Kommentar

Gefährliche Versuchung

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Die Bombe platzte zur Vertreterversammlung. Die Sanacorp denkt über ein Angebot zum Exklusivvertrieb mit Pfizer nach. Jahrelang hatte das Trutzbündnis der Großhändler gegen die Vertriebspläne der Pharmakonzerne gehalten. Nun scheinen Versuchung und Angst zu groß geworden: Wer Exklusivverträge in der Tasche hat, kann seinen Kundenstamm schlagartig auf alle Apotheken verbreitern, wer nicht, muss draußen bleiben. Es ist wie bei den Rabattverträgen, nur absoluter.

Auch wenn unter den Großhändlern niemand gerne das Wort „Pfizer-Modell“ in den Mund nimmt; ist allen längst bewusst, dass nicht mehr nur die Apotheken, sondern auch und vor allem die Pharmakonzerne die Kunden der Logistiker sind. Doch anders als die Apotheker, die potenziellen Kettenbetreibern die rote Karte zeigen können, müssen die Grossisten mit denen zurechtkommen, die ihnen, auch wenn sie es anders nennen, ans Leder wollen.

Natürlich wird man auch in der New Yorker Pfizer-Zentrale erkannt haben, wie schwierig die Umstellung des Vertriebsweges ist. In Großbritannien hagelte es Protest von allen Seiten, genützt hat es freilich nichts. Da dürfte im Megamarkt Deutschland eine Genossenschaft, die den Rückhalt der Apotheker genießt und flächendeckend aufgestellt ist, gerade richtig kommen.

Doch auch die Sanacorp vertritt nicht alle Apotheker und wird es schwer haben, nicht als Steigbügelhalter unter Beschuss zu geraten. Denn die Folgen des Exklusivvertriebs sind vielfältig, auch für die Apotheken: Was passiert mit den Konditionsvereinbarungen jener Großhandelskunden, die mit einem der ausgeschlossenen Unternehmen im Geschäft sind? Wie groß wird der logistische Mehraufwand für die Pharmazeuten?

Wie erpressbar werden nicht nur die Großhändler, sondern auch kleinere Apotheken, denen Pfizer die Konditionen oder - wie in Portugal diskutiert - den Lieferturnus diktiert? Was bedeutet der Exklusivvertrieb für das Kombi- und das Preismodell des Phagro, was für die Liberalisierungsdebatte des Apothekenmarktes?

Auch für die Sanacorp selbst, wie ihre Mitbewerber im deutschen Pharmagroßhandel unter Druck, stellen sich entscheidende unternehmerische Fragen: Wieviele Verträge braucht man, um ähnliche Abschlüsse der Mitbewerber und damit eigene Ausfälle kompensieren zu können? Wie funktioniert in einer Welt des gegenseitigen Ausschlusses die Beteiligung und der Aufsichtsratsvorsitz der Sanacorp bei der Anzag? Wie lange lässt sich Alliance Boots, in Großbritannien immerhin „Marktführer“ bei den Exklusivverträgen, als größter Aktionär bei der Anzag die Butter vom Brot nehmen?

Und was passiert mit den zusätzlich aufgebauten Kapazitäten, wenn Pfizer irgendwann nicht mehr auf den Rückhalt bei den unabhängigen Apothekern angewiesen ist und lieber zum Preisführer oder zu einem vertikal aufgestellten Konzern wechselt? In einer Welt der Selektivverträge gewinnt bekanntlich der stärkere Verhandlungspartner.

In Großbritannien warf ein erster Großhändler im April das Handtuch: Trotz eines allgemeinen Wachstums im Pharmagroß- und -einzelhandel müsse man zur Kenntnis nehmen, dass sich die Grundfeste der Branche gegen unabhängige und regionale Akteure richteten, seufzte der Geschäftsführer. Es dürfte fraglich sein, ob man dem Tiger die Zähne ziehen kann, indem man mit ihm spielt.

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