Chronische Erkrankungen

Kita verweigert Notfallmedikation

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Berlin -

Im sachsen-anhaltischen Landsberg haben Eltern eine Kita verklagt. Die Einrichtung weigert sich, der fünfjährigen Tochter, die unter einer Hülsenfrüchte-Allergie leidet, Notfallmedikamente zu geben. Auf Geheiß der Stadtverwaltung wollen auch andere Einrichtungen keine Medikamente mehr verabreichen. Die Kleinstadt ist keine Ausnahme. Denn vielerorts bestehen Unsicherheiten, was in solchen Fällen erlaubt ist und was nicht.

Eine Zecke ziehen, einen Insektenstich mit einer Salbe behandeln, Nasentropfen vor dem Mittagsschlaf oder ein Desinfektionsspray auf eine kleine Verletzung geben, Globuli oder ein Arzneimittel verabreichen – das müsste doch drin sein, denken die meisten Eltern. Auch Allergien, wie etwa bei einer Erdnuss- oder Hühnereiweiß-Allergie, erfordern in vielen Fällen eine schnelle Reaktion, zumeist in Form von Notfallmedikamenten. Doch einige Krippen und Kindergärten weigern sich aus Angst, bei einem Fehler in Haftung genommen zu werden.

Jüngstes Beispiel: In Landsberg bei Halle wies die Stadt als Träger von mehreren Kitas vor wenigen Wochen die Erzieherinnen an, in Zukunft keine Medikamente mehr zu verabreichen, auch nicht in einer Notsituation. Wie die Mitteldeutsche Zeitung berichtet, hat Nicole Nagorny, deren fünfjährige Tochter an einer Hülsenfrucht-Allergie leidet und eine städtische Einrichtung besucht, das Notfallmedikamentenset zusammen mit einem Schreiben der Stadtverwaltung zurückbekommen.

Gemäß einer neuen Satzung würden Arzneimittel ab sofort nicht mehr verabreicht, zitiert die Zeitung aus dem Schreiben. Schließlich seien Erzieher pädagogische und keine medizinischen Fachkräfte. Eine Anwältin habe der Verwaltung mitgeteilt, dass auch im Notfall nur das geleistet werden müsse, was in einer normalen Ersthelferausbildung gelehrt werde. Eine Gabe von Medikamenten gehört nicht dazu. „Sollte ein Erzieher trotz unseres Hinweises im Notfall ein Notfallmedikament geben und dabei ein Fehler passieren, haftet dieser privatrechtlich“, so die Stadtverwaltung.

Doch stimmt das wirklich? Eine bundeseinheitliche Regelung gibt es nicht. Oft lassen die Landesgesetze den Trägern einen Ermessensspielraum. Dazu zwingen, Arzneien zu geben oder Zecken zu ziehen, kann die Erzieher keiner. Im Umkehrschluss heißt das aber nicht, dass sie das nicht dürften. Nach Auffassung des Spitzenverbandes der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV), der die Unfallkassen auf Bundesebene vertritt, die ihrerseits in den Ländern die meisten Tageseinrichtungen versichern, wäre eine Medikamentengabe in Kitas durchaus vom Versicherungsschutz abgedeckt. Damit Missverständnisse vermieden werden und eine klare Handlungsgrundlage für die Kindertageseinrichtung und die pädagogischen Fachkräfte vorliegt, sei es allerdings ratsam, die Art und Weise der Medikamentengabe schriftlich zu vereinbaren.

Selbst wenn ein Erzieher dann das falsche Medikament geben oder das richtige falsch dosieren würde, müsste er für mögliche Folgen meist nicht aufkommen, betont der DGUV. Das wäre ein Arbeitsunfall, der Schaden würde also von den Unfallkassen übernommen. Anders sieht es allerdings aus, wenn ein Erzieher vergisst, ein Medikament zu geben und ein Kind deshalb zu Schaden kommt. In diesem Fall sei nicht ausgeschlossen, dass am Ende der Erzieher haftet.

Auch die Fachkräfte aus der Landsberger Kita haben Nagorny zufolge vor einem Jahr eine Schulung von einer Kinderärztin für den Notfall-Pen bekommen. Sie wüssten also, was sie für Medikamente geben müssten. „Man kann da auch nichts falsch dosieren, das ist auf die Altersklasse abgestimmt“, wird die Mutter zitiert. Mit ihrem Problem ist sie in der Stadt nicht allein. Es soll mindestens zwei andere betroffene Familien geben.

Auf Anfrage der MZ bestätigte Landsbergs Bürgermeister, Kurt-Jürgen Zander (SPD), dass es eine „derzeit rechtlich ungeklärte Situation bei Notfallmedikamenten“ gibt, und verwies dabei auf fehlende Rechtsauskunft seitens der Aufsichtsbehörden. Trotz Bemühung sei der Stadtverwaltung nicht gelungen, von übergeordneten Stellen eine entsprechende Handreichung zu bekommen. Zander forderte daher eine Entscheidung des zuständigen Ministeriums. Dabei wurde das Ministerium für Arbeit und Soziales des Landes Sachsen-Anhalt bereits vor rund zwei Jahren mit folgender Stellungnahme zitiert: „Eine Kindertagesstätte, die ihren Versorgungs- und Betreuungsauftrag und auch die Interessen der Eltern ernst nimmt, wird sich der Gabe von Medikamenten nicht grundsätzlich verweigern.“

Nagorny wollte jedoch nicht warten, bis sich die Behörden endlich auf eine Linie geeinigt haben, und zog vor Gericht. Sie legte Widerspruch gegen die Entscheidung von Kita und Stadt ein und forderte, dass die Notfallmedikamente solange gegeben werden müssen, bis in der Hauptsache entschieden ist. Laut MZ-Bericht urteilte das Gericht zugunsten der Mutter, so dass die Medikamente bis zur Klärung des restlichen Verfahrens gegeben werden müssen.

Und auch sonst stehen die Chancen für Nagorny offenbar gut: In seiner Urteilsbegründung soll das Gericht angedeutet haben, dass sich die Stadt mit ihrer Anweisung an die Erzieherinnen auf dünnem Eis bewege. Die Erzieher würden eben nicht Gefahr laufen, wenn sie Erste Hilfe leisteten und einen Fehler machten, sondern wenn sie keine Hilfe leisten würden. Denn dann kommt der Straftatbestand einer unterlassenen Hilfeleistung in Betracht.

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