Intransparenz des DAV

Gedisa: Warum stellt sich der AVWL quer, Herr Rochell?

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Berlin -

16 Landesapothekerverbände haben die Finanzierung der Gesellschaft für digitale Services der Apotheken (Gedisa) durchgewinkt. Über das Vorhaben, seine Erfolgsaussichten und die Kosten für die Verbandsmitglieder gab es nirgendwo eine offene Aussprache – außer beim Apothekerverband Westfalen-Lippe (AVWL). Im Ergebnis verweigert er nach knappem Beschluss als einziger Verband die Finanzierung. Die Gründe, die in anderen Verbänden nicht diskutiert wurden, erläutert der AVWL-Vorsitzende Thomas Rochell im Interview mit APOTHEKE ADHOC.

ADHOC: Wie ist Ihre persönliche Haltung zur Entscheidung der AVWL-Mitgliederversammlung?
ROCHELL: Was die Idee der Gedisa anbelangt, also die Vision eines gemeinsamen Digitalunternehmens und einer gemeinsamen Plattform aller Apotheker, so lässt sich diese nicht als falsch bezeichnen. Doch auf der außerordentlichen Mitgliederversammlung ging es nicht um Ideen und Visionen. Es ging um die faktenbasierte Frage, ob sich der AVWL als Gesellschafter unternehmerisch und finanziell an der Gedisa, einer Kapitalgesellschaft, beteiligen soll. Dazu konnte der Vorstand den Mitgliedern keine positive Beschlussempfehlung geben.

ADHOC: Warum nicht?
Rochell: Der Vorstand ist dazu verpflichtet, seine Mitglieder umfassend zu informieren. Der Vorstand besaß jedoch keine validen Informationen, die es ihm ermöglichten, die Chancen und Risiken dieser Unternehmung zu bewerten. Wir hatten keinen aussagekräftigen Businessplan, keinen nachvollziehbaren Finanzplan, weder einen Personal- noch ein Marketingkonzept. Es lag uns auch kein Konsortialvertrag vor, der die Beziehungen der Gesellschafter untereinander regelt und nach Möglichkeit Streit vermeidende, im Zweifel aber auch Streit lösende Mechanismen bereithält. Und es fehlte ein Rechtekonzept für die Softwarerechte. Kurzum: Wir hatten, auch trotz wiederholter Nachfrage, im Grunde nichts von alldem, was im Rahmen einer Unternehmensgründung Standard ist. Erst recht nicht im Falle eines Unternehmens, zu dessen Finanzbedarf es zurückliegend durchaus schwankende Angaben gab: von circa 30 bis zu 50 Millionen Euro war die Rede. Nachdem diese Defizite und Risiken auf der Versammlung am vorvergangenen Samstag umfassend diskutiert worden sind, oblag es der Mitgliederversammlung zu entscheiden. Den Beschluss, den die Mitgliederversammlung getroffen hat, halte ich angesichts der Defizite persönlich für sehr nachvollziehbar und eingedenk dessen, dass der AVWL ein Wirtschaftsverband und seine Mitglieder ausnahmslos Kauffrauen und Kaufmänner sind, auch für folgerichtig.

ADHOC: Hätte der DAV aus Ihrer Sicht mehr Vorarbeit leisten müssen, um die Mitglieder zu überzeugen?
ROCHELL: Unseres Erachtens hätte er seinen Vereinsmitgliedern – die Verbände sind Mitglieder im DAV, der seinerseits ein Verein ist – alle Informationen über eine gründliche Vorbereitung geschuldet. Zudem hat sich der AVWL seit gut zwei Jahren zusammen mit den anderen Verbänden finanziell eingebracht, um den DAV in die Lage zu versetzen, noch vor der Gründung einer Gesellschaft mit Programmierungen und weiteren Vorbereitungen beginnen zu können. Auf Grundlage dieses Treuhandverhältnisses hatten wir erwartet, dass der DAV uns von der fachgerechten Vorbereitung der Gesellschaftsgründung umfassend informiert. Letztlich haben wir jedoch die für eine Unternehmensgründung üblichen Informationen, noch zumal als potentieller Kapitalgeber, nicht erhalten, wodurch der Vorstand in ein Dilemma versetzt wurde: Für eine bestandskräftige und aus Sicht der Gedisa insbesondere verlässliche Entscheidung, aber auch unter Haftungsgesichtspunkten war der Vorstand dazu verpflichtet, die Mitglieder über alle Umstände einer Unternehmensbeteiligung, insbesondere die Risiken ins Bild zu setzen.

ADHOC: Mit einer transparenteren Informationspolitik hätte der DAV die AVWL-Mitlgieder also umstimmen können?
ROCHELL: Ob die Mitgliederversammlung auf Grundlage vollständiger Unternehmensinformationen für eine Beteiligung an der Gedisa votiert hätte, ist spekulativ, aber angesichts des erzielten, denkbar knappen Ergebnisses keinesfalls unwahrscheinlich. Der Vorstand möchte nochmals betonen: Spätestens seit dem Frühsommer 2021 hat der Vorstand immer wieder darauf hingewiesen, welche Unterlagen er für eine Beurteilung des Vorhabens benötigt. Wir haben in mehreren Schreiben, in einer Reihe von Videokonferenzen und Sitzungen, gebeten, gemahnt und unter Hinweis auf die Regelungen des Treuhandverhältnisses auch gefordert. Wir haben nicht mehr bekommen als den Entwurf eines Gesellschaftsvertrages sowie einen unzureichenden sechsseitigen „Businessplan light“, den der DAV selbst so bezeichnet hatte.

ADHOC: Die Aufgabe, die AVWL-Mitglieder zu überzeugen, fiel Gedisa-Geschäftsführer Dr. Sören Friedrich zu. Wie schätzen Sie seinen Auftritt ein?
ROCHELL: Es ist weder an mir noch Sache des Vorstandes, das zu beurteilen. Wir haben Herrn Friedrich als Geschäftsführer der Gedisa zur Versammlung eingeladen, damit alle Mitglieder die Gelegenheit haben, Informationen aus erster Hand zu bekommen. Und natürlich auch, um die drängenden Fragen der Unternehmensplanung final zu klären. Herr Friedrich hat in seinem Vortrag die Chancen und Möglichkeiten der gemeinsamen Plattform ausgemalt und erste Services der Plattform skizziert: Kalenderfunktion, Terminplanungsmanagement, Botendienstmanagement, Chatfunktionen, Dokumentenmanagement, Dienstplanung et cetera. Darüber hinaus hat er die auf dem Tisch liegenden offenen Fragen aber offensichtlich nicht derart beantworten können, dass sich eine Mehrheit für eine Beteiligung des Verbandes an der Gedisa gefunden hat.

ADHOC: Welche konkreten Folgen hat die Nicht-Beteiligung des AVWL zu Gedisa? Können AVWL-Mitglieder die Leistungen der Gedisa künftig in Anspruch nehmen? Falls ja, zu welchen Bedingungen?
ROCHELL: Wir haben bereits auf der Mitgliederversammlung erklärt, dass der AVWL sich selbstverständlich auch für diejenigen einsetzen wird, die künftig individuell die Leistungen der Gedisa nutzen und so das Unternehmen unterstützen möchten. Wir werden deren Interessen wahrnehmen und zeitnah auf die Gedisa zugehen. Wie erläutert, hat sich der AVWL an den bisherigen Entwicklungs- und sonstigen Vorbereitungskosten beteiligt. Unter anderem ist mit den Geldern aller 17 Landesverbände das DAV-Portal bis zu seinem heutigen Entwicklungsstand finanziert worden. Die entsprechenden Rechte gehören somit auch den Mitgliedern in Westfalen-Lippe. Darüber hinaus wird man sehen müssen, zu was der DAV und die Gedisa bereit sind. Wir könnten uns beispielsweise einen Rahmenvertrag vorstellen, der unter anderem auch regelt, zu welchen Konditionen diejenigen, die die Gedisa unterstützen wollen, deren Leistungen in Anspruch nehmen können.

ADHOC: Glauben Sie, dass die Nichtbeteiligung des AVWL an der Gedisa seinen Mitgliedern künftig zum Nachteil werden kann, zum Beispiel durch höhere Beitrittsgebühren oder gar einen Ausschluss von bestimmten Leistungen?
ROCHELL: Viele der Services, die die Gedisa entwickeln will, werden auch von anderen Unternehmen zur Verfügung gestellt. Es gibt einen funktionierenden Markt und ein breites Angebot, das die Mitglieder alternativ nutzen können. In Fällen, in denen die Gedisa auf einzelne Leistungen ein Monopol hat oder ihr hoheitliche Aufgaben übertragen werden, wird sie auch den Apotheken einen Zugang zu einem angemessenen Preis eröffnen müssen, deren Verband nicht an dem Unternehmen beteiligt ist. Bereits heute muss es beispielsweise Gastzugänge zum DAV-Portal geben, damit auch Nichtmitglieder Impfzertifikate erstellen können. Im Übrigen ist das zwischen dem DAV und den Landesapothekerverbänden bisher zugrunde liegende Treuhandverhältnis noch nicht abgewickelt. Wenn die aus diesem Treuhandverhältnis entstandenen Rechte künftig auf die Gedisa übertragen werden sollten, dann ist zu klären, dass die Mitglieder des AVWL weiterhin nutzungsberechtigt bleiben. Hierzu befinden wir uns bereits in Gesprächen. Selbstverständlich werden wir dann im Gegenzug aber auch Kosten mittragen müssen, die zum Beispiel für Wartungsarbeiten entstehen.

ADHOC: Glauben Sie persönlich, dass die Gedisa die in sie gesteckten Erwartungen erfüllen kann?
ROCHELL: Das abzuschätzen, ist mir anhand der zur Verfügung gestellten rudimentären Unterlagen nicht möglich. Darüber entscheiden wird in erster Linie der Patient und Kunde, nicht die Apotheke. Es handelt sich hier um einen sehr kompetitiven Markt. Auch den Finanzrahmen kann ich ohne weitergehende Informationen zur Kostenseite, etwa zu einem dezidierten Personalkonzept, wie auch zur Einnahmeseite, insoweit wären beispielsweise künftige Gebühren der Nutzer zu berücksichtigen, nicht beurteilen.

ADHOC: Wie sehen Sie die Branche – auch verbandsseitig – mit Blick auf digitale Angebote aufgestellt?
ROCHELL: In den vergangenen Pandemiemonaten hat sich unglaublich viel getan in der Branche. Beispielsweise organisieren viele Apotheken digital unterstützt Schnelltests oder Impfungen. Impfzertifikate werden aktuell schon voll digital erstellt. Das E-Rezept ist in der bundesweiten Testphase. Viele Apotheken setzen darüber hinaus schon eine Vielzahl von Apps ein, haben ihre Internetpräsenzen überarbeitet und gegebenenfalls auch bereits damit begonnen, einen Online-Handel aufzubauen. Verbandsseitig unterstützen wir unsere Mitglieder bestmöglich: So haben wir eine Lösung aufgezeigt, wie sich der Schnelltestprozess mit digitaler Unterstützung organisieren lässt. Dafür haben wir auch Sonderkonditionen für unsere Mitglieder mit dem Softwareanbieter ausgehandelt. Diese und weitere Ansätze möchten wir weiterverfolgen. Digitale Themen stehen regelmäßig auf der Tagesordnung der Vorstandssitzungen. Und mit Jan Harbecke haben wir ein neues Vorstandsmitglied gewinnen können, das eine ganz besondere Affinität zu diesen Themen mitbringt. Seine neue Rolle bei uns freut uns alle sehr.

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