Nutzenbewertung

Rebscher: „Der Arzt braucht mehr Transparenz“

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Berlin -

Eine Bilanz mit Licht und Schatten zieht der 2. AMNOG-Bericht der DAK Gesundheit über die Nutzenbewertung und Preisfindung neuer Arzneimittel. Hauptproblem für die drittgrößte Krankenkasse sind nicht die hohen Preise neuer Arzneien, sondern die unzureichende Information der Ärzte über die Ergebnisse der Nutzenbewertung.

Die Auswertung der Versorgungspraxis ergab, dass ein Jahr nach Bekanntgabe der Ergebnisse der Nutzenbewertung die Verordnungszahlen von Medikamenten ohne Zusatznutzen genauso stark steigen wie die von Arzneimitteln mit Zusatznutzen. Im Durchschnitt betrug der Anstieg 14,7 beziehungsweise 14,2 Prozent. Das Fazit der DAK: „Auch fünf Jahre nach Inkrafttreten des Gesetzes bleibt die Nutzenbewertung für die Verordnungsentwicklung folgenlos.“

Trotzdem hält DAK-Chef Professor Dr. Herbert Rebscher das AMNOG „in seinen Grundzügen“ für sinnvoll: „Wir haben heute gegenüber dem Status quo ante eine ungeahnte Transparenz.“ Weil die durch das Gesetz erhofften Spareffekte begrenzt seien, sei allerdings eine Reform notwendig.

Nahezu jedem zweiten neuen Arzneimittel werde kein Zusatznutzen für die Patienten bescheinigt. Trotzdem stiegen die Verordnungen dieser Wirkstoffe fast genauso stark wie die der Medikamente mit Zusatznutzen. „Die offiziellen Informationen zur Nutzenbewertung kommen nicht bei den Ärzten in der Praxis an“, so der DAK-Bericht. An der Erstellung war auch Professor Dr. Wolfgang Greiner, Gesundheitsökonom an der Universität Bielefeld, beteiligt.

In 60 von insgesamt 134 durchgeführten Verfahren ist demnach kein Zusatznutzen bescheinigt worden. Trotzdem werden auch diese Arzneimittel von Ärzten häufig verordnet. Beachtliche Umsatzentwicklungen seien die Folge. „Die extrem hohen Einstiegspreise für neue Medikamente sind eine fundamentale Belastung für das Gesundheitssystem“, so Rebscher. Allerdings hält sich das Kostenproblem in Grenzen, wie Rebscher und Greiner einräumten: Nur 6,8 Prozent des Ausgabeanstiegs für Arzneimittel bei der DAK entfallen auf neue Wirkstoffe. Die „Wirkung des ersten Jahres mit freier Preisgestaltung ist überschaubar“, heißt es im DAK-Report.

Dennoch führten einzelne neue Wirkstoffe und Arzneimittel zu erheblichen Mehrkosten für die Kassen, wie die kontroversen Diskussionen im letzten Jahr über neue Medikamente gegen Hepatitis C gezeigt hätten. Ein weiteres Beispiel für die Kostenentwicklung sei der Wirkstoff Dimethylfumarat (Tecfidera) zur Behandlung von Multipler Sklerose, dem der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) keinen Zusatznutzen bescheinigt habe. Bereits ein halbes Jahr nach der Zulassung beliefen sich die monatlichen Kosten für diesen Wirkstoff allein bei der DAK-Gesundheit auf rund 3,5 Millionen Euro.

Aber auch vom G-BA bescheinigter Zusatznutzen „entspricht nicht zwangsläufig einem Zusatznutzen im Sinne der Versorgung“, kritisiert Report-Autor Greiner. „Denn bei der Prüfung werden derzeit für die Versorgung relevante Faktoren wie zum Beispiel die Darreichungsform nicht gewertet. Diese sind aber für die verordnenden Ärzte und ihre Patienten mitunter entscheidend, beispielsweise ob Injektionen notwendig sind oder ob ein Wirkstoff per Tablette eingenommen wird.“ Deshalb könnten auch Wirkstoffe ohne Zusatznutzen mitunter eine therapeutisch sinnvolle Option sein.

Zum Informationstransfer der Nutzenbewertung in die Praxis hat die DAK 200 niedergelassenen Ärzten befragt: Nur knapp die Hälfte der befragten Mediziner informiert sich danach regelmäßig über die Ergebnisse der Nutzenbewertung. Nur 12 Prozent der Ärzte nutzen die offiziellen Dokumente des G-BA und des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWIG).

„Mediziner brauchen schnelle, praxisnahe Informationen“, so DAK-Chef Rebscher. „Sinnvoll wäre es, die wichtigsten Informationen in gängige Praxisverwaltungssysteme zu integrieren, um sie auf einen Blick verfügbar zu machen. Der Arzt in der Praxis braucht mehr Transparenz.“

Die Hälfte der befragten Ärzte verordneten neue Arzneien mit Zusatznutzen nicht, weil sie wegen der hohen Preise Regresse bei der Verordnung fürchten. „Um die indikationsspezifische Verordnung von Medikamenten mit Zusatznutzen zu fördern, sollte über einen Ausschluss von Regressen diskutiert werden“, fordert Rebscher.

Analysiert hat der AMNOG-Report auch die Anzahl der Schiedsverfahren: Nach der Nutzenbewertung können sich bislang GKV-Spitzenverband und Pharmahersteller in 73 Prozent der Verfahren auf einen Erstattungsbetrag einigen. In 20 Verfahren gelang dies nicht. Sie landen vor der Schiedsstelle – sofern der Hersteller das Produkt nicht vorher schon mit sofortiger Wirkung vom Markt nahm.

Ende 2015 waren laut DAK 14 Verfahren abgeschlossen. Die Bilanz sei negativ: Nur noch zwei Wirkstoffe seien in Deutschland erhältlich, für einen davon sei die Marktrücknahme bereits angekündigt. „Da es nicht im Sinne der Patienten ist, dass neue Produkte schon nach kurzer Zeit vom Markt verschwinden, ist eine Reform der Schiedsverfahren unabdingbar“, so Rebscher. Die Gefahr vermehrter Marktrücknahmen beeinflusse die Verordnungsentscheidung der Ärzte maßgeblich. Die DAK-Umfrage ergab, dass dieser Aspekt für zwei Drittel der befragten Mediziner entscheidend ist.

Um die steigenden Arzneimittelausgaben einzudämmen, fordert die DAK-Gesundheit eine langfristige, systematische Kosten-Nutzen-Analyse, die Arzneimittelpreise und dadurch eingesparte Behandlungskosten gegenüberstellt. Die Debatte um hohe Markteintrittspreise neuer Arzneimittel erhalte so einen dringend benötigten Perspektivwechsel. Eile sei geboten, da viele neue Wirkstoffe vor der Zulassung stünden.

Birgit Fischer, Hauptgeschäftsführerin des Verbandes forschender Arzneimittelersteller (VFA), bleibt kritisch. Die Analyse zeige, dass sich das AMNOG in seiner jetzigen Ausgestaltung besonders bei Patienten mit chronischen Erkrankungen wie Epilepsie, Multipler Sklerose und Diabetes zum Innovationshemmnis entwickele. Aus Sicht der forschenden Pharma-Unternehmen müsse der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) durch seine Bewertungsmethodik dafür sorgen, dass Patientengruppen nicht von Innovationen ausgeschlossen würden.

Der Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller (BAH) weist darauf hin, dass in vielen Fällen nur formale Gründe die Ursache für einen nicht bescheinigten Zusatznutzen seien. Ein nicht bescheinigter Zusatznutzen bedeute aber noch nicht, dass es keinen Zusatznutzen für die betroffenen Patienten gebe.

Die Diskussion zeige darüber hinaus abermals die Notwendigkeit, nicht nur auf die Kosten des vermeintlich zu teuren Arzneimittels zu schauen, sondern auch die sektor-übergreifenden Einsparpotenziale zu berücksichtigen, so der BAH.

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