Apothekengesetz

Spahns Rx-VV-Geheimnis

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Berlin -

Mit der Beratung des Bundeshaushaltes 2019 endet in der kommenden Woche die politische Sommerpause. Dann geht auch das „Apothekengesetz“ im Bundesgesundheitsministerium (BMG) in die heiße Phase: Die Vorgespräche mit ABDA & Co. sind abgeschlossen. Alle Interessengruppen haben bei Abteilungsleiter Thomas Müller ihre Anregungen, Wünsche und Forderungen hinterlegt. Aber in die Karten blicken lässt sich Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) beim Thema Rx-Versandverbot noch nicht. Das BMG hat die Schotten dicht gemacht. Es bleibt spannend – vielleicht sogar bis zum Deutschen Apothekertag (DAT).

Die Parlamentsferien hat Spahn wie kein anderes Kabinettsmitglied genutzt, um sein politisches Profil auf dem Weg ins Kanzleramt aufzupolieren. Das Image des kaltschnäuzigen Machtpolitikers soll in Vergessenheit geraten. Law-and-Order-Parolen wie zu Beginn seiner Amtszeit kommen Spahn heute ebensowenig über die Lippen wie Hartz-IV-Empfänger-Bashing. Statt für sich die Pflege seiner Eltern abzulehnen, unterhält sich Spahn in Video-Gesprächen inzwischen sensibel mit Pflegekräften über die Alltagsproblemen am Krankenbett.

Und Spahn menschelt: Das Yellow-Press-Blatt Gala lässt Spahn dafür in sein Privatleben blicken. Sogar die Gründung einer Familie schließt er mit Ehemann Daniel Funke nicht aus. Derzeit sei das Thema aus Zeitgründen zwar nicht aktuell: „Ich würde aber niemals nie sagen.“ Spahn, der Familienmensch – wieder eine neue Rolle. Für seine Familie sei es übrigens nie ein Problem gewesen, dass er einen Mann liebt, erklärt Spahn: „Ich habe das große Glück, tolle, wahnsinnig gelassene Eltern zu haben“, sagt er und fügt hinzu: „Sie haben mir und meinen Geschwistern in allen Fragen – bei mir auch hinsichtlich des Schwulseins – zu verstehen gegeben: Wir stehen zu euch.“

Mehr noch: Spahn hat in der Sommerpause nicht nur Sympathiepunkte zu sammeln versucht, er hat Handlungs- und Regierungsfähigkeit demonstriert. Den Krankenkassen hat er ein Beitragsentlastungsgesetz vor die Nase gesetzt, den Ärzten mit dem Gesetz für schnellere Termine und bessere Versorgung (TSVG) mehr GKV-Patienten verordnet und gegen den Willen der Krankenhäuser die Zahl der Pflegekräfte in den Kliniken erhöht. Spahn macht sein Ding, lässt sich von mächtigen Playern im Gesundheitswesen nicht den Schneid abkaufen, lautet die zweite Botschaft.

Noch nie hat es ein Gesundheitsminister auf den Kanzlerstuhl geschafft. Spahn arbeitet daran. Statt sich in die dumpfe rechtspopulistische Flüchtlingsdiskussion einzumischen, hat er sein eigens Thema gesetzt und eine gesellschaftlich-ethische Diskussion über Organspenden ausgelöst. Anders als Amtsvorgänger Hermann Gröhe (CDU) spricht sich Spahn für eine „Widerspruchslösung“ aus. Er hat nicht nur die Umfrage-Mehrheit der Bevölkerung auf seiner Seite, auch Kanzlerin Angela Merkel stellt sich hinter Spahns Vorstoß. Gut möglich also, dass Spahns Name in absehbarer Zeit positiv mit einem grundlegenden politischen Kurswechsel in der Transplantationspolitik – mit einer wichtigen Frage über Leben und Tod – haften bleibt.

Und das Rx-Versandverbot? Im Interview mit der Apothekenumschau hat sich Spahn auf die Herstellung fairen Wettbewerbs zwischen Versandapotheken und den Vor-Ort-Apotheken festgelegt. Wie er das umsetzen will, bleibt vorerst aber im Dunklen. Dafür brodelt die Gerüchteküche.

Einige wollen erfahren haben, dass Spahn die Arzneimittelpreisverordnung (AmPreisV) ins Sozialgesetzbuch V ziehen will, um sie dem politischen Zugriff der EU zu entziehen. Dann könnte ein Boni-Verbot doch noch kommen oder ein Deckel den Aktionsradius der Versender eingrenzen und die ABDA-Forderung nach Gleichpreisigkeit in Erfüllung gehen.

Andere wiederum wollen wissen, dass diese Idee aus rechtlichen Gründen bereits im BMG verworfen wurde und stattdessen dem Versandhandel das Leben schwer gemacht werden soll. Die GDP-Auflagen des Großhandels könnten auch für die Versender gelten, heißt es. Dann müsste aber auch der Botendienst der Apotheken die strenge Regeln erfüllen. Das schüfe an anderer Stelle neue Probleme.

Als dritte Variante wird über einen Strukturfonds spekuliert. DAV-Chef Fritz Becker erhielte einen Budget für versorgungsrelevante Apotheken. Spahn könnte zuschauen, wie im Apothekenlager ein Verteilungskampf um die Millionen ausbräche.

Auch in der ABDA hat man naturgemäß Spahns Schachzüge in den letzten Wochen akribisch beobachtet und analysiert. Spahn hat bislang Punkt für Punkt den Koalitionsvertrag abgearbeitet, ist bei der Pflege und mit dem GKV-Beitragsgesetz über die Zielsetzung hinausgegangen. Warum also sollte sich der ambitionierte Bundesgesundheitsminister ausgerechnet dem Rx-Versandverbot gegen den Koalitionsvertrag wenden. Politischen Gewinn brächte das für Spahn wohl kaum.

Wenn eines Tages ein Nachfolger für Kanzlerin Angela Merkel gesucht wird, benötigt jeder Kandidat die Unterstützung der CSU – und die steht fest zum Rx-VV. Auf den Weg zur Kanzlerschaft ist das Rx-VV nur ein Randnotiz in Spahns politischem Fahrplan. Persönliche Prioritäten spielen daher keine Rolle.

Spahn hat in München Bayerns Gesundheitsministerin Melanie Huml einen Besuch abgestattet. Anders als Merkel ist Spahn auch im CSU-Landtagswahlkampf als Redner willkommen. Zur Kanzlerschaft benötigt Spahn Verbündete. Warum also die CSU beim Rx-VV im Regen stehen lassen? – hofft man bei der ABDA auf doch noch positives Ende des langen Kampfes.

Ein weiteres Argument wird im Apothekenlager hin und her gewälzt. Für die seit 2015 freiverkäufliche „Pille danach“ gilt in Deutschland ein Versandverbot. „Aus gutem Grund“, wie es bei Apothekern heißt, weil dafür eine apothekerliche Beratung erforderlich ist. Was für Notfallkontrazeptiva in Deutschland gelte und von der EU gebilligt werde, könne problemlos auf alle Rx-Arzneimittel übertragen werden. Wer wie von Spahn propagiert, politische Entscheidungen auf Faktenbasis und nicht auf Emotionen gründe, müsse am Ende aller Überlegungen zum Rx-VV kommen.

Womöglich gibt es für Spahn noch einen anderen Ausweg aus dem Rx-VV-Dilemma: Bei den Bayreuther Wagnerfestspielen zum Beginn der Sommerpause postete der Gesundheitsminister auf Instagram ein Foto: Darauf sind Spahn und der Niederländische Ministerpräsident Mark Rutte im Smoking fröhlich lachend und schulterklopfend wie alte Kumpels in der Pause der Lohengrin-Aufführung zu sehen. Bekanntermaßen lehnt Rute ein Rx-VV ab und hat bereits auf diplomatischer Ebene interveniert. Ein entsprechender Gesetzentwurf Spahns müsste das EU-Notifizierungsverfahren durchlaufen und könnte dort stecken blieben.

Sollte fairer Wettbewerb nicht auf andere Weise hergestellt werden können, „nehmen wir ein generelles Versandhandelsverbot für rezeptpflichtige Medikamente in den Blick“, sagte Spahn der Apotheken Umschau. Auch so könnten sich scheinbar unlösbare Aufgaben erledigen lassen.

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