Praxen für Sterillabore

Zytoservice: Das MVZ-Monopoly

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Berlin -

Nach sechs Jahren erhebt die Staatsanwaltschaft in Hamburg jetzt Anklage gegen verantwortliche Personen von Zytoservice. Der Herstellbetrieb ist ein Riese in seinem Segment – seine aggressive Expansionsstrategie könnte jetzt zum Problem werden.

Zytoservice war 2002 durch Enno Scheel, Thomas D. Boner und Thomas Hintz gegründet worden: Die drei Apotheker brachten ihre Apotheken in die Antares OHG ein und bauten eines der modernsten Sterillabore in Deutschland auf. Während Hintz vor einigen Jahren ausstieg, leiten Scheel und Boner nach wie vor die Geschäfte.

Ihnen und ihren Familien gehören auch nach wie vor jeweils rund 12 Prozent an der Unternehmensgruppe, die Dreiviertelmehrheit hält IK Investment Partners. Der Finanzinvestor hatte 2016 vom Risikokapitalgeber Capiton übernommen, den die Apotheker bereits 2007 an Bord genommen hatten. IK selbst war damals noch am Konkurrenten GHD beteiligt – dessen Sterillabore in Haan, München und Leipzig wurden ein Jahr nach dem Deal von Zytoservice übernommen, wobei der Standort in NRW 2023 geschlossen wurde.

Das Bundeskartellamt sah in dieser Marktkonzentration kein Problem. Ganz anders die zahlreichen Apothekerinnen und Apotheker mit eigenem Sterillabor, denen Zytoservice systematisch die Aufträge wegzunehmen schien.

Vorteile für Ärzte

In der Anklage wird den Beschuldigten – zwei Apothekern sowie vier leitenden Angestellten – vorgeworfen, „in 37 Fällen Ärzte durch Gewährung von Vorteilen bei der Verordnung von Arzneimitteln unlauter an sich gebunden zu haben“, wie es von der Staatsanwaltschaft heißt.

Konkret: „Die Angeschuldigten sollen bewirkt haben, dass erstellte Rezepte, insbesondere solche für hochpreisige Krebsmedikamente, nur noch über die von beiden Apothekern betriebene Apotheken-OHG und deren vornehmlich mit der Herstellung von Zytostatika befasste Unternehmen eingelöst wurden.“

Aufträge über MVZ-Konstrukt

Der zweite Vorwurf geht noch weiter, dabei geht es um gewerbs- und bandenmäßigen Betrug in 340 Fällen: Krankenkassen sollen getäuscht und mehr als 75 Millionen Euro zu Unrecht abgerechnet worden sein. „Um möglichst viele Abnehmer für ihre Medikamentenzubereitungen zu gewinnen und zugleich das gesetzliche Verbot der Zusammenarbeit von pharmazeutischen Leistungserbringern und Vertragsärzten zu umgehen, sollen die Angeschuldigten über einzelne Firmen ein Krankenhaus erworben und sodann medizinische Versorgungszentren (MVZ) gegründet und geführt haben. Auf diese Weise vereinnahmten sie sowohl die Erlöse aus der ambulant onkologischen Behandlung als auch der pharmazeutischen Betreuung von Patienten.“

Enno Scheel ist einer der Apotheker, die Zytoservice gegründet haben.Foto: Elke Hinkelbein

Das Problem: 2012 wurde der Kreis der Leistungserbringer, die MVZ gründen dürfen, mit dem GKV-Versorgungsstrukturgesetz stark eingeschränkt. Im Grunde kommen seitdem nur noch Ärzte und Krankenhäuser sowie Erbringer nichtärztlicher Dialyseleistungen und gemeinnützige Träger in Frage – Apothekerinnen und Apotheker sind ausgeschlossen.

Die Idee mit der Klinik, so berichtete der „Stern“ Ende 2023, soll Scheel beim Joggen gekommen sein. 2014 kaufte die Unternehmensgruppe eine Stadtteilklinik in Hamburg-Bilstedt, die damals überschuldet war und die der vorherige Besitzer eigentlich schließen wollte. Mit gerade einmal 15 Betten gehört die Einrichtung zu den kleineren Häusern, auch wenn mit Chirurgie/Orthopädie, Gynäkologie, Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde und Innere Medizin heute gleich mehrere Fachrichtungen abgedeckt sind.

Um die erforderlichen Genehmigungen zu bekommen, wurde das Haus nach der Übernahme als wichtiger Bestandteil der Versorgungsstruktur in Szene gesetzt. Mit tatkräftiger Unterstützung der Gesundheitsbehörde wurde der Standort laut Stern-Bericht schließlich in den Krankenhausplan aufgenommen. Öffentliche Zuschüsse gab es demnach auch.

Lockangebote für Ärzte

Doch darum ging es wohl nur am Rande. Vielmehr wurde um die Klinik herum ein Netzwerk an MVZ aufgebaut. In ganz Deutschland wurden Onkologen umworben und Arztsitze aufgekauft. Mittlerweile ist das Konstrukt auf 30 Standorte angewachsen; ganz überwiegend liegt der Schwerpunkt auf Onkologie. Die hier angestellten Ärztinnen und Ärzte dürften nach Ansicht der Staatsanwaltschaft einen Großteil der Infusionslösungen hergestellt haben, die dann in Hamburg, Leipzig oder München von Zytoservice hergestellt und über den Antares-Verbund oder andere Partnerapotheken abgerechnet wurden.

Großabnehmer sind die Antares-Apotheken.Foto: APOTHEKE ADHOC

Die Geschäftszahlen scheinen diese Sichtweise auf den Konzern zu bestätigen: Von den 629 Millionen Euro, die die Firmengruppe 2023 umgesetzt hat, entfallen 459 Millionen Euro auf die Sterilherstellung – die unkonsolidierten Gesamterlöse, also die Abverkäufe über die Apotheken insgesamt, liegen sogar bei 538 Millionen Euro. Auf den hauseigenen Großhandel Vivatis entfallen 138 Millionen Euro, auf die MVZ selbst 26 Millionen Euro. Geradezu zu vernachlässigen ist dagegen der Klinikbereich mit knapp 2 Millionen Euro.

Anzeige bei der Staatsanwaltschaft

2019 erhielt die Staatsanwaltschaft eine anonyme Anzeige. Die Klinik, so der Verdacht, könnte als Konstrukt vor allem dazu dienen, Aufträge für die Sterillabore der Apotheker zu generieren. 2019, kurz vor Weihnachten, kommt es zur Razzia. 420 Beamte und sechs Staatsanwälte sind im Einsatz, 58 Objekte werden durchsucht, darunter Standorte des Konzerns und Praxen im Großraum Hamburg. Rund 1000 Umzugskartons voller Akten und 100 Datenträger stellen die Spezialkräfte der Beweisnahme- und Festnahmeeinheit (BFE) sicher. Gegen 45 Personen wird ermittelt.

Alleine DAK und TK gehen von einem Schaden von mehr als 70 Millionen Euro aus, in der Anklage ist jetzt von 75 Millionen Euro die Rede.

Expansion auch nach Razzia

Doch scheinbar unbeeindruckt davon ging danach bei Zytoservice – seit einigen Jahren heißt die Holdinggesellschaft Alanta und trägt damit einen anderen Namen als der Herstellbetrieb – die Expansion weiter. Alleine die Zahl der MVZ hat sich seitdem fast verdoppelt. Mit der Praxisklinik Mümmelmannsberg ist im September 2022 am selben Standort ein weiteres Krankenhaus hinzugekommen, samt Psychiatrischer Institutsambulanz (PIA).

Das aggressive Wachstum hat seinen Preis, der Konzern schreibt seit Jahren rote Zahlen. Rund 110 Millionen Euro sind an Verlustvortrag bislang zusammengekommen. Obwohl durch die Zukäufe alleine Firmenwerte im Umfang von 86 Millionen Euro in die Bilanz gekommen sind, gibt es bei einer Verschuldung von 355 Millionen Euro ein negatives Eigenkapital von 71 Millionen Euro.

Der Großhändler Vivatis gehört ebenfalls zur Gruppe.Foto: APOTHEKE ADHOC

Noch wurde über die Anklage nicht entschieden, bis es zum Verfahren kommt, könnte es noch Jahre dauern. Tatsächlich wird es mit Blick auf die MVZ in einem möglichen Prozess zuvorderst um die Frage gehen, ob von einer Strohmann-Konstruktion auszugehen ist oder nicht. Im März 2019 war bereits ein anderer Zyto-Apotheker aus Hamburg zu einer Haftstrafe verurteilt worden, weil er MVZ über einen Strohmann betreiben lassen hatte. Allerdings war hier kein Klinikum dazwischen geschaltet.

Anwälte weisen Vorwürfe zurück

Die Anwälte der Beschuldigten weisen die Vorwürfe zurück. Die Versorgung sei stets einwandfrei erfolgt, alle rechtlichen Vorgaben seien erfüllt worden. „Die Beteiligungsverhältnisse an diesen MVZ sind gegenüber den befassten Stellen und Behörden wie auch gegenüber der Öffentlichkeit zu jedem Zeitpunkt transparent behandelt worden. Die den Vorwürfen der Behörden zugrunde gelegte Rechtsansicht ist durch eingehende juristische Stellungnahmen eindeutig widerlegt; sie widerspricht überdies der gewollten und gelebten Versorgungsrealität in der Onkologie in Deutschland. Die Patientenversorgung über MVZ ist einer der Eckpfeiler der ambulanten Patientenversorgung und politisch gewollt.“

Die Gründung und der Betrieb der zu Alanta gehörenden MVZ stünden in vollständigem Einklang mit geltenden Gesetzen. „Sämtliche der Gruppe zugehörigen MVZ sind durch die gesetzlich vorgegebenen Genehmigungsverfahren bestandskräftig zugelassen worden.“

Auch dem Vorwurf, das gesetzliche Verbot der Zusammenarbeit von pharmazeutischen Leistungserbringern und Vertragsärzten umgangen zu haben, trete man „nachdrücklich“ entgegen: „Dieser Vorwurf ist haltlos. Alle der Alanta-Gruppe zugehörigen MVZ sind medizinisch unabhängig. Zu keinem Zeitpunkt wurde in die Therapiefreiheit der behandelnden Ärzte eingegriffen; sie wurde vielmehr jederzeit in höchstem Maß respektiert.“

Den Vorwurf einer unkorrekten Abrechnung weise man ebenfalls entschieden zurück. „Sämtliche Krebs-Medikationen wurden einwandfrei und in hoher Qualität hergestellt, waren ärztlich verschrieben und wurden ordnungsgemäß mit den Krankenkassen abgerechnet. Die von der Staatsanwaltschaft behaupteten Summen basieren auf einer formalen Interpretation des erweiterten Schadensbegriffs im Sozialrecht und stellen keinen materiellen Schaden dar.“

Man sei überzeugt, dass die Vorwürfe haltlos sind und „im weiteren Verlauf des Verfahrens umfassend ausgeräumt werden“.

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