Verfügbarkeit, Beratung oder Preis? Was ist für Verbraucherinnen und Verbraucher das wichtigste Argument, ihre E-Rezepte in der Apotheker vor Ort oder im Versandhandel einzulösen? Der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI) und das Agenturnetzwerk Loge8 haben dazu Verbraucher:innen, Apotheker:innen und Hersteller befragt – und kommen zu überraschenden Erkenntnissen.
Laut Umfrage lösen 90 Prozent der Verbraucherinnen und Verbraucher ihre E-Rezepte nach wie vor in der Apotheke vor Ort ein. Schon hier zeigt sich die erste Auffälligkeit: Bei den Herstellern hatte man den Anteil auf 22 Prozent und damit mehr als doppelt so hoch geschätzt.
„Wir haben diese Marktstudie wiederholt, um herauszufinden, wie sich der Einfluss des E-Rezepts auf das OTC-Kaufverhalten im Laufe der Zeit verändert hat“, so Anja Klauke, BPI-Geschäftsfeldleiterin Selbstmedikation. „Besonders spannend für uns sind die teilweise unterschiedlichen Sichtweisen von OTC-Herstellern, Apotheken und Konsumenten.“
Über den wichtigsten Grund dafür, dass die meisten Menschen nach wie vor die Apotheke vor Ort schätzen und zum Einlösen von Rezepten nutzen, sind sich alle drei Gruppen einig. „Ich kenne das Apothekenteam gut“, ist das mit Abstand am häufigsten genannte Argument (Verbraucher: 59 Prozent, Apotheker: 60 Prozent, Hersteller: 68 Prozent).
Dass umgekehrt die Apotheke vor Ort den jeweiligen Patienten gut kennt, wird unterschiedlich oft genannt – bei den Verbrauchern sind es 36 Prozent, bei den Apothekern 47 Prozent und bei den Herstellern nur 23 Prozent.
Was die Bedeutung der Beratung angeht, gehen die Meinungen weit auseinander. In den Apotheken misst man diesem Alleinstellungsmerkmal mit 79 Prozent eine deutlich größere Bedeutung bei als bei den Kundinnen und und Kunden selbst (37 Prozent) oder auch bei den Herstellern (39 Prozent).
Das spiegelt sich auch in der fachlichen Bewertung des Medikationsplans als Kriterium wider, den nur 17 Prozent der Verbraucher, aber 41 Prozent der Apotheker für ein wichtiges Kriterium halten. Bei den Herstellern sind es 25 Prozent.
Ähnlich sieht es bei der sofortigen Verfügbarkeit als Kriterium aus, die in den Apotheken und der Industrie als deutlich relevanter eingeschätzt wird als auf der Konsumentenseite: Verbraucher: 36 Prozent, Apotheker: 76 Prozent, Hersteller: 73 Prozent.
Der Lieferung am selben Tag messen wiederum die Apotheken offenbar eine zu geringe Bedeutung bei: Während jeder dritte Verbraucher dies wichtig findet, glauben nur 19 Prozent der Apotheker, dass die Leistung eine wichtige Rolle spielen kann. Bei den Herstellern sind es 46 Prozent.
„Die große Stärke der Vor-Ort-Apotheken liegt in der persönlichen Nähe zu ihren Kundinnen und Kunden. Wenn diese Nähe auch digital und in Form einer individualisierten Kommunikation ausgespielt wird, entsteht ein Wettbewerbsvorteil, den der Versandhandel nicht bieten kann,“ sagt Tino Niggemeier, Inhaber und Geschäftsführer von Xeomed und Mitglied von Loge8.
Dr. Vanessa Conin-Ohnsorge, Geschäftsführerin von IDV Bodenheim und Mitglied von Loge8, ergänzt: „Das große Learning aus unserer Umfrage ist, dass das Potenzial der Kernkompetenzen der Apotheke nicht ausgeschöpft wird: Die Nähe zum Kunden, die individuelle Beratung, der direkte Kontakt bietet so viel Spielraum für die Apotheke, sich besser zu positionieren. Hier braucht es offenbar neue Angebote in der Kundenkommunikation.“
Was die Versender angeht, ist laut Umfrage die Bequemlichkeit das wichtigste Kriterium. „Ich muss zur Medikamentenbesorgung nicht aus dem Haus“, bringt laut 56 Prozent der Verbraucher und sogar 81 Prozent der Apotheker sowie 86 Prozent der Hersteller die Motivation vieler Kunden von DocMorris & Co. auf den Punkt.
Diskretion spielt eine untergeordnete Rolle, wie Verbraucher (19 Prozent), Apotheker (27 Prozent) und Hersteller (32 Prozent) denken.
Deutlich überschätzt wird dagegen in Fachkreisen offenbar der Bonus, den die niederländischen Versender gewähren: Aus Sicht jedes vierten Verbrauchers könnte der Rabatt von Bedeutung für die Kaufentscheidung sein. Bei Apotheken (44 Prozent) und Herstellern (64 Prozent) wird er deutlich häufiger genannt.
Die Möglichkeit, versandkostenfrei nicht verschreibungspflichtige Präparate mitzubestellen, halten 39 Prozent der Verbraucher, 24 Prozent der Apotheker und 50 Prozent der Hersteller für relevant.
Das scheint allerdings eher eine theoretische Überlegung zu sein: Nur 14 Prozent der Verbraucher gaben an, dass beim Einlösen von Rezepten im Versandhandel auch andere Produkt mitbestellt würden. Für die Vor-Ort-Apotheke gab es 19 Prozent Zustimmung. Beide Werte liegen deutlich unter dem einer Umfrage aus dem Vorjahr (37 beziehungsweise 43 Prozent).
In den Apotheken geht man dagegen davon aus, dass Zusatzverkäufe die Regel sind: 69 Prozent glauben, dass es im Versandhandel dazu kommt, 82 Prozent sehen dies für die Apotheke.
Und in der Industrie gibt es dazu ganz unterschiedliche Einschätzungen: Während 68 Prozent der Befragten dem Versandhandel solche Abverkäufe zutrauen, sind es nur 25 Prozent bei der Apotheke vor Ort.
„Aus Sicht der Apotheke ist die Divergenz bei diesem Punkt besonders spannend. Der Kunde kommt in die Apotheke mit einem E-Rezept und verlässt sie ohne Zusatzverkauf, vielleicht sogar ohne Beratung. Meines Erachtens liegt hier die Riesen-Chance für die Apotheke, den OTC-Bereich auszubauen und sich hier neu aufzustellen“, kommentiert Marcel Becker, Geschäftsleitung Dr. Beckers Central Apotheke, Gründer und Geschäftsführer von ApoVid und Mitglied von Loge8.
Adam Faßbender, stellvertretender Vorsitzender beim BPI und Geschäftsführer von Amplumed, ergänzt: „Die Zahlen überraschen nicht. Aus Industriesicht müssen wir uns hier selbst an die eigene Nase fassen: Braucht es auch von unserer Seite vielleicht ein neues Angebot der Zusammenarbeit zwischen Industrie und Apotheke?“
Diskrepanz gibt es auch bei einer weiteren Frage: Hat sich das Kaufverhalten in den vergangenen Jahren geändert? Nein, finden 90 Prozent der befragten Apothekerinnen und Apotheker. Ja, gaben 70 Prozent der Verantwortlichen aus der Industrie an.
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