Von Cimicifuga bis Sinupret

Notdienst: „Wir sind keine Arzneimittel-Spätis“

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Berlin -

Eigentlich ist der Notdienst der Apotheken für dringende Akutfälle vorgesehen: Medikamente, die im ärztlichen Bereitschaftsdienst verschrieben werden wie Schmerzmittel oder Antibiotika. Immer mehr Apotheker:innen ärgern sich aber über unnötiges Rausklingeln. Nasenspray, ein paar Latexhandschuhe oder die Frage nach einem Mönchspfefferpräparat: Ist das wirklich wichtig?

Sandra Stelke, Inhaberin der Roland-Apotheke in Bad Bramstedt im südlichen Schleswig-Holstein, kann ein Lied von Banalitäten im Nachtdienst singen: „Im vergangenen Dienst von 18 bis 8 Uhr war der Wunsch meines ersten Kunden ein paar Latexhandschuhe. Da hätte ich eigentlich schon nach Hause gehen können.“ Die nächste Kundin brauchte unbedingt Gelorevoice und Boxagrippal für ihren kranken Mann zu Hause – immerhin.

Diskussion über Notdienstgebühr

Mit dem dritten Patienten musste Stelke gar über die Notdienstgebühr diskutieren: „Er brauchte Paracetamol und wollte wissen, was die Tabletten mit Gebühr kosten, nur um mir dann zu verraten, dass er das Schmerzmittel gar nicht so dringend benötige. Er wolle nur auf Nummer sicher gehen.“ Stelke konnte nur tief durchatmen und lächeln.

Dem vierten Kunden fiel spätabends ein, dass er schwer Luft durch die Nase bekommt: „Ich verkaufte also Sinupret und Nasenspray.“ Patient Nummer 6 war ein Klassiker: „Einmal was gegen Hämorrhoiden bitte.“ Dieser Wunsch komme häufig im Notdienst vor, so Stelke. „Klar ordnet jeder für sich selbst Notfälle anders ein, aber eine Hämorrhoide bekommt man nicht plötzlich zwei Uhr nachts.“ Man bekomme den Eindruck, die Menschen denken, die Apotheker:innen wären „sowieso da“ und klingeln dann „ohne Bedenken mitten in der Nacht“, so Stelke.

Echte Notfälle in der Minderheit

Auch Rezepte, die schon vor Tagen ausgestellt wurden, sind keine Seltenheit: „Ein Patient hatte ein Rezept über Codeintropfen bekommen und erst nachts im Notdienst Zeit, das Hustenmittel aus der Apotheke zu holen“, so die Inhaberin. Die Liste der nicht dringlichen Kundenwünsche setzte sich in Stelkes Notdienst fort mit Voltaren und „irgendetwas gegen Kopfschmerzen“. „Erst gegen halb sechs in der Früh konnte ich dann echten Notfällen helfen. Dabei waren ein Migräneanfall sowie fiebernde Kleinkinder und ein Patient mit einem Antibiotikaexanthem am ganzen Körper. Diese Patient:innen waren sehr dankbar für die Hilfe.“

Apotheken sind keine Spätis

Stelkes Fazit zum Notdienst: „Der Notdienst wird in weiten Teilen der Bevölkerung als erweiterte Öffnungszeit wahrgenommen. Wir sind aber keine Arzneimittel-Spätis, wir sind für Notfälle da.“ Stelke plädiert deshalb für eine Dienstbereitschaft bis 24 Uhr und dann erst wieder ab 6 Uhr: „Das beschert uns Apothekern wenigstens einige Stunden zusammenhängenden Schlaf und reicht auch für die behandlungswürdigen Fälle aus.“ Jeder, der in der Zwischenzeit ernsthaft Hilfe benötige, könne sich in der Notaufnahme vorstellen, so die Apothekerin. „Wünsche nach Paracetamol und Nasenspray können sich am Tag zu normalen Öffnungszeiten erfüllen lassen“, so die Apothekerin.

„Ich wünsche mir insgesamt, dass unser Notdienst mehr wertgeschätzt wird. Es sollte nochmal ganz neu eingenordet werden, was Notfälle wirklich sind und ob diese in den Notdienst der Apotheken gehören“, so die Inhaberin. „Viele Menschen sind sich nicht bewusst darüber, dass Apotheker:innen wirklich die ganze Nacht in der Apotheke hocken. Auch die Notdienstgebühr von 2,50 Euro ist eher lächerlich.“

Mehr Aufklärung

Stelke steht selbstverständlich gern für fiebernde Kinder auf, aber die Menschen müssten sich auch mehr Gedanken machen, wenn sie nachts in der Apotheke klingeln: „Eine Kampagne der Abda wäre doch zum Beispiel angebracht. Was gehört alles in die Hausapotheke und wie reagiere ich, wenn XY eintritt.“ Bei sinkender Apothekenzahl, steige auch die Frequenz der Notdienste für die verbleibenden Apotheken: „Wenn ich dann nur solche Sachen wie Latexhandschuhe oder Hämorrhoidencreme habe, dann frage ich mich schon nach Sinn und Zweck des Notdienstes“, so Stelke.

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