Reimporteure

Pillenpreise auf Europareise

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Mit einer Flasche Benadryl-Hustensaft fing alles an: Als der österreichische Apotheker Andreas Mohringer vor 35 Jahren erkältet in einer englischen Apotheke stand, konnte er kaum glauben, welche Preisunterschiede es bei Arzneimitteln in den verschiedenen europäischen Ländern gab. Nach Hause zurückgekehrt, gründete Mohringer 1975 in Nordkirchen bei Dortmund Eurim, den heute ältesten Reimporteur Deutschlands. Zu Beginn gab es ein Produkt für die Krankenhausversorgung, drei Mitarbeiter und so gut wie keine gesetzlichen Vorgaben. „Keiner von uns hätte damals gedacht, was für eine Dimension der Reimport von Arzneimitteln einmal annehmen würde“, sagt Mohringer heute.

Die Branche gilt als fester dritter Marktbestandteil neben Originatoren und Generikafirmen: Rund 36 Millionen Packungen im Gesamtwert von 2,6 Milliarden Euro wurden nach Angaben des Marktforschungsunternehmens Insight Health 2009 als Reimporte an deutsche Apotheken geliefert. Damit liegt die - gesetzlich auf 5 Prozent festgelegte - Reimportquote konstant bei rund 11 Prozent und damit immer noch halb so hoch wie in anderen Ländern. Die Einsparungen schätzen Experten auf rund 250 Millionen Euro, also knapp 10 Prozent.

Nach einem dramatischen Einbruch vor sechs Jahren befindet sich die Branche wieder auf Erfolgskurs, mit jährlichen Zuwachsraten von rund 20 Prozent. Da wundert es nicht, dass fast alle Anbieter auf Nachfrage von APOTHEKE ADHOC erklärten, zuversichtlich in die Zukunft zu blicken, sowohl was die politischen als auch die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen angeht. Als größtes Problem wird nach wie vor die Situation auf den Beschaffungsmärkten gesehen: Seit Jahren übersteigt die Nachfrage das Angebot. Von einigen Produkten werden in Deutschland mehr Reimporte gehandelt als Originalware.

Grundsätzlich gibt es in der Branche seit einigen Jahren eine Verschiebung zu teureren Produkten - nicht nur weil diese sich für die Importeure am meisten lohnen, sondern auch weil die Apotheken vor allem im Hochpreissegment kein Risiko in Sachen Importquote eingehen wollen. Der durchschnittliche Packungspreis hat sich seit 2004 auf rund 74 Euro mehr als verdoppelt. Einzelne Anbieter wie Pharma Westen oder Axicorp bringen es auf rund 100 Euro, beim Onkologika-Spezialanbieter CC Pharma kostet jede Packung durchschnittlich 500 Euro. Zum Vergleich: Über alle Segmente liegt der Durchschnittspreis pro Packung bei knapp 15 Euro.


Der Unterschied ergibt sich aus dem Portfolio der Reimporteure, das stark schwankt und bei „Vollsortimentern“ in der Regel aus 500 bis 2000 Produkten besteht: Die Hälfte des Umsatzes erwirtschaftet die Branche laut Insight Health mit patentgeschützten Präparaten, vor allem aus den hochpreisigen Segmenten der Psycholeptika, Immunsuppressiva, Virusstatika und Zytostatika. 20 Prozent der Reimporte sind Altoriginale, ein Viertel Produkte wie Teststreifen und Impfstoffe. Generika spielen mit einem Anteil von 3 Prozent eine untergeordnete Rolle.

Wichtigster Vertriebsweg ist der pharmazeutische Großhandel; weniger als 10 Prozent setzen die Firmen nach eigenen Angaben im Direktgeschäft mit Apotheken um. Ausnahme: CC Pharma. Einen eigenen Außendienst haben bis auf Eurim alle großen Anbieter. Außerdem sind die Einkaufsabteilungen regelmäßig unterwegs: bei ihren jeweils mehr als 100 Lieferanten in den verschiedensten Ländern Europas.

Ein Nord/Süd- oder West/Ost-Gefälle gibt es nach Einschätzung der Firmenchefs heute kaum noch. Gekauft wird, wo bestimmte Produkte günstig zu haben sind. Nach Polen werden heute einige innovative Arzneimittel eingeführt; aufgekauft wird heute nicht nur in Griechenland oder Spanien, sondern auch in Österreich und Frankreich. Norwegen und Großbritannien haben sich aufgrund der Währungsentwicklung von Import- zu Exportmärkten gewandelt. Im Umkehrschluss gibt es kaum noch einen Export aus deutschen Apotheken. Der machte noch vor einigen Jahren einen bisweilen erheblichen Teil des Geschäfts so manches „Reimporteurs“ aus.

Den Abfluss von Arzneimitteln in andere Länder hatten in der Vergangenheit wiederholt Pharmakonzerne und Regierungen zu stoppen versucht. Erst im November wollte das Kabinett Sarkozy den Export durch ein duales Preissystem unterbinden; im Dezember wurden die Pläne per Verfassungsbeschwerde vorerst kassiert.

Auch der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat sich in den vergangenen Jahrzehnten wiederholt mit dem grenzüberschreitenden Handel von Arzneimitteln beschäftigt. Im September 2008 urteilten die EU-Richter, dass nicht die Pharmakonzerne, sondern die nationalen Aufsichtsbehörden den Rahmen für eine Kontingentierung vorgeben müssen. Im vergangenen Oktober gab der EuGH der EU-Kommission den Auftrag, das Prinzip des „Dual pricing“, bei dem Hersteller ihre Produkte je nach Empfänger zu unterschiedlichen Preisen abgeben, noch einmal zu prüfen.

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