Sektorengrenzen

Praxis/Klinik: Ärzte wollen pendeln

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Berlin -

Mit medizinischen Versorgungszentren (MVZ) haben die Krankenhäuser einen Fuß in die ambulante Versorgung gesetzt – sehr zur Empörung vieler niedergelassener Ärzte, die alle Investitionen selbst schultern müssen. Die spezialärztliche Versorgung führte zu einer weiteren Öffnung. Dass Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) nun zusätzliche Freiräume für die Kliniken schaffen will, stößt beim Bundesverband Deutscher Chirurgen (BDC) auf positive Resonanz. Die Mediziner machen sich für den kompletten Wegfall der Sektorengrenzen stark, weil sich ihrer Ansicht nach die ländliche Versorgung anders nicht aufrecht erhalten lässt – und weil auch die Niedergelassenen profitieren könnten.

Laut erstem Entwurf des GKV-Versorgungsstärkungsgesetzes (GKV-VSG) sollen Krankenhäuser im Bedarfsfall für die ambulante Versorgung einspringen: Schaffen es die Terminservicestellen der Kassenärztlichen Vereinigungen nicht, dem Patienten einen Facharzttermin innerhalb von vier Wochen zu vermitteln, soll es einen ambulanten Klinik-Termin geben. Auch in Regionen, in denen niedergelassene Ärzte den Versorgungsbedarf laut Landesausschuss nicht abdecken können, sollen die Kliniken geöffnet werden.

Laut BDC-Präsident Professor Dr. Hans-Peter Bruch kann das nicht funktionieren. Die Kliniken seien dafür nicht ausgestattet – Personal fehle, die Einrichtung reiche nicht aus und das Budget sei zu gering. Darüber hinaus würde für den Patienten damit die freie Arztwahl ausgehebelt: Diese erwarteten Wunschtermine bei ihrem Wunscharzt. „Der Gedanke ist gut, aber die Ausführung lässt warten“, sagt Bruch.

Laut Bruch geht Gröhe zu kleine Schritte. Nicht weniger, sondern mehr Freiheiten wären aus seiner Sicht die Lösung: Ärzten müsse es regulär erlaubt sein, sowohl stationär als auch ambulant zu arbeiten, so der Chef des Verbands, der nach eigenen die berufspolitischen Interessen sowohl von niedergelassenen als auch angestellten Chirurgen vertritt.

Vizepräsident Dr. Jörg A. Rüggeberg erklärt, was seinen Verband umtreibt: „Es wird in der Fläche nicht mehr genügend Spezialisten geben.“ Allein bei den Chirurgen gebe es sieben verschiedene Fachtypen. Um in einer Region die verschiedenen Kompetenzen zu halten, müssten diese gebündelt werden. Dazu müssten sich alle Fachärzte zusammentun – egal ob stationär oder ambulant.

Niedergelassene Ärzte und Kliniken müssten den Wettbewerb um den Patienten beenden. „Die Öffnung der Kliniken für die Spezialbehandlung haben wir erreicht, die muss erweitert werden“, sagt Rüggeberg, der eine eigene Praxis der Allgemeinchirurgie und Unfallchirurgie in einem Praxisverbund in Bremen hat. Daneben leitete er als Präsident den Bundesverband für Ambulantes Operieren und im BDC das Referat der niedergelassenen Chirurgen.

Viel mehr Operationen als bislang könnten ambulant durchgeführt werden, findet er. Kliniken böten vor allem kontrollierte pflegerisch überprüfte Übernachtungsmöglichkeiten für Patienten, die zu Hause nicht betreut werden könnten. Für Operationen brauche man aber nicht immer eine Klinik.

Bislang würden Operationen kaum ambulant durchgeführt. „Dafür fehlt der finanzielle Anreiz. Bei ambulanten Operationen lassen sich allenfalls die Kosten decken“, sagt Rüggeberg. Stationär erfolgte Operationen würden fünf bis sieben Mal besser vergütet. „Das Geld bleibt in der Klinik, aber es muss der Leistung folgen“, so der Chirurg.

Rüggeberg fordert, dass die Fallpauschalen aus den Kliniken (DRG) auf die Vor- und Nachbehandlung ausgeweitet werden. Diese könnten unter den Beteiligten als Einzelleistungen untereinander aufgeteilt werden. Zwar müssten auch die niedergelassenen Ärzte Kompetenzen abgeben. „Der Weg ist in beide Richtungen offen“, so Rüggeberg. „Aber ich habe nichts dagegen, etwas abzugeben, wenn ich auch etwas zurück bekomme.“

Ambulante Praxen seien mitunter sogar wettbewerbsfähiger: Die Kliniken hätten andere Vorhaltekosten und seien nicht so flexibel. Niedergelassene Mediziner könnten Operationen schneller durchführen als die Klinikärzte und hätten mehr Expertise auf ihrem Fachgebiet. Laut Rüggeberg versuchen die Krankenkassen mittlerweile sogar, mit dem Argument der Schnelligkeit die Vergütungen für ambulant durchgeführte Operationen zu drücken. Dann werde es gar keine ambulanten Eingriffe mehr geben, meint Rüggeberg.

Niedergelassene Ärzte könnten in die Krankenhäuser gehen und die Ausstattung vor Ort nutzen, so sein Vorschlag. Ebenso gut könne der Klinikarzt in die ambulante Praxis kommen und dort behandeln. Genau da hapere es aber beim fehlenden Facharztsitz, kritisiert Rüggeberg. Diese müssten flexibilisiert werden – wenn nötig und sinnvoll, im Teilzeit- oder Rotationsprinzip. Fachärzte könnten dann pendeln.

Dass die niedergelassenen Ärzte Federn lassen, glaubt Rüggeberg nicht. „Vernünftige Kooperationen gehen immer zugunsten der vernünftig wirtschaftenden Akteure. Nur die unflexiblen Anbieter, die nicht aufeinander zugingen, gingen zugrunde. „Wir wollen den ambulanten Bereich stärken. Ob der ambulante Bereich vom niedergelassenen oder vom Klinikarzt durchgeführt wird, ist egal.“

Die Aussichten, dass sich die Politik weiter für eine umfassende Verschränkung der Sektoren einsetzen werde, hält der Verband für gut. Man werde in die richtige Richtung nachlegen, heißt es. „Es gibt zwei Wege“, sagt Rüggeberg, „mehr Geld oder weniger Leistung.“ Ein dritter Weg wären Eigenbeteiligungsmodelle. „Einschnitte wird es in jedem Fall geben. Wir versuchen nur, diese Einschnitte nach hinten zu schieben.“

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