die in Schüben auftretende Multiple Sklerose (MS) kann mit verschiedenen Medikamenten behandelt werden. Für die schleichenden Formen – Primär Progrediente MS (PPMS) und Sekundär Progrediente MS (SPMS) – gibt es bislang keine Therapie. Mit Ocrevus (Ocrelizumab, Roche) steht nun ein Wirkstoff zur Behandlung der PPMS kurz vor der Zulassung.

Ocrelizumab ist ein humanisierter monoklonaler Antikörper, der sich von dem bekannten Krebs- und Rheumamittel Rituximab ableitet. Der Wirkstoff richtet sich selektiv gegen CD20-positive B-Lymphozyten. Diese speziellen Immunzellen sind vermutlich für die Schädigung der die Nervenfasern schützenden Myelinscheiden und der Axone verantwortlich. In der Folge können Behinderungen entstehen.

Ocrevus könnte diese Neurodegenerationen ausbremsen. Der Arzneistoff bindet spezifisch an CD20-positive B-Zellen und interagiert nicht mit Zellen des Immunsystems. Neue B-Zellen werden weiterhin gebildet und das Gedächtnis des Immunsystems wird nicht beeinträchtigt. Entzündungen werden dagegen unterdrückt, Schübe vermindert und die fortschreitende Behinderung verlangsamt.

Das Medikament könnte nach Zulassung alle sechs Monate zu 600 mg als Infusion verabreicht werden. Die Wirksamkeit wurde in den Opera- und Oratorio-Studien belegt, die im „New England Journal of Medicine“ (NEJM) veröffentlicht wurden. Die Oratorio-Studie schließt Daten von etwa 700 Patienten ein.

In einem Zeitraum von 120 Wochen wurde den Teilnehmern alle 24 Wochen Ocrelizumab oder Placebo verabreicht. Die Behinderungsprogression lag in der Kontrollgruppe bei etwa 40 Prozent, in der Verumgruppe bei etwa 30 Prozent. Sechs von 100 Patienten profitierten unter der Therapie mit dem neuen Medikament im Bezug auf die Neurodegeneration. Im 20-Meter-Gehtest fiel in der Kontrollgruppe eine Verschlechterung von etwa 55 Prozent auf, in der Verum-Gruppe um etwa 40 Prozent.

Das nicht alle PPMS-Patienten von der Medikation profitieren, kann auf verschiedene Subgruppen zurückgeführt werden. „Besonders Patienten mit kurzer Erkrankungszeit und rascher klinischer Verschlechterung oder hoher kernspintomographischer Erkrankungsaktivität scheinen von diesem Medikament zu profitieren und zeigen ein verlangsamtes Voranschreiten der Erkrankung. Der generelle Einsatz bei allen Patienten mit PPMS ohne Berücksichtigung der Erkrankungsaktivität kann auf Basis der verfügbaren Daten nicht empfohlen werden“, so die Deutsche Multiple Sklerose Gesellschaft (DMSG) in einer Stellungnahme.

Roche hat eine Zulassung sowohl für die schubförmige-remittierende MS (RRMS) als auch für die PPMS beantragt. Die US-Arzneimittelbehörde FDA hatte für Ocrevus ein beschleunigtes Zulassungsverfahren vorgesehen. Der Prüfungszeitraum wurde jedoch um drei Monate verlängert. Ein Ergebnis wird jetzt für Ende März erwartet.

Die Verlängerung stehe nicht im Zusammenhang mit der Wirksamkeit oder Sicherheit des Medikamentes, so Roche. Als Grund nennt der Hersteller das Nachreichen von der FDA geforderter zusätzlicher Daten zum kommerziellen Herstellungsprozess.

Erhält Ocrelizumab die FDA-Zulassung, könnte das Präparat Ende März den Patienten in den USA zur Verfügung stehen. Die Zulassung durch die EMA wird für den Spätsommer erwartet. Im Rahmen eines Compassionate-Use-Programmes steht Ocrelizumab jedoch den Patienten bereits zur Verfügung. Laut Gesetz können Arzneimittel, die in Deutschland keine Zulassung besitzen, im Rahmen des Härtefallprogrammes einer bestimmten Patientengruppe zur Verfügung gestellt werden. Voraussetzung ist, dass bereits ein Zulassungsantrag bei den entsprechenden Behörden vorliegt oder Wirksamkeit und Sicherheit des Arzneimittels bereits in klinischen Studien belegt sind.

Ein Härtefall liegt zum Beispiel vor, wenn Patienten an einer Erkrankung leiden, die zu einer Behinderung oder gar zum Tod führen kann, wenn sie nicht mit einem auf dem Markt befindlichen Medikament ausreichend behandelt werden kann. Ärzte können im Rahmen des Härtefallprogrammes seit Februar für die PPMS-Patienten einen Antrag stellen. „Für Patienten ist das Härtefallprogramm kostenlos, die Entscheidung über die Teilnahme ist eine Einzelfall-Entscheidung in Abstimmung mit Roche und in Abhängigkeit von den lokalen Regularien und Gesetzen“, so eine Sprecherin des Pharmakonzerns.

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