Corona-Krise: Glaeske zweifelt staatliche Maßnahmen an Tobias Lau, 07.04.2020 14:20 Uhr
Die Größenordnung müsse dabei mindestens 10.000 Personen umfassen, um hinsichtlich der bekannten Risikofaktoren stratifizieren und Aussagen über die Hochrisikokollektive machen zu können. Eine iterative, zum Beispiel zweiwöchentliche Testung wäre einzubeziehen. Das hätte den Autoren zufolge auch erhebliche psychologische Auswirkungen: „Es darf nicht vergessen werden: Die erschreckenden Zahlen zum Anstieg der Infizierten werden deutlich relativiert, wenn man die Zahl der Patienten beziehungsweise Personen abrechnet, die die Infektion ohne oder mit beherrschbaren Krankheitszeichen überstanden haben.“
Das hätte auch erhebliche Auswirkungen auf die Wahrnehmung der Sterblichkeit durch Covid-19 – die spielt nämlich bei der Entscheidung über Maßnahmen eine große Rolle. Die bisherigen Berechnungen halten sie dabei im Wesentlichen für Zahlenmystik. Die Letalität könne als Kennziffer nur dann sinnvoll verwendet werden, wenn mehrere Bedingungen erfüllt sind, darunter das Wissen über die Grundgesamtheit der Population. „Es ist derzeit nicht bekannt, auf wie viel infizierte Personen die Zahl der gestorbenen Patienten zu beziehen ist“, mahnen Glaeske & Co. Außerdem gebe es noch erhebliche Mängel bei der Zurechenbarkeit von Todesfällen. Bisher seien nämlich nur die beiden Kriterien Tod und Sars-CoV-2-Nachweis definiert – „mit anderen Worten und vielleicht etwas pointiert ausgedrückt: Wir wissen nicht, ob der Patient an Covid-19 verstorben ist oder mit Covid-19“. Abhilfe könne man an diesem Punkt schaffen, indem analog zur Falldefinition charakteristische krankheitsspezifische Kriterien wie das Vorliegen einer interstitiellen Pneumonie als drittes Kriterium einbezogen werden. Sie geben ein Beispiel: Ein Patient erleidet einen Schlaganfall, kommt ins Krankenhaus und bei der Aufnahme wird eine Sars-CoV-2-Infektion festgestellt. Er muss dann natürlich aus Gründen des Infektionsschutzes wie ein Covid-19-Patient behandelt werden. Erliegt er dem Schlaganfall, werde er höchstwahrscheinlich als Covid-19-Todesfall in die Statistik aufgenommen.
Vor allem in Anbetracht dieser nach wie vor unzureichenden Datenlage kritisieren die Autoren, dass sich die Politik auf einzelne Aspekte versteigt, um Maßnahmen zu rechtfertigen. Tatsächlich war in den vergangenen Tagen und Wochen immer wieder die Rede davon, dass die Bundesregierung die Verdopplungszeit der Infektionen als wesentliches Kriterium für die Entscheidung über eine Verschärfung der verhängten Einschränkungen heranzieht. Es sei jedoch unter Berücksichtigung der beschriebenen anlassbezogenen Teststrategie nicht sinnvoll, „von einer sogenannten Verdopplungszeit zu sprechen und von dieser Maßzahl weitreichende Entscheidungen abhängig zu machen“. Würde man das tun wollen, müsse man sich dabei auf systematisch gewonnene Populationsstichproben oder Longitudinaluntersuchungen beziehen. In der gegenwärtigen Situation seien aber sinnvollere Endpunkte zum Beispiel durch die Indikation zur stationären oder intensivmedizinischen Behandlung gegeben, soweit sie auf eine spezifische Falldefinition bezogen sind.
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