Aspirina in Italien

Wie sich Bayer mit einem feministischen Satiremagazin anlegte

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Berlin -

Ein kleines feministisches Satiremagazin aus Italien hat sich den Zorn von Bayer zugezogen: Auf Druck des Pharmakonzerns hat das Magazin Aspirina seinen Namen geändert. Kritiker werfen Bayer nun vor, dass der Streit einen politischen Hintergrund habe. Denn Aspirina existierte 30 Jahre unter jenem Namen, bis dahin völlig unbehelligt vom namensgebenden Leverkusener Konzern.

Kommen „feministisches Satiremagazin“ und „internationaler Pharmakonzern“ zusammen, erwartet man eigentlich eher weniger Sympathien von ersteren. Tatsächlich war die Namensgebung des Magazins aber ursprünglich sogar anerkennend gemeint: Die Autorin Bibi Tomasi, eine der Initiatorinnen des Projekts war nämlich aufgrund chronischer Beschwerden Dauerkonsumentin des bekanntesten Bayer-Produkts. Der Name Aspirina sollte eigentlich eher ein Symbol dafür sein, dass man den Weltschmerz lindern kann.

Und tatsächlich störte sich Bayer zumindest offiziell lange nicht an dem kleinen Magazin. Das war 1987 aus dem Mailänder Frauenbuchladen entstanden, der Zentrale der sogenannten Mailänder Feministinnen, einer Strömung, die der damaligen feministischen Orthodoxie des Gleichstellungsfeminismus widersprach und stattdessen feministisches Differenzdenken in den Mittelpunkt stellte. Den innerfeministischen Debatten der Zeit wollten die Autorinnen dabei mit Humor und ironischer Sprache begegnen.

Ein Massenblatt war Aspirina freilich nicht, die Auflage lag bei einigen Tausend Exemplaren, zwischen 1987 und 1991 erschienen lediglich zehn Hefte. Im Layout spielten die ersten Ausgaben noch mit dem damaligen Design der Aspirin-Packungen. Ab 2013 erschienen dann gar keine Hefte mehr: Die „acetylsatirische Zeitschrift“, so der Untertitel, zog ins Internet um und begann mit neuen Formaten, von animierten Karikaturen über Videoclips bis interaktiven Textformaten zu spielen. Dazu gehörte auch ein Videoclip der venezolanischen Künstlerin und Ökoaktivistin Argelia Bravo, der 2016 auf der Seite veröffentlicht wurde. Mit ihren Arbeiten kritisiert sie unter anderem den Agrarkonzern Monsanto für seine international umstrittenen Geschäftspraktiken.

Ein gutes Jahr später erhielten die Herausgeber Post: Bayer forderte sie auf, den Titel und die dazugehörige Internetdomain aufzugeben. „Wir schwankten hin und her zwischen Fassungslosigkeit und Wut, zwischen Gelächter und Verwünschungen“, so die Herausgeber in einer Pressemitteilung über den Moment. Doch auch die Enttäuschung scheint demnach groß gewesen zu sein: „Das Wort Aspirina und die kleine Pille haben wir immer geliebt, wir haben ihr die verschiedensten künstlerischen Ausdrucksformen verliehen, sind spielerisch mit ihr umgegangen – ohne kommerzielle Ziele und Profitinteressen. Unsere Arbeit war ehrenamtlich und gratis. Dasselbe lässt sich von Bayer nicht gerade sagen.“

Kritiker von Bayer und Sympathisanten von Aspirina sahen sofort einen zeitlichen Zusammenhang: 30 Jahre habe man nicht interessiert, als es dann aber inmitten der schlechten Presse, die der Konzern sich für sein Übernahmevorhaben mit Monsanto einhandelte, gegen das Saatgutunternehmen ging, schwingt Bayer die juristische Keule. Pat Carra, eine der Gründerinnen der Zeitschrift, sieht einen weiteren Grund für das späte Vorgehen in der Auffindbarkeit der Seite: Die Homepage habe eine optimale Suchmaschinenplatzierung gehabt, sagte sie der Wochenzeitung Jungle World. Suchte man von Italien aus nach Aspirin, habe Aspirina lange Zeit vor den Anzeigen der Schmerztablette rangiert.

Denkbar ist hingegen auch, dass Bayer – zumindest offiziell – erst durch das Video auf Aspirina aufmerksam wurde und aus markenrechtlichen Gründen zum Handeln gezwungen war. Welcher Beweggrund die Leverkusener antrieb, teilen sie jedoch nicht mit. Eine Anfrage zu den Gründen blieb bisher unbeantwortet.

Ob Bayer in einer gerichtlichen Auseinandersetzung Erfolg gehabt hätte, ist ungewiss. Nicht nur gibt es das Magazin seit über 30 Jahren, sondern die Redaktion hat den Namen bereits 1997 als geschützten Zeitschriftentitel ins italienische Verlagsregister eintragen lassen. Doch Aspririna wollte es nach eigenen Angaben nicht darauf ankommen lassen. „Auch wenn wir unsere Gründe für richtig halten, hat das unverhältnismäßige Machtgefälle, vor allem in ökonomischer Hinsicht, zur Entscheidung geführt, einen Prozess zu vermeiden, der sich über Jahre hinziehen würde“, so die Redaktion in einem gemeinsamen Statement. „Die Rechtsanwälte von Bayer – namhafte Kanzleien, in diesem Fall spezialisiert im Recht des Stärkeren – haben schließlich die Rücknahme der Namensregistrierung und der Domain durchgesetzt. Damit haben sie uns noch zusätzlich bestätigt, was wir schon vermuteten: Machtgehabe zeichnet sich auch durch absoluten Mangel an Humor aus.“

Zumindest einen Mangel an Humor kann man den Mailänder Feministinnen nicht nachsagen. Ein neuer Name musste her, da konnten sie sich einen kräftigen Seitenhieb auf die Monsanto-Debatte ganz offensichtlich nicht verkneifen. Statt Aspirina heißt sie nun: „Erbacce“, italienisch für Unkraut, mit dem Untertitel „Forme di vita resistenti ai diserbanti“ – herbizidresistente Lebensformen.

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