Zyto-Skandal

Zwei PTA-Komplizen des Pfusch-Apothekers?

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Berlin -

In einem der größten Medizinskandale Deutschlands beginnt am Montag der Prozess. Der Bottroper Apotheker Peter S. muss sich ab Montag vor dem Landgericht Essen verantworten, weil er zwischen 2012 und seiner Festnahme im vergangenen November mehr als 60.000 Zyto-Rezepturen gestreckt haben soll. Laut Bericht des Recherchenetzwerks Correctiv stieß die Staatsanwaltschaft auf eine „Mauer des Schweigens“, die Mitarbeiter der Alten Apotheke verweigern reihenweise die Aussage. Gegen zwei PTA wird demnach ermittelt.

Als die Ermittler im November 2016 die Apotheke durchsuchten, beschlagnahmten sie 117 in der Apotheke hergestellte Infusionen. Laut Analysen des Landeszentrums Gesundheit NRW beziehungsweise des Paul-Ehrlich-Instituts seien 66 Zubereitungen fehlerhaft gewesen, so Correctiv. Von den 29 Antikörpertherapien sei nur eine in Ordnung gewesen.

Auf den beschlagnahmten Herstellungsprotokollen fanden die Ermittler nicht nur die Unterschrift des Apothekers. Für 21 der fehlerhaften Proben unterzeichnete laut Correctiv die PTA S., für zwei weitere ihre Kollegin G. Die genaue Rolle der beiden Mitarbeiterinnen ist noch nicht klar. In einem Schreiben behaupteten die Angestellten dem Bericht zufolge, nichts von den Panscherein gewusst zu haben.

Im Juli hatte die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen auf die beiden Angestellten ausgeweitet. Zum aktuellen Stand will eine Sprecherin nichts verraten, bisher habe sich der Tatverdacht aber nicht erhärtet. Ansonsten hat laut Correctiv bis auf die beiden Whistleblower Martin Porwoll und Marie Klein nur eine einzige Mitarbeiterin der Apotheke ausgesagt. Die übrigen beriefen sich auf ihr Auskunfts- und Zeugnisverweigerungsrecht, um sich nicht selbst zu belasten. Laut einem früheren Bericht hatte eine Kanzlei im Auftrag von 18 Mitarbeitern versucht, Porwoll die Aussage verbieten lassen, dass die Panschereien von Peter S. ein offenes Geheimnis in der Apotheke gewesen seien.

Ein Grund für das „Schweigekartell“, wie „Die Zeit“ formuliert: S. zahlte vielen seiner mehr als 80 Angestellten über Tarif, 20 Prozent seien üblich gewesen. Eine Mitarbeiterin soll unter der Hand ein zusätzliches Nettogehalt erhalten haben, zusätzlich zu den 16 regulären Gehältern. Ihr Mann spricht von Blutgeld, denn seine Frau hat ihm angeblich von den Missständen in der Apotheke erzählt.

Als er wegen eines anderen Delikts im Gefängnis sitzt, zeigt er S. 2013 wegen Steuerhinterziehung an. Die Ermittler haken nach, fragen die Frau. Sie widerspricht. Auch S. lässt seine Anwälte übermitteln, wie ungeheuerlich er die Anschuldigungen findet. Im Oktober 2014 werden die Ermittlungen eingestellt.

Auch die Zurückhaltung der Ärzte, nachdem der Fall nun doch aufgeflogen ist, erklären die Reporter mit der Großzügigkeit des Apothekers: Einen Bekannten habe er losgeschickt, um die neusten iPhones zu kaufen, eine ganze Tüte voll, Bezahlung in bar. Anschließend habe er die Handys an die Mitarbeiter der Arztpraxen in der Umgebung verschenkt. Einem Mediziner habe er eine Großkatze aus schwarzem Stein vor die Tür gestellt, 300 Kilogramm schwer.

„Vielleicht hat es mit solchen Gefälligkeiten zu tun – jedenfalls ziehen sich die Ärzte, die bei Peter S. Krebsmedikamente bestellten, auf die Behauptung zurück, sie hätten bei ihren Patienten keine Verschlechterung des Gesundheitszustandes feststellen können“, schreiben die Zeit-Autoren. Der Hauptabnehmer der Alten Apotheke, eine Praxis in Bottrop, direkt gegenüber gelegen, habe angeblich sogar die Patientenakten ausgewertet. „Ergebnis: Die Infusionen von Peter S. hätten ein überdurchschnittlich gutes Behandlungsergebnis erzielt.“ 37 Praxen in fünf Bundesländern soll er beliefert haben.

Indizien, die Qualität der Sterillösungen zu hinterfragen, habe es genügend gegeben. In den Beiträgen in „Zeit“ und „Stern“ erzählen Betroffene und Hinterbliebene ihre bedrückenden Geschichten. Wie sie erleichtert waren, dass die Chemotherapie ohne die schlimmen Nebenwirkungen ablief. Wie sich ihr Zustand verschlechtert habe. Wie ihre Angehörigen gestorben seien. Und wie verzweifelt sie waren, als sie aus der Presse erfuhren, dass sie monatelang nur mit Kochsalzlösung behandelt worden seien.

Einer Patientin, selbst Ärztin, soll S. laut Zeit-Bericht seine private Handynummer gegeben haben: „Sie können mich jederzeit anrufen, ich bin immer für Sie da.“ Auch sie unterzieht sich mehreren Behandlungen, die Tumormarker steigen. Zu ihren Freundinnen sagt sie: „Ich glaube, ich krieg da nur Wasser! Ich merke nichts, keine Nebenwirkungen, und das Blutbild ändert sich nicht.“ Sie gibt die Hoffnung auf, doch für sie kommen die Ermittlungen noch rechtzeitig. Sie ist eine der 27 Nebenkläger und sagt: „Nach meinem Verständnis ist das versuchter Mord.“

Noch einmal droht S. aufzufliegen. Eine Schwester einer gynäkologischen Ambulanz beschwert sich, dass die Xgeva-Spritzen schon aufgezogen sind, wenn sie angeliefert werden. Nur so kann er das Medikament strecken, weil es anders als Chemo- oder Antikörpertherapien unverdünnt verabreicht werden soll. Als die Schwester nachfragt, versichert man ihr, dass alles seine Richtigkeit hat. „Sie haben mir gesagt, dass es anders illegal wäre. Sie müssten die Spritzen vorher aufziehen“, wird sie zitiert.

Ein Dutzend Mitarbeiter soll zeitweise im Zytolabor gearbeitet haben, das in Kellerräumen gegenüber der Apotheke untergebracht war. Gemerkt haben will niemand etwas. Nur Klein, die PTA, die einen gepanschten Beutel abfing und damit den entscheidenden Beweis für die Festnahme lieferte, erinnert sich: Wie S. die Hygieneregeln missachtete und ständig in Jeans, Sakko und Straßenschuhen im Labor stand. Wie er mit den Wirkstoffen hantierte, als streue er Mehl in eine Schüssel. Wie er freitags schon Krebstherapien für die darauffolgende Woche anmischt. Wie er Haltbarkeitsdaten und Lagerungshinweise ignoriert. Wie er retournierte Infusionsbeutel umetikettiert.

Als die Razzia am 29. November 2016 beginnt, ist S. noch nicht da. Ein Mitarbeiter öffnet den Beamten das elektronische Sicherheitsschloss zum Laborkeller. Die Ermittler, so schreibt die „Zeit“, stoßen auf reines Chaos: Transportwannen stehen im Vorraum des Büros, darin Blätterberge aus Herstellungsprotokollen. Auf einer Arbeitsplatte im Labor finden die Polizisten Plastikkoffer mit Krebsmedikamenten, die eigentlich gekühlt werden müssen. Keines der Präparate ist ordnungsgemäß beschriftet. Viele sind, wie sich später herausstellt, gepanscht.

Als S. in seinem BMW vorfährt, reagiert er gelassen. Er händigt den Ermittlern den Zugangscode zu seiner Privatvilla aus und kontaktiert seine Anwälte. Bis heute schweigt er. In der kommenden Woche wird er im Gerichtssaal zum ersten Mal seinen Opfern oder deren Angehörigen gegenüber stehen.

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