Die Versorgung mit Inkontinenzprodukten stellt für die Apotheken ein Verlustgeschäft dar. Menschen, die auf solche Hilfsmittel angewiesen sind, müssen mittlerweile Wege von über 30 Kilometer in Kauf nehmen, weil immer mehr Inhaber:innen sowie Sanitätshäuser aus dem Geschäft aussteigen. „Die Ersatzkassen zahlen mitunter so niedrige Pauschalen, dass wir es schwer haben die Patienten gescheit zu versorgen“, so Dr. Nojan Nejatian, Inhaber der Heegbach-Apotheke in Erzhausen. „In unserem Landkreis gibt es kaum noch eine Apotheke, die die Versorgung überhaupt anbietet.“ Auch Nicola Ciliax-Kindling, Inhaberin der Barbara-Apotheke in Odenthal bestätigt: „Wir bemühen uns jedem Patienten gerecht zu werden, aber mit den extrem niedrigen Pauschalen ist es nicht leicht.“
Immer weniger Geschäfte bieten eine Versorgung mit Inkontinenzprodukten an. „Sanitätshäuser versorgen gar nicht mehr und auch immer mehr Apotheken steigen aus dem Verlustgeschäft aus“, so Nejatian. „Vor allem die Ersatzkassen zahlen teilweise gerade mal eine Pauschale von 13 Euro für die Versorgung, wie soll man da was Gescheites hinbekommen“, fragt er. Weil Nejatian immer noch Inkontinenzmaterialien anbietet, kommen die Menschen aus Orten, die etwa 30 Kilometer entfernt sind. Im Bereich Darmstadt gebe es kaum noch eine Apotheke, die eine Versorgung anbiete.
Das Problem: „Die Patienten kommen zu mir und sagen, sie haben doch aber Anspruch auf Inkontinenzprodukte, folglich sind sie wenig bereit einen gewissen Eigenanteil zu zahlen, deswegen denken viele Apotheken und Sanitätshäuser, es lohnt nicht mehr.“ Man wolle sich weder mit den Patienten streiten, noch Zeit investieren, um am Ende eine schlechte Marge zu haben, erklärt er.
Deswegen gehe Nejatian von Anfang an ehrlich in ein Beratungsgespräch: „Wir sagen klipp und klar, das und das können wir machen und das und das eben nicht. Wenn die Patienten eine weitergehende Versorgung haben möchten, dann muss ein wirtschaftlicher Aufpreis gezahlt werden.“ Diejenigen, die den weiten Weg in die Heegbach-Apotheke ohnehin schon gefahren seien, nehmen den Aufschlag erstaunlich gut an.
Insgesamt laufe die Inkontinenzversorgung immer mehr zentral ab. „Das heißt, dass Firmen die Bestellung online oder telefonisch abwickeln. Ältere Menschen haben hierbei einen großen Nachteil, weil sie oftmals nicht mehr technikaffin sind“, so Nejatian. Allein das Hochladen des Rezeptes stelle einige vor Herausforderungen, betont er. Die Thematik werde in Zukunft verstärkt auf die Menschen zukommen: „Die Krankenkassen zahlen immer weniger Geld dafür.“ Die beste Pauschale liege derzeit bei etwa 21 Euro. Und dennoch: „Der Aufwand steht in keinem Verhältnis.“
Dass Nejatian weiterhin die Inkontinenzversorgung anbiete sei reiner Idealismus: „Irgendeiner muss es doch anbieten, wo sollen die älteren Menschen hingehen, wenn nicht in die Apotheke“, fragt er. Er spricht aus eigener Erfahrung: „Mein Vater ist ebenso betroffen, es war sehr schwer für ihn eine geeignete Apotheke zu finden.“ An der schlechten Versorgung seien vorrangig die Krankenkassen schuld: „Es werden Einsparungen an der falschen Stelle getroffen“, stellt Nejatian klar. Zudem würden etliche Menschen bereits in die Drogerie gehen, auch des Schamgefühls wegen. „Das ist alarmierend und nicht erst seit gestern so.“
Ciliax-Kindling versorgt in ihrer Apotheke sehr viele Patient:innen mit Inkontinenzmaterial. „Wir bemühen uns trotz der sehr schwierigen Preisgestaltung jedem einzelnen gerecht zu werden und bestmöglich auszustatten.“ Mitunter seien die Pauschalen der Kassen aber extrem niedrig. „Die KKH zahlt beispielsweise nur 9,95 Euro, die Pronova hingegen fast das Dreifache“, stellt sie klar. Weil immer mehr Apotheken den „Knebelverträgen der Kassen“ nicht mehr beitreten, sei es für die Menschen notwendig, immer weitere Wege auf sich zu nehmen. „30 Minuten Autofahrt sind nicht selten, dennoch müssen wir leider auch Patienten, die von weiter herkommen ablehnen“, so Ciliax-Kindling. Aktuell seien das viele Barmer-Versicherte.
Personell sei es nicht stemmbar, ebenso fehle ihr die Lagerkapazität. „Die ganze Logistik dahinter ist mit noch mehr Patienten einfach nicht tragbar“, so die Apothekerin. „Barmer-Versicherte landen dann bei uns, haben aber auch den Wunsch, dass die Pakete versendet werden, am besten ohne Porto, das ist für eine normale Apotheke schlicht nicht machbar.“
Sie wünsche sich zudem ein geringeres Anspruchsdenken der Menschen. „Man hat sich zu stark daran gewöhnt, dass einem in unserem Gesundheitssystem immer alles bezahlt wird. Da muss ein Umdenken in den Köpfen stattfinden“, so Cilax-Kindling. Ein Inkontinenzproblem sei im Alter ein nicht seltenes Leid. „Den Müttern zahlt doch auch niemand die Windeln für ihre Babys und den Frauen nicht das Material, welches sie für ihre Periode brauchen.“ Wäre die Akzeptanz für einen Selbszahlbetrag höher, würde sich der Markt vielleicht auch entspannen, so die Apothekerin.