Forschung

Zu wenig Frauen in Pharmastudien

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Berlin -

Frauen schlucken in vielen Lebensphasen mehr Pillen als Männer. Wenn es um den Test von Wirkstoffen geht, sind aber oft männliche Probanden das Maß der Dinge. Das stößt auf Kritik.

Mit Tablette und Wasserglas durchs Leben: Bei vielen Frauen steht erst täglich die Anti-Baby-Pille auf dem Programm, später sind es Schilddrüsenhormone, im Alter gilt es etwa Osteoporose vorzubeugen. Auch unabhängig von diesen typischen Mitteln werden Frauen im Schnitt deutlich mehr Medikamente verordnet als Männern. In Studien zur Zulassung von Arzneiwirkstoffen jedoch ist das Verhältnis meist andersherum: „Frauen sind nicht in dem Maß in Studien vertreten, wie Krankheiten in der Bevölkerung auftreten“, bemängelt die Pharmakologin Professor Dr. Karen Nieber von der Universität Leipzig.

Dabei ist augenscheinlich, dass sich Männer und Frauen unterscheiden – von der Fettverteilung am Körper bis hin zum Hormonsystem. Wie Nieber anlässlich zweier Kongresse zu Geschlechterforschung in der Medizin sagt, arbeiteten auch manche Enzyme auf unterschiedliche Weise: Das wirke sich auf den Abbau von Wirkstoffen im Körper aus. Sie vermisst daher – wie einige ihrer Kollegen – Auswertungen von Studien mit Blick auf sichere Dosierungen für Frauen.

Nieber verweist auf den Fall des Schlafmittels Zolpidem: Frauen bauen den Wirkstoff langsamer ab, was am Morgen nach der Einnahme noch zu eingeschränktem Reaktionsvermögen führen konnte. „Frauen wurde nachträglich geraten, die Dosis um 50 Prozent zu reduzieren“, sagt Nieber. Solche Anpassungen sind absolute Einzelfälle.

Dabei spielten Frauen auch in der Geschichte lange Zeit keine Rolle in klinischen Studien: Noch unter dem Einfluss des Contergan-Skandals hatte die amerikanische Zulassungsbehörde FDA 1977 Unternehmen angewiesen, gebärfähige Frauen aus Tests auszuschließen – als Schutz vor Folgen für die Fruchtbarkeit, gerade im Fall einer unerwarteten Schwangerschaft. Erst 1993 setzte ein Umdenken ein.

Ob die Dosen immer passen, ist umstritten. Die Kardiologin Professor Dr. Verena Stangl von der Charité Berlin sagt anhand ihrer Erfahrung: Bei weiblichen Patientinnen beginne man teils wegen Nebenwirkungen wie Bluthochdruck mit niedrigeren Dosen, die dann gesteigert werden. „Es bräuchte mehr Studien, die explizit Frauen untersuchen“, betont sie.

Die Hersteller hingegen beurteilen die „statistischen Unterschiede“ etwa bei der Konzentration der Wirkstoffe und ihrer Verweildauer im Blut als klein. Außerdem seien Medikamente so konzipiert, dass sie innerhalb eines gewissen Fensters wirken, und nicht nur bei einer exakten Zieldosis. Daher haben die bekannten Unterschiede für die Vorschriften meist keine Folgen, wie es in einem Positionspapier des Verbands Forschender Arzneimittelhersteller (VFA) heißt.

Der Verband betont aber auch: Medikamente, die für Männer und Frauen zugelassen werden sollen, müssen auch an beiden Geschlechtern erprobt werden, wie VFA-Fachmann Dr. Rolf Hömke sagt. So sind in den meist dreistufigen Studien durchaus Frauen beteiligt, wenn auch erst in relativ späten Stadien. In der ersten Stufe, der sogenannten Phase I, werde zum überwiegenden Großteil an gesunden Männern getestet – „unter Bedingungen so einfach wie möglich“, sagt Hömke.

Als reine Kostenfrage sieht das Pharmakologin Nieber: Mit Frauen dauere es länger, bis sich statistisch deutliche Effekte eines Wirkstoffs nachweisen ließen. Denn ihr Hormonspiegel schwankt während des Zyklus. Das mache die Zulassung teurer.

Die Hersteller verweisen bis heute auf das Risiko Schwangerschaft, wenn es um frühe Studien-Phasen geht: Probandinnen müssten zusätzlich zum Test-Medikament hormonell verhüten – ein unliebsamer Einfluss. Denn in Phase I will man grundsätzlich etwa prüfen, wie sich Wirkstoffe verteilen und wieder abgebaut werden.

In den späteren Phasen beziffert der VFA den Frauenanteil je nach Krankheitsbild grob auf 30 bis 80 Prozent. Dass gleich viele Männer und Frauen teilnehmen müssen, ist nicht vorgeschrieben. Wichtig sei, so der VFA, „dass von jedem Geschlecht eine genügend große Zahl von Behandlungen ausgewertet werden kann; und das ist der Fall“.

Es gibt aber auch noch ganz andere Gründe für das Dilemma: Frauen wollen gar nicht Probandin sein. „Es ist nicht so, dass es viele Frauen gäbe, denen man absagen müsste, weil alle Plätze vergeben sind“, so Hömke. Das gelte vor allem für Frauen in fruchtbarem Alter.

Warum also nicht schon bei den ersten Tierversuchen weibliche Ratten oder Mäuse einbeziehen? Das fragt sich Pharmakologin Nieber. Und gerade bei Krankheiten, die vor allem Frauen plagen, folgt für sie: Frauen schon in Phase I einbeziehen.

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