Schützende Wirkung?

Nikotin und Covid-19

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Berlin -

Auf Hypothese folgt Rationierung: Kürzlich veröffentlichte Studien-Preprints haben in Frankreich für einen gestiegenen Abverkauf von Nikotinersatzpräparaten gesorgt. Grund ist die Hypothese, dass Nikotin eine schützende Wirkung vor einer Covid-19-Infektion haben könne. Die französische Arzneimittelbehörde ANSM hat daraufhin für Apotheken die Abgabe von Nikotinersatzpräparaten eingeschränkt.

In Frankreich sollen Nikotinpflaster & Co. nur noch an diejenigen abgegeben werden, die diese im Rahmen der Raucherentwöhnung anwenden. Die ANSM erinnert die Pharmazeuten daran, dass Nikotinersatzpräparate nur zur Behandlung der Tabakabhängigkeit eingesetzt werden sollten und insbesondere bei Nichtrauchern kontraindiziert seien. Wie alle Medikamente, hätten auch Nikotinpflaster, -lutschtabletten und -kaugummis Nebenwirkungen, die bei Nichtrauchern schwerwiegender ausfallen könnten.

„Nikotinersatzpräparate sollten nicht zur Vorbeugung oder Behandlung einer Coronavirusinfektion eingenommen werden“, stellt die Behörde klar. „Kürzlich veröffentlichte Daten zeigen einen geringen Anteil an Rauchern bei Patienten, die an Covid-19 leiden. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt lässt diese Beobachtung nicht den Schluss zu, dass Nikotin eine schützende Wirkung gegen Covid-19 hat. Um diese Hypothese zu überprüfen, müssen klinische Studien durchgeführt werden.“

Maximal Monatsbedarf, kein Onlinehandel

Als Vorsichtsmaßnahme werde daher die Abgabe vorübergehend eingeschränkt. Apotheker sollen nur noch den einmonatigen Bedarf abgeben. Außerdem muss die Anzahl der abgegebenen Packungen dokumentiert werden – unabhängig davon, ob der Patient eine ärztliche Verschreibung vorgelegt hat oder nicht. Der Onlinehandel mit Nikotinersatzpräparaten wurde vorübergehend ausgesetzt.

Nikotin als Schutz vor Covid-19?

Ein Forscherteam um Zahir Amoura und Makoto Miyara vom Hôpitaux de Paris stellt die Hypothese auf, dass der nikotinische Acetylcholinrezeptor (nAChR) eine Schlüsselrolle in der Pathophysiologie der Covid-19-Infektion spielt und ein Ziel für die Prävention und Kontrolle der Erkrankung darstellen könnte.

Es werde angenommen, dass das Angiotensin-Converting-Enzym 2 (ACE2) das Hauptrezeptormolekül für SARS-CoV-2 ist. ACE2 werde in der Lunge, im Herzen, dem Dünn- und Dickdarm sowie im Gehirn exprimiert. Die Beziehung zwischen Nikotin und ACE2 wurde im Rahmen von Herz-Kreislauf- und Lungenerkrankungen untersucht.

nAChRs sind wiederum im Lungenepithel vorhanden und könnten mögliche Ziele einer Covid-19-Infektion der Lunge sein. Darüber hinaus seien nAChR an der Regulierung der Lungenperfusion beteiligt, die beim atypischen akuten Atemnotsyndrom, das bei Covid-19-Patienten berichtet wurde, gestört zu sein scheine.

„Unsere nikotinische Hypothese geht davon aus, dass das Virus über Neuronen des Geruchssystems und/oder über die Lunge in den Körper eindringen könnte, was zu unterschiedlichen klinischen Merkmalen mit unterschiedlichem Ergebnis führen könnte. Unsere Hypothese steht im Gegensatz zur gegenwärtigen Annahme, dass ACE2 der Hauptrezeptor von SARS-CoV-2 für seinen Eintritt in Zellen ist“, schreiben die Forscher.

Es werde angenommen, dass der nAChR-Signalweg am entzündlichen Covid-19-Syndrom beteiligt sei. Das Nervensystem könne über den Nervus vagus die Freisetzung von Makrophagen-TNF signifikant und schnell hemmen und so systemische Entzündungsreaktionen abschwächen. Dieser physiologische Mechanismus habe große Auswirkungen auf die Immunologie und die Therapie. Nikotin könne bei der Kontrolle des Covid-19-Zytokin-Sturms eine Rolle spielen und möglicherweise die blockierende Wirkung von SARS-CoV-2 auf den AChR besitzen.

„Es wurde ein potenzieller protektiver Effekt des Rauchens und von Nikotin auf die SARS-CoV-2-Infektion festgestellt“, schreiben die Forscher, die annehmen, dass das neuartige Coronavirus selbst ein nikotinischer Wirkstoff sei. „Diese Beobachtung unterstützt die Hypothese, dass das SARS-CoV-2-Virus selbst ein nAChR-Blocker ist.“

Rauchen und die Anfälligkeit für Covid-19

Eine französische Studie, an der auch Miyara beteiligt war, untersuchte den Zusammenhang zwischen dem täglichen Rauchen und der Anfälligkeit für eine SARS-CoV-2-Infektion. Zu den Teilnehmern zählten 343 stationär aufgenommene Patienten – Durchschnittsalter 65 Jahre, 206 Männer und 137 Frauen – etwa 4 Prozent davon waren tägliche Raucher. Zur zweiten Gruppe zählten 139 ambulante Patienten – Durchschnittsalter 44 Jahre, 62 Männer, 77 Frauen – etwa 5 Prozent rauchen täglich.

Die Rate derer, die täglich rauchen, war bei den ambulanten und stationären Covid-19-Patienten signifikant niedriger (80,3 Prozent beziehungsweise 75,4 Prozent) als in der französischen Allgemeinbevölkerung.

Fazit: „Unsere Querschnittsstudie sowohl bei ambulanten als auch bei stationären Covid-19-Patienten deutet stark darauf hin, dass tägliche Raucher im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung eine sehr viel geringere Wahrscheinlichkeit haben, eine symptomatische oder schwere SARS-CoV-2-Infektion zu entwickeln.“

Der Beitrag erschien im Original bei PTA IN LOVE. Jetzt Newsletter abonnieren!

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