Inhaberin wird Ernährungscoach

„Ich muss Müll verkaufen, um über die Runden zu kommen“

, Uhr
Berlin -

Nach zwei Jahrzehnten ist Schluss: An Karfreitag schließt die Löwen-Apotheke in Worms endgültig. Für Inhaberin Eva Gröne ist es eine Entscheidung aus wirtschaftlicher Not – aber auch aus Überzeugung: Der Umsatz reiche nicht mehr, und vieles an ihrer Arbeit könne sie nicht mehr mit ihrem Gewissen vereinbaren, erzählt die 49-Jährige.

Dass sie ihre Löwen-Apotheke schließt, beschreibt Gröne als Ergebnis eines „bunten Mosaiks“ an Gründen. Momentan hat die Apothekerin noch zwei Mitarbeiterinnen, die ihr in den letzten Tagen zur Seite stehen – eine PTA und eine Fahrerin. Zuvor hatte Gröne konstant sechs Mitarbeiter:innen beschäftigt. Der Umsatz der Apotheke liege mittlerweile unter zwei Millionen Euro im Jahr – „und es ist kein leicht verdientes Geld“, so Gröne.

Die politische Wertschätzung sei „unterirdisch“, ebenso die Bezahlung der Mitarbeiter:innen. Doch um deren Gehälter angemessen aufzustocken, habe sie nicht genug Mittel. Zudem sei die Miete mittlerweile sehr hoch, obwohl die Räume stark in die Jahre gekommen seien. Alle Betriebskosten seien gestiegen, berichtet sie. Hinzu komme, dass eine große Menge ihres Kapitals gebunden sei – etwa durch Arzneimittelanschaffungen. Außerdem habe sie langfristige Vertragslaufzeiten von ein bis sieben Jahren. „Ich trage das Risiko teurer Arzneimittel selbst und verdiene fast nichts daran.“

Probleme mit der „Marktwirtschaft“

Doch die wirtschaftliche Situation ist nicht der einzige Grund für die Schließung: „Ich muss Müll verkaufen, um über die Runden zu kommen“, erklärt sie. Statt dass Lebensstil, gesunde Ernährung und Beratung im Vordergrund stehen, werde viel zu schnell zu Arzneimitteln gegriffen: „Pillen und Abnehmspritzen für Diabetiker – das kann ich mit meinem Gewissen nicht vereinbaren“, so die Apothekerin. Doch wenn eine Patientin oder ein Patient mit einem Rezept komme, müsse sie es natürlich beliefern. „Der Preis, den ich zahle, um meinen Beruf auszuüben, den ich liebe, steht in keiner Relation zu dem, was ich bekomme“, kritisiert sie.

Auch den wachsenden Einfluss der Versender sieht Gröne kritisch. Besonders ärgert sie, dass „die gleichen Leute, die im Internet bestellen, mich dann im Notdienst aus dem Bett klingeln – für Nasenspray.“

Dabei könnten Apotheken das Gesundheitssystem erheblich entlasten. „Die Apotheke vor Ort hat einen unschätzbaren Wert“, sagt Gröne. Zum Beispiel als Steuerungselement: „Wenn ich meinen Kunden, die ich bereits seit Jahren kenne, empfehle: ‚Damit musst du jetzt zum Arzt gehen‘, dann machen die das“, so Gröne. Mehr als einmal sei ihr gesagt worden, sie hätte jemandem das Leben gerettet. Wenn Apotheker:innen ihre Kompetenzen umfänglich nutzen dürften, könnten sie zum Beispiel Ärzt:innen enorm entlasten. Der Nutzen sei in der Politik aber bisher nicht angekommen, kritisiert sie.

Einen weiteren Aspekt, den Gröne an ihrer Arbeit nicht vermissen wird, sind die Krankenkassen. „Ich wünsche mir, nie wieder mit den Kassen zusammenarbeiten zu müssen, weil mir immer Betrugsabsichten unterstellt werden“, sagt Gröne. Schließlich würde auch kein Handwerker für einen Kunden arbeiten, bei dem er weiß, dass alles versucht wird, um nicht zu zahlen. „Und ich bin von diesem ‚Dienstherrn‘ abhängig. Das ist, was mir überhaupt keinen Spaß macht. Ich muss alles dokumentieren – wenn ich eine pDL zur Inhalationstechnik mache, muss ich fünf Unterschriften einholen. Muss der Patient beim Arzt unterschreiben, dass er beraten wurde? Nein – aber der Apotheker muss es, denn er ‚bescheißt‘ ja bestimmt.“

Gesunde Ernährung – ohne Arzneimittel

„Für mich ist der Zug abgefahren“, sagt Gröne. Die Internet-Apotheken und die falschen Ansatzpunkte in der Verschreibung von Medikamenten würden bleiben. Aber wenn sich in Richtung Entlohnung etwas tun würde, wäre das immerhin ein Schritt in die richtige Richtung. Sie wünscht sich eine Entlohnung für die beste, kompetenteste Beratung. Apotheken müssten finanziell unabhängig sein, um sich leisten zu können, von Produkten abzuraten, die zwar mehr Geld einbringen, aber nicht sinnvoll seien.

Doch Gröne wird nicht aus der Selbstständigkeit verschwinden. Sie hat sich entschieden, als Ernährungscoach weiterzuarbeiten – ohne Arzneimittel. In diesem neuen beruflichen Kapitel setzt sie ihren Fokus auf gesunde Ernährung und ein starkes Bewusstsein für den eigenen Körper. Gröne ist überzeugt, dass der wahre Weg zur Gesundheit nicht in der Pharmaindustrie, sondern in einer bewussten Ernährung liegt. „Du bist, was du isst“, erklärt sie – und das sei heute wichtiger denn je. Ihr Ziel ist es, Menschen nun als Ernährungscoach zu helfen, ein gesundes Verhältnis zu ihrer Ernährung zu entwickeln und auf verpackte, ungesunde Produkte zu verzichten. „Ich wünschte, mehr Menschen würden aufhören, allein von Ärzten und Medikamenten Erlösung zu erwarten, ohne selbst etwas zu tun. Denn die Verantwortung für unser Leben kann uns niemand abnehmen.“

Guter Journalismus ist unbezahlbar.
Jetzt bei APOTHEKE ADHOC plus anmelden, für 0 Euro.
Melden Sie sich kostenfrei an und
lesen Sie weiter.
Bitte geben Sie eine gültige E-Mail-Adresse ein.
Newsletter
Das Wichtigste des Tages direkt in Ihr Postfach. Kostenlos!

Hinweis zum Newsletter & Datenschutz

Lesen Sie auch