Arzneimittelengpässe

Brexit: Regierung will im Notfall Medikamente einfliegen

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Berlin -

Im Falle eines harten Brexits will die Regierung von Theresa May Flugzeuge chartern und Medikamente einfliegen lassen. Das erklärte Gesundheitsminister Matt Hancock am Freitag. Scheitert Mays Brexit-Abkommen im britischen Parlament, ist mit schweren Versorgungsengpässen zu rechnen.

In London liegen die Nerven blank. Am Dienstag stimmt das britische Unterhaus über den Brexit-Deal ab, den Premierministerin Theresa May mit der EU ausgehandelt hat – und die Wetten stehen momentan gegen May. Scheitert sie an den Commons, sieht alles danach aus, dass Großbritannien die EU ohne ein Austrittsabkommen verlässt. Wortwörtlich über Nacht würde das Vereinigte Königreich damit zum Drittstaat, mit dem nach den allgemeinen Regeln der Welthandelsorganisation WHO Handel getrieben werden muss, das heißt: inklusive Zollkontrollen.

Die EU-Kommission betont, dass die europäischen Staaten diese vollumfänglich umsetzen würden. Regierungen und Behörden erwarten für diesen Fall wochenlange Verzögerungen und teils den Abriss ganzer Liefer- und Versorgungsketten. 45 Millionen Packungen Arzneimittel verlassen Großbritannien jeden Monat in Richtung EU, in die umgekehrte Richtung gehen 37 Millionen Packungen. Laut Mike Thompson, Hauptgeschäftsführer des britischen Pharmaverbands ABPI, gehen 90 Prozent dieser Im- und Exporte durch das Nadelöhr Calais, die wichtigste Schlagader des britischen Außenhandels. Im Sommer erläuterte die Regierung deshalb die „Operation Brock“: Die Autobahn M20 von London nach Dover wird halbseitig gesperrt, um als Warterampe für die LKW auf dem Weg zum wichtigsten britischen Hafen zu dienen.

Während eine Verteuerung oder ein Wegfall vieler Konsum- oder Lebensmittel schmerzhaft, aber zu verkraften wäre, sind Arzneimittel lebensnotwendig. Britischen Medienberichten zufolge könnte es im Falle eines Austritts ohne Abkommen innerhalb von 24 Stunden zu Versorgungsengpässen kommen. Bereits im Sommer hatte die britische Regierung deshalb angekündigt, Arzneimittelvorräte anzulegen, um das zu vermeiden. „Wir arbeiten gemeinsam mit den Herstellern daran, für den Fall eines Brexits ohne Abkommen die notwendigen Reserven einzulagern“, so Gesundheitsminister Matt Hancock im Sommer. Ein besonderes Problem seien dabei Präparate allerdings mit geringer Haltbarkeitsdauer, denn die sind ganz besonders auf funktionierende Lieferketten angewiesen.

Für dieses Problem hat Hancock heute eine unkonventionelle Lösung angekündigt. Inmitten des hitzigen Debattenmarathons vor der Abstimmung wandte er sich mit einer Reihe offener Briefe an die britische Gesundheitswirtschaft. Darin bekräftigt er, dass man Vorbereitungen auf einen harten Brexit weiter vorantreibe: Die anzulegenden Reserven sollen den Arzneimittelbedarf von sechs Wochen abdecken, „müssen aber um weitere Maßnahmen ergänzt werden“, so Hancock. Was damit gemeint ist, präzisierte der Gesundheitsminister wenig später gegenüber der BBC: „Wir arbeiten daran, sicherzustellen, dass wir genug Luftfahrtkapazitäten zur Verfügung haben. Falls es zu ernsten Unterbrechungen an der Grenze kommen sollte, dann werden wir Prioritäten setzen und Arzneimittel und Medizinprodukte gehören zu diesen Prioritäten.“ Auf dem – um ein Vielfaches teureren – Luftweg ließen sich die erwarteten Rückstaus nämlich umgehen.

Doch auch auf der anderen Seite des Ärmelkanals laufen die Vorbereitungen für den 29. März 2019 auf Hochtouren. Seit dem 1. Oktober konzentriert sich die Europäische Arzneimittelagentur EMA auf ihre Kernaufgaben. Bis April 2019 muss sie London verlassen und den Arbeitsbetrieb in Amsterdam aufgenommen haben. Nicht nur verursacht der Umzug einer derart großen Behörde einen enormen zusätzlichen Arbeitsbedarf, sondern mit dem Ausstieg des Gastgeberlandes aus der EU bricht auch ein nicht unerheblicher Teil des Personals weg – insgesamt rund 30 Prozent.

Um den Einbruch an Arbeitskraft bei gleichzeitig steigender Aufgabenlast zu bewerkstelligen, muss die Behörde knallhart Prioritäten setzen. So wurde die Mitarbeit in den Arbeitsgruppen ebenso heruntergefahren wie die Ausarbeitung und Aktualisierung von Guidelines. Weitergearbeitet wird nur an denjenigen Richtlinien, die als besonders wichtig für die öffentliche Gesundheit gesehen werden oder im Zusammenhang mit dem Brexit stehen. Dem Rotstift zum Opfer gefallen sind darüber hinaus die federführende Vorbereitung und Betreuung von Maßnahmen und Projekten sowie Organisation und Teilnahme an Meetings mit Verbänden und Interessengruppen. Auch neue Daten aus klinischen Studien werden nicht mehr veröffentlicht. Deadline ist hier Ende Juli – alles, was vorher eingereicht wurde, wird noch bearbeitet, der Rest muss warten.

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