USA

Frauenrechtler lobbyierten für „Pink Viagra“

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Berlin -

Als der Wirkstoff Flibanserin am 18. August die Zulassung der US-Arzneimittelbehörde FDA erhielt, schaffte er es sogar in die Tagesschau. In den USA jubelte eine Gruppe Aktivisten aber besonders laut: Unter dem Aktionsnamen „Even the score“ („Den Punktestand ausgleichen“) hatten Pharma-Unternehmen und Frauenrechtsorganisationen um einen Wirkstoff gegen die sexuelle Unlust bei Frauen gekämpft. Begleitet wurde die Kampagne von einem skurrilen Video-Fight.

„Even the score“ hatte zu einer Unterschriftenaktion über die Petitionsplattform change.org aufgerufen: Mit knapp 61.000 Unterzeichnern endete die Aktion erfolgreich, der Aufruf richtete sich an den amtierenden FDA-Direktor Stephen Ostroff.

In der Petitionsbeschreibung heißt es, sexuelle Unlust bei Frauen („Hypoactive Sexual Desire Disorder“, HSDD) beeinträchtige zehn Prozent der Beziehungen und damit deren Lebensqualität. Diese Frauen verdienten eine sichere und effektive Behandlung. Unter den Hashtags #HERStory und #WomenDeserve forderte die Initiative die FDA auf, endlich Geschichte zu schreiben.

Die Gruppe besteht aus 26 Unternehmen und Organisationen, die aus unterschiedlichen Gründen die Zulassung eines Wirkstoffs gegen Libidostörungen bei Frauen befürworten: Neben Frauenrechts-, Feministen- und Gesundheitsorganisationen wie der National Organization für Women (NOW), der Women’s Health Foundation und der American Sexual Health Association (ASHA) wurde auch der damalige Flibanserin-Hersteller Sprout Pharmaceuticals in der Liste der Aktivisten geführt.

Die Initiative konnte sogar elf Kongress-Abgeordnete überzeugen, einen Brief an die FDA zu schreiben, in dem sie die Auseinandersetzung mit der Indikation der sexuellen Unlust bei Frauen unterstützen und ihr Lob an die Behörde aussprechen. Man wolle die Erwägungen der FDA in den kommenden Monaten genau beobachten und freue sich über eine Benachrichtigung, sofern es positive Entwicklungen bei der Entscheidungsfindung gebe, schrieben die Abgeordneten.

Parallel sammelte man weiter Unterschriften: Frauen hätten lange genug auf eine Lösung für ihre Beschwerden gewartet, erklären die Aktivisten in der Petitionsbeschreibung. Vor 17 Jahren sei Viagra (Sildenafil) zu Behandlung erektiler Dysfunktion bei Männern zugelassen worden, in den folgenden Jahren habe es eine wahre Flut weiterer Behandlungsoptionen gegeben. Nur für Frauen gebe es nach wie vor keine Therapie. Die Aktivisten argumentierten, Gender-Gleichheit sollte im Jahr 2015 Standard sein, wenn es um Behandlungen gegen sexuelle Unlust geht.

Kritiker, auch aus den Reihen der FDA, störten sich an dem Vergleich: Verschiedene Experten hatten betont, bis heute gebe es überhaupt keine Arzneimittel gegen Libidostörungen bei Männern. Viagra sei für die Behandlung erektiler Dysfunktion zugelassen, nicht gegen sexuelle Unlust. Trotzdem hinterließen die Argumente der Frauenrechtlerinnen offenbar Eindruck bei der FDA.

Ebenfalls Eindruck hinterlassen mehrere Clips, die in dem Zusammenhang auf der Video-Plattform Youtube veröffentlicht wurden. In einer Parodie auf die Viagra-Werbung, die Hersteller Pfizer zum Start des Präparats in den USA gelauncht hatte, räkelt sich eine einsame Schönheit auf einer Luxusliege am Meer und säuselt eine Botschaft an alle Männer: „Stell dir vor, nur du und deine Lady. Die Umgebung ist magisch. Aber dann klopft die erektile Dysfunktion wieder an die Tür. Zum Glück hast du unzählige Medikationsoptionen, die dir helfen, so scharf zu werden wie ein Teenager.“

Dann weiter: „Zu schade, dass deine Lady so etwas nicht hat, Schätzchen!“ Obwohl mehr Frauen als Männer unter sexueller Dysfunktion litten, gebe es nicht eine zugelassene Behandlungsoption für sie, so das Statement. „What the F***?! Sind wir wirklich so hinterher, dass wir glauben, Frauen hätten kein Recht auf sexuelles Verlangen?“, schimpft die Blonde in die Kamera. „Frauen verdienen etwas Besseres. Lasst uns den Punktestand ausgleichen.“

Die Maßnahme hat offenbar gegriffen, die beworbene Petition erreichte das angestrebte Ziel. Am Tag der Flibanserin-Zulassung veröffentlichte „Even the score“ ein zweites Video – diesmal als Danke-Botschaft an die FDA. Mit dem Hashtag #ThankYouFDA bedankte sich die Initiative bei der Zulassungsbehörde für ihre Entscheidung.

Das Setting des Videos ist identisch – diesmal ist die blonde Schönheit in Begleitung eines Liebhabers in bunten Boxershorts. Dieser ist sichtlich angeschlagen, scheint doch der neu zugelassene Wirkstoff bereits Wirkung entfaltet zu haben: „Das gibt meiner 4-stündigen Erektion eine ganz neue Bedeutung“, flachst der Lover. Die Handlung ist skurril, die Botschaft umso schlichter: Die Frauen haben ausgeglichen. Danke, FDA!

Nach der FDA-Zulassung verkündete Hersteller Sprout Pharmaceuticals, dass das Sexualstimulans, das auch unter dem Namen „Pink Viagra“ bekannt ist, am 17. Oktober unter dem Handelsnamen Addyi erhältlich sein soll. Zwei Tage später kaufte Valeant das Unternehmen.

Der kanadische Konzern, zu dem auch Bausch + Lomb gehört, zahlt für Sprout Pharmaceuticals mit 34 Mitarbeitern rund eine Milliarde US-Dollar (rund 890 Millionen Euro) in bar – bei Erreichen bestimmter Meilensteine kann der Betrag auch noch ansteigen.

Im vergangenen Jahr hatte Sprout zum dritten Mal die Zulassung für den Serotoninantagonisten zur Behandlung von „Hypoactive Sexual Desire Disorder“ (HSDD) bei der FDA beantragt. Flibanserin blockiert postsynaptische 5-HT-1A und -2A-Rezeptoren und soll zur nicht-hormonellen Behandlung von sexueller Unlust bei prämenopausalen Frauen eingesetzt werden.

Ursprünglich hatte Boehringer Ingelheim den Wirkstoff als Antidepressivum entwickelt und war 2010 mit einem Zulassungsantrag zur Behandlung von HSDD bei der FDA gescheitert. Das Arzneimittel sei nicht effektiv genug, um die Risiken bei der Einnahme zu rechtfertigen.

Vier Monate später warf der deutsche Konzern das Handtuch und verkaufte die Rechte schließlich 2012 an die Eigentümer von Sprout, Cindy und Robert Whitehead. Wenige Monate später wurde ein weiterer Zulassungsantrag abschlägig beschieden: Flibanserin zeige nur mäßigen Nutzen bei der Verbesserung der sexuellen Zufriedenheit der Patientinnen, hieß es damals von der FDA.

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