Kommissionsvize räumt Fehler ein

Impftermine abgesagt: AstraZeneca bringt Länder in Bedrängnis

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Berlin -

Mehrere Bundesländer ziehen aus den Kürzungen der Impfstofflieferungen durch AstraZeneca Konsequenzen. Sie beziehen sich vor allem auf die Terminvergabe von Impfungen.

Am Freitag hatte AstraZeneca angekündigt, statt 220 Millionen nur 100 Millionen Dosen bis zur Jahresmitte an die EU-Staaten liefern zu können. Ein Sprecher des Bundesgesundheitsministeriums sagte: „Wie alle anderen EU-Mitgliedsstaaten auch wird Deutschland im März vorübergehend deutlich weniger Impfstoff von AstraZeneca bekommen als geplant.“ Der Sprecher bezeichnete es als generell schwierig, verlässliche Angaben über die Liefermengen von AstraZeneca zu bekommen. Im Gegensatz zu Biontech würden diese häufig abweichen von den Ankündigungen.

Mehrere deutsche Bundesländer ziehen daraus Konsequenzen. Thüringen stoppte die Terminvergabe für Impfungen und verschob den geplanten Start von Impfungen bei Hausärzten. Landesgesundheitsministerin Heike Werner (Linke) bezeichnete die angekündigte Lieferkürzung als „absolut inakzeptabel“. Hamburg stoppte die Vergabe von Impfterminen für unter 80-Jährige. Alle bereits vereinbarten Termine würden aber eingehalten. Um diese Impfungen machen zu können, würden die noch im Lager befindlichen Impfdosen benötigt.

Sachsen-Anhalts Gesundheitsministerin Petra Grimm-Benne (SPD) sagte, die Ankündigung von Astrazeneca sei ein „herber Dämpfer für den Impffortschritt im Land“. Sie kündigte an, die Impfungen der Polizei vorerst zurückzustellen. In Berlin sollen neue Impftermine gestreckt werden, wie ein Sprecher der Gesundheitsverwaltung sagte. In Brandenburg sollen alle bisher online gebuchten Impftermine stattfinden – die längerfristigen Folgen seien aber noch offen, sagte ein Sprecher des Gesundheitsministeriums.

Mecklenburg-Vorpommern will trotz des weiterhin schleppenden Impfstoffnachschubs die Corona-Schutzimpfungen beschleunigen. Wie Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) am Samstagabend in Schwerin sagte, wird künftig weniger Impfstoff für die erforderlichen Zweitimpfungen zurückgehalten. Die Intervalle bis zur zweiten Impfung sollen auf den maximal möglichen Zeitraum ausgedehnt werden.

Bayern will trotz der Lieferkürzung wie geplant am 1. April mit dem Impfen durch die Hausärzte vor allem in den Grenzregionen starten. Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) reagierte dennoch ungehalten auf die Ankündigung des Konzerns. Sie sei „absolut inakzeptabel“ und zerstöre massiv Vertrauen, sagte der CSU-Politiker der „Bild am Sonntag“.

Der EVP-Fraktionschef Manfred Weber (CSU) erklärte der „Welt am Sonntag“, solange AstraZeneca seine Lieferzusagen nicht erfülle, „sollte die EU einen grundsätzlichen Exportstopp von in der EU produzierten Impfstoffdosen des Unternehmens verhängen“. Denn es entstehe „der Eindruck, dass andere Länder gegenüber der EU bevorzugt“ würden. Die EU hatte den USA und Großbritannien vorgeworfen, keinen im Land produzierten Impfstoff zu exportieren.

Zu Engpässen in einigen Ländern trägt auch die Verunsicherung wegen des Impfstoffes von AstraZeneca bei. Am Sonntag empfahl die Impfkommission Irlands ein Aussetzen der Impfungen mit dem Präparat des britisch-schwedischen Herstellers, bis Berichte aus Norwegen über vier Fälle schwerer Blutgerinnsel nach Verabreichung des Mittels geprüft seien. Die europäische Arzneimittelbehörde EMA erklärte allerdings, dass es keine auffällige Häufung von Thrombosen im zeitlichen Zusammenhang mit der Impfung gebe und dass der Nutzen der Verimpfung des AstraZeneca-Mittels größer sei als die Risiken.

In Italien wurde die Verabreichung einer bestimmten Charge des Impfstoffes nach „schwerwiegenden unerwünschten Ereignissen“ vorsichtshalber gestoppt. Zuvor hatten schon andere Länder das Mittel beziehungsweise eine Charge von AstraZeneca vorsorglich vom Markt genommen. Dabei wurde stets betont, dass ein Zusammenhang von Komplikationen mit dem Mittel nicht erwiesen ist. Andere Länder verimpfen das Mittel weiter.

EU-Kommissionsvize Frans Timmermans hat derweil Versäumnisse in Sachen Impfstrategie der Europäischen Union eingeräumt. „Es stimmt, dass bei der Bestellung der Impfstoffe sowohl in Brüssel als auch in den Mitgliedstaaten Fehler gemacht wurden“, sagte Timmermans dem „Tagesspiegel am Sonntag“. „Ich bin bereit, am Ende der Pandemie eine Bilanz zu ziehen. Dann können wir ja sehen, was wir falsch und was wir richtig gemacht haben.“

Der Vizechef der FDP-Bundestagsfraktion Michael Theurer erklärte, von der Leyen, Bundeskanzlerin Angela Merkel und Gesundheitsminister Jens Spahn sollten Timmermans Beispiel folgen und „ihr eigenes Versagen unter deutscher EU-Ratspräsidentschaft bei der Impfstoff-Beschaffung genauso klar zugeben“. Das wäre „ein zumindest erster Schritt, um aus diesen historischen Fehlern für die Zukunft zu lernen“.

Timmermans erklärte, ein europäisches Vorgehen sei „auch im Interesse der reicheren Staaten“ wie Deutschland. Jetzt gehe es erstmal darum, „dass ganz Europa Impfstoff bekommt“. Die EU-Kommission hat von den vier in der EU zugelassenen Corona-Impfstoffen insgesamt mindestens 1,4 Milliarden Dosen für die rund 450 Millionen EU-Bürger geordert. Allerdings wird nicht wie erwartet geliefert und der Kommission werden zögerliches Handeln, strategische Fehler bei der Bestellung und ein ungerechtes Verteilsystem vorgeworfen.

Österreich und fünf andere EU-Staaten hatten zuvor die Bestellpolitik Brüssels kritisiert und auf hoher Ebene Gespräche in der Union über eine gerechtere Verteilung der Corona-Impfdosen verlangt. Das derzeitige Bestellsystem würde „bis zum Sommer riesige Ungleichheiten unter Mitgliedsstaaten schaffen und vertiefen“, schrieben die Regierungschefs von Österreich, Bulgarien, Lettland, Slowenien und Tschechien an den EU-Ratspräsidenten Charles Michel und die Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Kroatien schloss sich dem Vorstoß am Samstag an.

Der österreichische Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) hatte am Freitag beklagt, dass Impfdosen nicht anteilig auf die EU-Staaten aufgeteilt würden und es zusätzliche Lieferverträge durch nicht transparente Verhandlungen in einer EU-Steuerungsgruppe gebe. Nach Angaben der EU-Kommission kann es zu Verschiebungen kommen, wenn nicht alle Länder gemäß ihrem Anteil bestellen. Nicht genutzte Kontingente könnten dann auf andere Mitgliedstaaten aufgeteilt werden.

Laut Kurz haben zum Beispiel die Niederlande und Dänemark Zugang zu wesentlich mehr Impfstoff pro Kopf als Länder wie Bulgarien oder Kroatien. Die sechs Regierungschefs kritisierten, dass diese Praxis der EU-Vereinbarung über eine anteilige Verteilung widerspreche. „Wir fordern Dich daher auf, Charles, so bald wie möglich eine Diskussion unter Staats-und Regierungschefs abzuhalten“, heißt es in dem Brief.

Die Niederlande und Malta wiesen die Wiener Vorwürfe zurück. Maltas Gesundheitsminister Chris Fearne sagte, die Impfstoffe für sein Land seien über den EU-Mechanismus beschafft worden. Das niederländische Gesundheitsministerium erklärte der dpa: „Wir halten uns an die Absprachen.“ Die Niederlande nutzten den Spielraum aber „maximal“ aus und übernähmen ein Kontingent, wenn ein anderes Land darauf verzichte. Die Niederlande hatten als letztes EU-Land die Impfkampagne begonnen, holen aber inzwischen auf.

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