Kommentar

Offenes Haus fürs Preisdiktat

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Berlin -

Immer häufiger setzen Kassen heute auf die sogenannten „Open-House“-Verträge. Anders als bei den klassischen Rabattverträgen müssen sie bei diesem Verfahren nicht darauf hoffen, dass sich die Hersteller gegenseitig unterbieten und einen guten Preis anbieten. Stattdessen legen die Kassen die Preise selbst fest – und jeder kann mitmachen. Das Modell tangiert auch die Verträge mit Apotheken.

Was auf den ersten Blick gut klingt, bedeutet für die Hersteller vor allem eines: Friss oder stirb. Denn die Preise macht dann nicht mehr die Industrie, sondern die Kasse. Die Hersteller haben nur noch die Wahl, entweder mitzumachen oder sich der ganzen Sache zu verweigern.

Das ist auch die einzige Gefahr für die Kassen: dass sie überreizt und keiner mitmacht. Aber das Risiko scheint überschaubar. Zum einen findet sich wohl immer ein Reimporteur oder ein neuer Generikahersteller aus Indien, der sein Glück versucht. Und zum anderen wird der Preis schlimmstenfalls einfach leicht nach oben korrigiert und ein zweiter Versuch gestartet.

Doch selbst für die Unternehmen, die sich auf die Verträge einlassen, bieten sie keine Sicherheit. Während sich ein Hersteller bei den klassischen Rabattverträgen mit großen Nachlässen wenigstens ein Stückchen Exklusivität erkauft, sind die Open-House-Verträge – wie der Name sagt – offen für die Konkurrenz. Zumindest in der Theorie.

Besonders beliebt sind die offenen Verträge bei Arzneimitteln, die kurz davor stehen, den Patentschutz zu verlieren. Die Kassen argumentieren, dass so die Generikahersteller mehr Zeit haben, sich auf die „richtigen“ Rabattverträge vorzubereiten. Doch auch für die Kassen bietet das Modell Vorteile: Von Anfang an sichern sie sich Nachlässe, und mehr Wettbewerber drücken den Preis.

Der Europäische Gerichtshof soll nun prüfen, ob das neue Vertragsmodell überhaupt rechtens ist. Entscheidend ist dabei die Frage, ob die Ausschreibung ohne Auswahl ein öffentlicher Auftrag ist – und damit dem Vergaberecht unterliegt.

Für die Hersteller bedeutet das Verfahren um die Open-House-Verträge derzeit aber nur noch mehr Unsicherheit. Denn bis zu einer endgültigen Entscheidung kann es noch Jahre dauern. Fraglich ist, wie die Ausschreibungen bis dahin gehandhabt werden. Die Hersteller stehen also vor der Wahl, einem vermeintlich falschen Vertrag beizutreten und dem Spardiktat der Kassen zu folgen, oder das Feld den anderen überlassen – und später gegebenenfalls auf Schadensersatz klagen.

Die Diskussion um die richtige Auftragsvergabe könnte auch für Apothekenverträge relevant sein: In Baden-Württemberg hat die AOK einen Vertrag mit Apotheken über die Versorgung von Ärzten mit Rezepturarzneimitteln für die Behandlung der feuchten, altersabhängigen Makuladegeneration und anderer Krankheiten abgeschlossen.

Die Frage, ob es sich dabei um einen Selektivvertrag handelt, ist nicht unumstritten: Zwar sind nur 26 Apotheken Vertragspartner, andererseits kann jede Apotheke beitreten, die die Voraussetzungen erfüllt und die Rezepturen herstellen kann – wie bei den Open-House-Verträgen mit den Herstellern. Die Frage ist also, ob die freie Apothekenwahl beeinträchtigt wird, wenn eigentlich jede Apotheke mitmachen kann.

Das Thema betrifft aber nicht nur Spezialgebiete. Schon die Präqualifizierung im Hilfsmittelbereich ist eine Selektion nach Qualitätskriterien. Während hier zumindest der Preis kein Ausschlusskriterium ist, dreht sich bei den Open-House-Verträgen irgendwann wieder die Spirale: Je niedriger der Preis, desto selektiver der Vertrag, lautet die Grundregel.

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