Interview zur AvP-Insolvenz

Bellinger: Hoos soll Zahlungen an Banken anfechten

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Berlin -

Kurz vor Einleitung des Insolvenzverfahrens haben die Banken noch Gelder des Rechenzentrums AvP vereinnahmt. Rechtsanwalt und Steuerberater Dr. Bernhard Bellinger sieht das kritisch. Aus seiner Sicht sollte AvP-Insolvenzverwalter Dr. Jan-Philipp Hoos sich diese Vorgänge genauer ansehen und das Geld gegebebenfalls zurückfordern. Mit APOTHEKE ADHOC sprach Bellinger außerdem über Aussonderungsrechte, Herstellabschläge und darüber, was Apotheker jetzt tun oder lieber lassen sollten.

ADHOC: Machen Sie sich Sorgen um die Apotheker?
BELLINGER: Die Apotheker werden zwar aktuell von einigen Seiten unterstützt, aber selten altruistisch. Im Kern geht es momentan vorrangig darum, die Finanzierungslücke zu schließen, wofür in erster Linie Banken und Rechenzentren in die Bresche gesprungen sind. Mein Eindruck ist, dass die gesunden Apotheker die Unterdeckung finanziert bekommen. Wie man etwa aus der Mitteilung des Apobank-Vorstandes allerdings erkennen konnte, gilt die Bereitschaft primär für die Gesunden. Für den Rest ist die Luft dünn, und das ist im Grunde genommen wirklich eine Schande.

ADHOC: Rechnen Sie damit, dass es eine Abschlagszahlung vor Beendigung des Insolvenzverfahrens geben wird?
BELLINGER: Ja. Insolvenzverwalter Dr. Jan-Philipp Hoos macht in meinen Augen einen ausgezeichneten Job. Der erste und wichtigste Schritt war, gegenüber den Apothekern den August abzurechnen. Das wurde direkt umgesetzt und verdient wirklich Respekt. Dass dabei irrtümlich Abschlagszahlungen, die in der Abschlagsrechnung standen, aber nicht bedient wurden, als gezahlt ausgewiesen wurden, war ein Softwarefehler. Der ist aber reparabel. Wir haben für unseren Mandanten und die Nutzer unseres AvP-Insolvenz-Info-Kanals Korrekturen direkt an den Insolvenzverwalter mitgeteilt.

ADHOC: Wann wird der Insolvenzverwalter einen Überblick haben?
BELLINGER: Die Abrechnungen setzen den Insolvenzverwalter in die Lage, zunächst einmal einfach das Volumen centgenau zu definieren, das auf die geschädigten AvP-Kunden entfällt. Das ist eine ganz wichtige Zahl. Daneben wird der Insolvenzverwalter einen Kassensturz machen. Das ist sinnigerweise viel komplizierter als die Abrechnung des Monates August an 3500 Apotheker. Da geht es nämlich darum, wann für wen welche Zahlungsflüsse von Kostenträgern zu verzeichnen sind.

ADHOC: Wieso ist das ein Problem?
BELLINGER: Die Krankenkassen melden centgenau die Aufschlüsselung ihrer Zahlungen – nach IK-Nummer und darauf entfallendem Betrag. Von daher hat der Insolvenzverwalter überhaupt kein Problem, bei Zahlungseingängen der Kostenträger den Adressaten und den auf ihn entfallenden Betrag zu ermitteln. Das wird im Zweifel in eine Excel-Tabelle überführt und ist von da ab Abrechnungsgrundlage. Das eigentliche Problem liegt dahinter: Wann wurden aus welchem Konto wohin Beträge weitergeleitet? Wurden dabei Treuhandabsprachen eingehalten oder verletzt? Bleibt bei systemimmanenter Verletzung der Treuhandabsprachen noch Raum für Aussonderungsrechte? Muss er Zahlungen auf Konten des Bankenkonsortiums nach deren Kündigung der Girolinien anfechten, also versuchen, sie zur Masse zu ziehen?

ADHOC: Was passiert mit den Herstellerabschlägen?
BELLINGER: Da liegt der Fall anders: Während bei den Schluss-Zahlungen – nicht schon bei den Abschlagszahlungen – an die Apotheker bei Krankenkassen zuerst die Krankenkassen zahlen und dann AvP das Geld weiterleitet, ist es beim Herstellerzwangsrabatt umgekehrt. Die Krankenkassen halten den Herstellerzwangsrabatt ein, teilen ihn an das Rechenzentrum unter Angabe des jeweiligen Herstellers mit, und das RZ und holt ihn sich dann vom Hersteller wieder. Wie in den Abrechnungen an die Apotheken zu lesen ist, wird der Herstellerzwangsrabatt vom Rechenzentrum zunächst abgezogen, in der gleichen Abrechnung aber schon wieder gutgeschrieben. Diese Gutschrift erfolgt aber, bevor das Rechenzentrum den Betrag von der Pharmaindustrie zurückhat. Dieser Betrag ist also genauso wie die Abschlagszahlung in der Regel zwischenfinanziert. Dazu hat sich AvP in seinen AGB auch die Ermächtigung geben lassen.

ADHOC: Damit werden die Zahlungen der Hersteller Teil der Masse?
BELLINGER: Man kann darauf wetten, dass die Banken, die die Abschlagszahlungen und die Erstattung der Zwangsrabatte zwischenfinanziert haben – und das ist ein Bankenkonsortium aus mehreren Banken –, sich zumindest die Erstattungsansprüche gegen die Pharmahersteller neben den Erstattungsansprüchen gegen die Kostenträger haben abtreten lassen. Ob diese Abtretung allerdings wirksam war, ist eine sehr spannende Frage. Banken unterliegen nicht der Privilegierung in § 302 SGB V, die nur für die Abrechnungskette Apotheke zu Rechenzentrum und Rechenzentrum zu Kostenträger gilt. Entsprechend kommt zwischen Rechenzentrum und Bank durchaus die Unwirksamkeit der Abtretung in Frage: Mit der Abtretung korrespondiert der Informations- und Urkundenauslieferungsanspruch nach § 402 BGB, der aber gegenüber einer Bank nicht bedient werden darf. Die Banken wären nach meiner Einschätzung insoweit nur aus dem Schneider, wenn sie in der Abtretungsurkunde – was zulässig wäre – auf ihren Anspruch aus § 402 BGB ausdrücklich verzichtet hätten, was ich aber für unwahrscheinlich halte.

ADHOC: Die Banken haben das Geld zu Unrecht?
BELLINGER: Als die Banken die Girolinien kappten, haben sie die Insolvenzreife im gleichen Atemzug selbst ausgelöst. Alles hinter diesem Datum an Zahlungen zugunsten des Bankenkonsortiums ist kritisch und wird vom Insolvenzverwalter mit Sicherheit auf Anfechtungsrechte geprüft werden. Es könnte sein, dass an dieser Stelle die Masse unerwartete Zuflüsse bekommt. Unter den Apothekern selbst und im Verhältnis des Bankenkonsortiums zu den Apothekern wird eine zentrale Rolle spielen, wer welche Aussonderungsrechte hat. Das dürfte am Ende der Bundesgerichtshof entscheiden.

ADHOC: Vorher gibt es kein Geld?
BELLINGER: Erst nach einem rechtskräftigen Urteil kann der Insolvenzverwalter mit einer kompletten Auszahlung beginnen. Er hätte nur die Möglichkeit, quasi den Mindestbetrag zu ermitteln, den alle am Insolvenzverfahren Beteiligten bekommen müssten, unabhängig von der Antwort auf die Frage, wie das jetzt genau mit den Aussonderungsrechten ausgeht. Einen solchen zu verteilenden Bodensatz wird es aber nur geben, wenn hinreichend Masse vorhanden ist, für die Insolvenzgläubiger also wegen einer absehbar sehr hohen Quote Zahlungen in einer Mindesthöhe sicher sind. Das wäre zwar aufwendig, aber machbar: Wenn die Summe der Forderungen der Aussonderungsberechtigten kleiner ist als die Masse, könnte aus der Differenz eine Quote an alle ausgeschüttet werden. Ich hoffe, dass der Gläubigerausschuss darauf drängen wird. Nach meiner Einschätzung wäre eine solche Zwischenrechnung wohl in rund sechs Monaten möglich.

ADHOC: Was können betroffene Apotheker jetzt noch tun?
BELLINGER: Es ist völlig kontraproduktiv, den Insolvenzverwalter mit Anschreiben und Forderungen zu überhäufen. Dazu ist die Zeit überhaupt nicht reif. Er braucht alle Zeit, um die oben genannten Fragestellungen abzuarbeiten. Solange die Frage nicht geklärt ist, unter welchen Vorzeichen Aussonderungsrechte bestehen könnten, macht ein Gläubiger-Pool überhaupt keinen Sinn – außer für eindeutig Aussonderungsberechtigte. Alle anderen zahlen einfach nur die Anwaltsrechnung, die bei einer durchschnittlichen Apotheke angesichts der Gegenstandswerte kaum unter 2000 Euro liegen dürfte. Bis Klarheit über die Aussonderungsrechte besteht, genügt es völlig, wenn der Apotheker aus der Augustabrechnung, möglicherweise korrigiert um eine falsch gemeldete Abschlagszahlung, den Forderungsbetrag ableitet und als Forderung anmeldet mit dem Zusatz, er halte sich für aussonderungsberechtigt wegen einer unwirksamen Abtretung seiner Ansprüche gegen die Kostenträger an das Rechenzentrum AvP.

 

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