Verblisterung

Industrielle Individualisierung

, Uhr

Rund 100 Millionen Euro hat die Kohl-Gruppe bislang bei 7x4 Pharma investiert; auch Land und Bund förderten das Prestigeprojekt. Bereits im Vorfeld mussten zahlreiche technische, juristische und politische Steine aus dem Weg geräumt werden. Nun muss sich das Konzept in der Praxis bewähren. Die Branche aber reagiert immer noch abwartend.

Damit Kohl die 7x4-Boxen überhaupt industriell herstellen und an Patienten liefern lassen kann, mussten die patientenindividuellen Blister als Fertigarzneimittel zunächst von der Zulassungspflicht befreit und für Einzelverträge des Herstellers mit Krankenkassen freigegeben werden. Dies geschah bereits mit der 14. AMG-Novelle; mit der aktuellen Neuauflage soll nun auch die anteilige Berechnung von Teilmengen ermöglicht werden. Damit steht die Grundlage für die Abrechnung gegenüber den Krankenkassen.

Die Widerstände innerhalb der Versorgungslandschaft waren bislang nicht unerheblich. Das könnte sich trotz der jüngsten Modellprojekte nicht so schnell ändern: Pharmahersteller fürchten um ihre Sortimente, Ärzte um ihre Therapie- und Apotheker um ihre Vertragshoheit. Denn auch wenn 7x4 als Auftragshersteller für die Apotheke fungiert und diese mit den Kassen abrechnet - über die Verträge wird in Merzig zumindest mit entschieden.

Laut Kohl sind die Apotheken „die zentrale Schaltstelle“ im System. In Apothekerkreisen stößt dagegen die Verschiebung der pharmazeutischen Kompetenz auf Kritik: „Für uns stellt sich die Frage, welchen pharmazeutischen Handlungsspielraum die Apotheken bei der industriellen Individualisierung überhaupt noch haben“, sagt ein Sprecher des Deutschen Apothekerverbandes (DAV). „Die Machtverteilung in diesem Konzept ist doch klar: Am Ende wird allein der Verblisterer entscheiden, mit welchen Apotheken er arbeitet und mit welchen nicht.“

Das sieht man beim Bundesverband Deutscher Apotheker (BVDA) - dem Vertragspartner bei den Modellprojekten im Saarland und in Berlin - anders: „Patientenindividuelle Blister bedeuten nicht das Ende der Apotheke, sondern sind im Gegenteil sogar eine Aufwertung der pharmazeutischen Tätigkeit“, so BVDA-Präsident Otto Späth gegenüber APOTHEKE ADHOC. Bei der industriellen Verblisterung würden nicht nur auf Zuruf Blister geliefert, sondern Verantwortung und pharmazeutischer Mehraufwand an die Apotheken delegiert. „Die Zukunft der Apotheke wird nicht handwerklich, sondern intellektuell entschieden“, so Späth.

Für 7x4 dürfte es zumindest nicht einfach werden, die Branche vom Konzept zu überzeugen. Zumindest auf prominente politische Unterstützung kann sich Kohl bereits heute berufen: Bereits zweimal nahm Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) die Anlage persönlich in Augenschein. Das Projekt sei ein Baustein, um Medikamente künftig wirtschaftlicher einzusetzen, die Sicherheit bei der Arzneimittelanwendung zu steigern und die Lebensqualität älterer und multimorbider Patienten zu verbessern, lobte die Ministerin erst vor kurzem. Schmidts saarländischer Amtskollege Professor Dr. Gerhard Vigener (CDU) sprach sogar von „unserer 7x4-Box“.

Newsletter
Das Wichtigste des Tages direkt in Ihr Postfach. Kostenlos!

Hinweis zum Newsletter & Datenschutz

APOTHEKE ADHOC Debatte