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Kassenchefin auf Apotheken-Odyssee

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Berlin -

Wenn man jung ist, kann man nichts verlieren und alles gewinnen. Je älter man aber wird, desto mehr achtet man auf das, was man hat. Dazu gehört auch die Gesundheit. Patienten wissen den Wert der Apotheke vor Ort zu schätzen. Diejenigen, die den Markt aufmischen möchten, waren dagegen in der Regel noch nie auf schnelle Hilfe angewiesen. Gut möglich, dass es in nicht allzu ferner Zukunft eine Kassenchefin erwischt, die Sparpotenzial in Milliardenhöhe gesehen hat – und dann bitter enttäuscht wird.

Mit roter Nase steht Doris P. im Jahr 2030 vor einer Apotheke in Berlin. Kein großer Laden, eher eine kleine Bude, nicht überlebensfähig laut dem 2hm-Gutachten, mit dem vor mehr als zehn Jahren alles begann. Aber das gewünschte Mittel war nichts Exotisches und sollte doch vorrätig sein. Normalerweise braucht Doris P. keine Medikamente – und wenn doch, dann kauft sie bei einer großen Versandapotheke. Doch diesmal muss es schnell gehen.

Sie staunt nicht schlecht, als sie feststellt, dass die Apotheke geschlossen ist. Nicht geschlossen im allabendlichen Sinne (den noch immer teuer bezahlten Notdienst ausgenommen). Sondern richtig geschlossen, zugesperrt, verlassen für immer, aufgegeben.

Pff, ist doch ja an einer Ecke eine Apotheke. Denkt sie. Der nächste Standort beherbergt eine Spielothek, nur der schmutzige Abdruck eines längst abhängten A im Mauerwerk verrät, dass hier einst beraten statt gezockt wurde. Wieder eine Straße weiter verkauft der Inhaber vor der Tür noch sein einstiges Inventar. Standgefäß, Mörser und Destillierkolben für 1 Euro. Die Rollstuhlauffahrt als Resterampe. Alles muss weg.

Und so geht die Apotheken-Odysee von Doris P. weiter. Überall, wo die Kassenchefin auftaucht, ist die Apotheke schon weg. Doris P. wird nachdenklich. Sollten sie, die Krankenkassen, den Bogen tatsächlich überspannt haben? Eine ganze Branche kaputt gespart und ausradiert haben, damals 2018? Eine Antwort hat sie nicht.

Wenn Ihnen beim Lesen dieser Zeilen unwohl geworden ist: Es war alles nur ausgedacht. Doris P. ist frei erfunden, natürlich wird es im Jahr 2030 noch genügend Apotheken geben. Selbst das Bild ist nicht echt, die rote Nase nur nachkoloriert. Das einzige, was man sich nicht ausdenken kann, ist der Sparwahn der Kassen.

Mit einem Positionspapier mit dem Titel „Neuordnung der Apothekenstrukturen und -vergütung“ hat der GKV-Spitzenverband die Pharmazeuten wieder einmal auf die Palme gebracht. Darin fordern die Kassen eine Kürzung des Apothekenhonorars um eine Milliarde Euro – ganz so, wie vor einem halben Jahr im 2hm-Gutachten gefordert. Außerdem das übliche Gezeter gegen überholte Strukturen, pro Versand und Ketten.

Weil die gezielte Provokation der Apotheker zum festen Programm gehört, musste bei der Verwaltungsratssitzung auch nicht mehr darüber gesprochen werden. Alle 50 anwesenden Mitglieder stimmten zu, Vorstandsvize Johann-Magnus von Stackelberg äußerte eingangs noch einmal Zweifel am versprochenen Rx-Versandverbot: Die Koalition wackle.

Den Eindruck hatte Apotheker Erhard Weiß aus dem brandenburgischen Finsterwalde nicht, bei dem Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) spontan vorbeischaute. „Ich habe an Spahn die Bitte gerichtet, das Versprechen des Koalitionsvertrages umzusetzen“, berichtete Weiß. Mit der Reaktion ist er zufrieden: „Spahn hat das sehr herzlich aufgenommen.“

Nun geht es bei Spahn in aller Regel nicht um Herzlichkeit. Aus diesem Grund kämpft Apotheker Christian Redmann aus dem bayerischen Ebermannstadt weiter darum, 50.000 Unterschriften pro Rx-Versandverbot einzusammeln. Die Unterstützung der Noweda hat er und auch sein Kammerpräsident Thomas Benkert ist dabei. Auf dem Apothekertag in Augsburg forderte er, dass die neue Bundesregierung das Versprechen des Koalitionsvertrages umsetzt. „Das sollte für die Große Koalition eine Ehrensache sein. Union und SPD dürfen sich nicht wegducken.“

Aber, und das ist irgendwie eine gute Nachricht: Das Bundeswirtschaftsministerium (BMWi) will sich nicht mit dem Apothekenhonorar beschäftigen, bevor nicht die Frage des Rx-Versandhandels geklärt ist. Wie die Bundesregierung in ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage der FDP mitteilt, ist die Meinungsfindung noch nicht abgeschlossen. Im Zweifel lieber kein Verbot. Und so sitzen die Apotheker wieder zwischen Baum und Borke, müssen froh sein, dass das Honorar steht, und zusehen, wie DocMorris & Co. Rezepte fischen.

Während die ABDA sich veranlasst sah, ihren Protest gegen das GKV-Papier zu Protokoll zu geben („patientenfeindlich und absurd“), bereiten sich die Heim- und Klinikversorger unter den Apothekern auf die neue Zeit vor. Aus dem BVKA wird der BVVA (Bundesverband der Versorgungsapotheker), der nicht nur die pharmazeutische Versorgung jenseits der Offizin – Klinik-, Heim-, Palliativ- und Substitutionsversorgung – weiterentwickeln, sondern auch die Digitalisierung der Apotheken vorantreiben will. „Wir sind dafür fachlich gut aufgestellt, wenn wir es nicht machen, dann tun es andere außerhalb der Apotheke“, so Verbandschef Dr. Klaus Peterseim.

Andere Kollegen haben schon resigniert. Barbara Schwinghammer-Steinbach hat ihre Adler-Apotheke aufgegeben. Grund war der Fachkräftemangel; sie hatte vergeblich versucht, einen Approbierten zu finden. Ihre Prognose für die Branche düster aus: „Wir sind mit der Apothekendichte auf dem Stand von 1990. Besser wird das auch nicht werden.“

Eine 33-jährige Kollegin wechselt von der Offizin ins Sterillabor – weil sie erkannt hat, dass der Platz am HV-Tisch nicht der richtige für sie ist. Etliche Probleme des Apothekenalltags schreibt sie der Mentalität der Apotheken zu: Dass der Kunde immer König sei, führe zu dreisten Forderungen und all zu hohen Erwartungen: „Ich habe nicht studiert, um mich von ihnen entwürdigen zu lassen“, sagt sie. Und auch von den Kassen will sie sich nicht länger den Spaß am Beruf verderben lassen: „Wir sind die Vollidioten des Gesundheitssystems.“

Doch es gibt auch sie noch: Kollegen, die allen Widrigkeiten zum Trotz noch Freude in der Offizin haben. Quintin Cürten arbeitet als Vertretungsapotheker und liebt die berufliche Abwechslung. Seine Arbeitsphilosophie: „Die Menschen, die in die Apotheke kommen, müssen einmal gelacht haben, bevor sie wieder rausgehen. Denn es geht ihnen nicht gut, sie sind krank.“ Das tat noch einmal gut zum Schluss. Schönes Wochenende!

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