Die erste lange Nacht des Impfens liegt hinter Cathrin Vietmeier. Die Apothekerin ist seit einem Jahr in der Medicum Apotheke Lemgo tätig und dort für das Thema verantwortlich. Die 42-Jährige verfügt über Erfahrung. Sie war bis 2020 zehn Jahre in den USA und bei der Apothekenkette CVS Pharmacy beschäftigt und impfte dort im Wartebereich gegen fast alles. In Deutschland vermisst sie digitale Abläufe und bemängelt die zeitraubende Bürokratie.
In der Nähe von Phoenix in Arizona sammelte Vietmeier ihre ersten Erfahrungen als Apothekerin. Nach einem Praktikum in einer inhabergeführten Apotheke wechselte sie an einen Standort von CVS. Da ihr Mann US-Amerikaner ist, war sie an die Kultur bereits gewöhnt. „Der sprachliche Einstieg war deshalb einfach und sonst war es viel ‚learning bei doing‘“, sagt sie. Die meisten Wirkstoffe seien dieselben.
Ungewohnt sei dagegen der Umgang mit Impfungen gewesen. Denn bereits damals war es in den USA normal, dass Kundinnen und Kunden kurzentschlossen ohne Termin in die Apotheke kommen, um sich impfen zu lassen. „Es gehört dort einfach dazu, ich wurde ins kalte Wasser geworfen.“ Ein extra Raum für die Durchführung wurde – anders als hier in Deutschland – nicht benötigt: „Man impft im Warteraum. In Arizona ist es warm und die meisten haben kurze Ärmel an, das ist praktisch.“
Generell seien die Kundinnen und Kunden ohne Termin gekommen, um sich ihre Impfung abzuholen. „Ich habe fast alles geimpft. Die Liste von dem, was nicht erlaubt war, ist viel kürzer als andersherum.“ Hauptsächlich waren es Influenza- und Pneumokokken-Impfungen. Auf der roten Liste standen dagegen Gelbfieber, Japanische Enzephalitis, Tollwut und Cholera. „Ansonsten ging alles.“ Erlaubt seien Impfungen von Patientinnen und Patienten ab drei Jahren gewesen. Auch Schulklassen seien vorbeigekommen, was im Warteraum jedoch nicht besonders praktisch gewesen sei.
Insgesamt war Vietmeier zehn Jahre in den USA und in 25 verschiedenen CVS-Standorten tätig. Der Vorteil der Kette sei gewesen, dass sie sich je nach ihrer präferierten Arbeitsstundenzahl einen neuen Arbeitsplatz in ihrem Bezirk aussuchen konnte. „Dadurch lernt man viele Leute kennen.“ Auch wenn die Abläufe landesweit streng getaktet und überall gleich seien, lerne man dadurch viel dazu. „Bis 11 Uhr mussten zum Beispiel alle Ärzte zurückgerufen werden.“
Die Arbeit bei einer Apothekenkette sei anders als in einer inhabergeführten Apotheke. „Es ist Business, man muss Zahlen abliefern und es muss wachsen.“ Auch wegen dieses Drucks strebte Vietmeier in den USA nie nach einer Leitungsstelle. Es handele sich um eine Kulturfrage. „Zeit ist Geld, die Maschine muss am Laufen gehalten werden.“
Deutlich fortschrittlicher seien die USA was die Digitalisierung von Abläufen angeht, sagt sie. Nicht nur die einzelnen CVS-Standorte seien vernetzt und es sei kein Problem, Kundschaft aus New York in Arizona zu bedienen, da man Zugriff auf die individuelle Akte habe. Digitale Prozesse, die die Arbeit erleichterten, vermisse sie – besonders beim Impfen. Auch wenn es für deutsche Apotheken immer mehr digitale Lösungen für die Abläufe gebe, bedeute eine Impfung immer noch viel Bürokratie und Papierkram – die Meldung beim Robert Koch-Institut (RKI) etwa oder die Dokumentation des Datenschutzes.
Auch mit den Kassen werde in den USA direkt digital kommuniziert. „Die Abläufe sind super geregelt. Ich konnte in Echtzeit anfragen, ob ein Arzneimittel übernommen wird.“ Dadurch gebe es das Ausmaß an Retaxierungen wie in Deutschland nicht.
In der langen Nacht des Impfens stemmte sie in Lemgo rund 140 Impfungen und ist zufrieden damit. Rückblickend ist sie aus mehreren Gründen froh, wieder in Deutschland zu sein – allein schon wegen der Coronazeit. Denn dann hätten ihr in den USA Impfmarathons bevorgestanden. „Diese bis zu 14 Stunden langen Schichten mit Maske und Durchimpfen habe ich nicht vermisst.“