OTC-Dachmarken

Der Grippostad-Kunde ist mündig

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Berlin -

Dachmarken für OTC-Medikamente mit unterschiedlichen Wirkstoffen sind nach der jüngsten Rechtsprechung zulässig – sofern es sich um dieselbe Indikation handelt und eine Irreführung der Verbraucher unwahrscheinlich ist. Besonders niedrig liegt die Latte offenbar bei Kombinationsarzneimitteln wie Grippostad C: Weil hier ohnehin nicht davon auszugehen sei, dass der durchschnittliche Verbraucher alle Inhaltsstoffe kenne, sei die Verwechslungsgefahr besonders gering, argumentiert das Verwaltungsgericht Köln (VG).

Stada hatte im Juli 2011 beantragt, Ibudolor künftig unter der Dachmarke Grippostad vertreiben zu können. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) lehnte ab mit der Begründung, dass Ibuprofen nicht Paracetamol sei und daher eine Verwechslungsgefahr für die Verbraucher bestehe. Diese sie sogar größer als im Fall von Fenistil, da hier derselbe Anwendungsbereich betroffen sei.

Dem folgte das VG nicht. Grundsätzlich seien Dachmarken zwar als potenziell irreführend einzustufen; allerdings müssten die Umstände des Einzelfalls berücksichtigt werden. Bei Grippostad stehe eindeutig der Einsatz bei Erkältungskrankheiten im Vordergrund – das spiegele sich sowohl im Namen, als auch auf der Verpackung und in der Werbung wider. Sogar im Beipackzettel würden zuerst die Ursachen und Symptome von Erkältungskrankheiten beschrieben, bevor die Wirkstoffe genannt würden. Ähnliches gelte für die anderen Produkte der Reihe wie Erkältungsbad, Erkältungsbalsam und Heißgetränk.

„Demnach wird durch die Vermarktung ein Verbraucherbild gefördert, dass die Grippostad-Serie mit Erkältungsmitteln verbindet, aber nicht mit bestimmten Wirkstoffen oder einem bestimmten Wirkstoff“, heißt es in der Urteilsbegründung.

Da es sich bei Grippostad C um ein Kombinationsprodukt aus vier arzneilich wirksamen Bestandteilen handele, sei auch nicht anzunehmen, dass der durchschnittliche Verbraucher die Anzahl oder Art der enthaltenen Wirkstoffe kenne. „Allenfalls wird dem Verbraucher bei der Marke Grippostad der Bestandteil Vitamin C geläufig sein, weil dieser auf der Umverpackung deutlich hervorgehoben ist und als einziger Wirkstoff auf der Vorderseite in Erscheinung tritt.“

Außerdem könne nicht außer Acht gelassen werden, dass auch die übrigen Präparate der Reihe eine unterschiedliche Zusammensetzung aufwiesen. Dabei verhinderten aber schon die verschiedenen Produktqualitäten, dass Verbraucher Grippostad mit einem bestimmten Wirkstoff in Zusammenhang brächten. Dasselbe gelte auch für die geplante Neueinführung, die als Filmtablette und nicht als Hartkapsel angeboten werden sollen. Als gemeinsames Merkmal komme daher nur die Anwendung bei Erkältungskrankheiten in Betracht, so die Richter.

Gerade bei Arzneimitteln zur Behandlung von Erkältungskrankheiten stünden nicht bestimmte Wirkstoffe im Vordergrund des Patienteninteresses, sondern der Verwendungszweck. Sollte der Patient dagegen „ausnahmsweise“ Wert auf einen bestimmten Wirkstoff legen, könne er sich als aufmerksamer Verbraucher durch einen kurzen Blick auf die Wirkstoffangabe auf der Umverpackung über den oder die enthaltenen Wirkstoffe informieren.

Vielen Verbrauchern sei inzwischen bekannt, dass es Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Wirkstoffen gebe und dass die gleichzeitige Einnahme mehrerer Arzneimittel zu gefährlichen Überdosierungen oder Wirksamkeitsverlust führen könne, so die Richter. Gerade Verbraucher mit Arzneimittelallergien achteten wegen der ihnen bekannten und gefährlichen Nebenwirkungen sehr genau darauf, welche arzneilichen Wirkstoffe sie zu sich nähmen.

Die Risiken einer Verwechslung sind aus Sicht der Richter übrigens nicht nur aus pharmakologischer Sicht gering, sondern haben im Zweifelsfall auch nichts mit der Dachmarke zu tun: Dass ein Verbraucher beide Präparate beliebig abwechselnd oder sogar gleichzeitig einnehme, sei fernliegend, genauso wie die Idee, dass er die Dosierangaben des einen Arzneimittels auf das andere übertrage.

„Eine derartige Fehlanwendung kann zwar nie ausgeschlossen werden, wäre aber nicht auf eine missverständliche Arzneimittelbezeichnung, sondern auf einen sorglosen Umgang mit Arzneimitteln zurückzuführen, die nicht dem aktuellen Verbraucherleitbild entspricht. Ein aufmerksamer Verbraucher geht nicht davon aus, dass alle Arzneimittel einer Markenserie hinsichtlich der Wirkstoffmenge und der Dosierung gleich sind“, so die Richter.

Soweit Verbraucher bei der Verwendung von Produkten der Dachmarke Grippostad auf eine ähnliche Wirkung bei Erkältungskrankheiten schlössen, wäre diese Erwartung berechtigt, da beide Arzneimittel mit dem Anwendungsgebiet der Behandlung von Schmerzen und Fieber im Rahmen von Erkältungskrankheiten zugelassen seien.

Zwar wirke Grippostad C wegen des Wirkstoffs Chlorphenamin zusätzlich gegen Schnupfen und Reizhusten. Dies ist aus Sicht der Richter jedoch kein erheblicher Unterschied, da diese speziellen Symptome bei der Beurteilung der Verbrauchererwartung an ein Erkältungsmittel nicht im Vordergrund stünden. „Patienten, die in erster Linie ihren Schnupfen oder Reizhusten lindern wollen, werden in der Regel andere Medikamente bevorzugen, deren Wirksamkeit sich speziell auf diese Symptome bezieht, wie beispielsweise ein Nasenspray oder einen Hustensaft.“

Auch der Zusatz, dass die Variante mit 200 Milligramm zum Einsatz bei Kindern gedacht sei, störte die Richter nicht. Das BfArM hatte in der Verhandlung darauf hingewiesen, dass Ibuprofen für Kinder unter sechs Jahren und unter 20 Kilogramm nicht zugelassen ist. Die Bezeichnung biete nur eine grobe Orientierung für die Entscheidung, ob ein Arzneimittel auch bei Kindern angewendet werden könne. „Sie erspart nicht die genaue Überprüfung, für welche Altersgruppen sich das Arzneimittel eignet und wie es zu dosieren ist“, so die Richter. „Ein durchschnittlicher, verständiger Verbraucher, der ein Arzneimittel für sein Kind erwerben will, wird besondere Aufmerksamkeit auf diesen Punkt richten und gegebenenfalls sogar eine Beratung beim Arzt oder Apotheker in Anspruch nehmen.“

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, aber vorläufig vollstreckbar. Bei Stada will man trotzdem abwarten, ob das BfArM in Revision geht. Die Erfolgsaussichten für die Behörde stehen aber schlecht: Im Fall von Aktren hatte das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen bereits entschieden, dass es bei Dachmarken nicht auf den Wirkstoff, sondern auf die Indikation und die Risiken ankommt.

Novartis hatte dagegen mit seiner Fenistil-Herpescreme kein Glück. Am Ende wies das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) die Beschwerde des Herstellers gegen das Urteil der Vorinstanz ab. Der Konzern hat seine Creme bereits in „Pencivir bei Lippenherpes“ umbenannt und hofft nun, eine neue Dachmarke aufbauen zu können.

Mit einem Marktanteil von 17 Prozent ist Grippostad nach Packungen das am häufigsten verkaufte Erkältungsmittel vor Aspirin complex (14 Prozent), Wick Medinait (8 Prozent) und BoxaGrippal (3 Prozent). Auf Basis der Apothekenverkaufspreise erlöste das Stada-Produkt im vergangenen Jahr 74 Millionen Euro, bei Bruttowerbeausgaben nach Nielsen in Höhe von 19 Millionen Euro.

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