Blutzucker-Teststreifen

Studie: Gigantischer Schwarzmarkt bei Ebay

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Berlin -

Teststreifen für Diabetiker sind oft knapp bemessen. Nicht immer reicht Patienten die Menge, die der Arzt verordnet hat. Dann beginnt die Suche nach günstigen Teststreifen, die nicht selten bei der Online-Plattform Ebay endet. Professor Dr. Heiko Burchert von der Fachhochschule Bielefeld hat sich mit dem Schwarzmarkt für Blutzuckerteststreifen beschäftigt und die Verkäufer analysiert. Unter ihnen vermutet der Wissenschaftlicher nicht nur Patienten, sondern auch Apothekenmitarbeiter.

In der langfristig angelegten Studie konnten rund 2500 private Anbieter zusammengetragen werden. Von diesen wurden 939 Verkäufer nach einem Zufallsprinzip ausgewählt und von Januar 2011 an drei Jahre lang beobachtet. Die Ergebnisse seiner Analysen wurden nun im Diabetes-Journal veröffentlicht.

Bei Ebay-Geschäften sind bewertete Verkäufe im Nachhinein nachvollziehbar. Daher wurden nur diese in der Untersuchung erfasst. Die Forscher gehen davon aus, dass nur rund 40 Prozent der Transaktionen tatsächlich bewertet werden. Somit liege die Zahl der über Ebay abgewickelten Verkäufe vermutlich um etwa das 2,5-fache höher.

Insgesamt haben die beobachteten Nutzer laut Burchert knapp 25.000 bewertete Verkäufe getätigt. Dabei wurden rund 2,4 Millionen Blutzuckerteststreifen veräußert und knapp 800.000 Euro umgesetzt. Durchschnittlich wurden 100 Teststreifen verkauft. Das tatsächliche Verkaufsvolumen schätzen die Forscher auf rund 6 Millionen Teststreifen mit einem Volumen von rund 2 Millionen Euro.

Der durchschnittliche Preis für eine Packung mit 50 Teststreifen liegt laut Burchert bei 16,28 Euro – und damit deutlich unterhalb des Apothekenpreises. Die Preise schwankten allerdings zwischen 13 und 30 Euro.

In der Regel gebe es gleichzeitig zwischen 900 und 1300 Angebote von Privatpersonen, so Burchert. Sonntags gebe es die meisten Angebote. Außerdem konnte der Ökonom feststellen, dass das Angebot am Anfang eines Quartals meist höher war als zum Ende hin. Burchert analysierte darüber hinaus die Verkaufshistorie der 939 Anbieter und teilte die Verkäufer in vier Gruppen ein: Diabetiker, dankbare Versorger, Entsorger und Massenrealisierer.

Diabetiker, die als Verkäufer tätig werden, fallen demnach insbesondere dadurch auf, dass sie in regelmäßigen Abständen, etwa zum Ende des Monats oder Quartals, einmalig Teststreifen verkaufen, meist die 50er-Packung. Dabei handelt es sich jeweils um die gleiche Marke. Wenn der Arzt monatlich 200 Teststreifen verschreibe, der Diabetiker aber täglich nur drei benötige, blieben 50 übrig, die verkauft werden könnten. Damit ergebe sich ein jährlicher Nebenverdienst von 200 bis 300 Euro, rechnet Burchert vor.

„Nicht freuen dürfte das den Arzt, auf dessen begrenztes Budget jede Verordnung von Teststreifen angerechnet wird“, schreibt Burchert. Auch die Krankenkassen seien nicht erfreut. Allerdings könnten bislang weder Arzt noch Kasse nachweisen, wie viele Teststreifen der Patient tatsächlich genutzt habe.

Die zweite Gruppe, die dankbaren Versorger, realisieren laut Analyse mehrere Verkäufe im Monat, jeweils würden zwischen 50 und 200 Teststreifen abgegeben. Insgesamt kämen auf diese Weise 500 bis 1000 Teststreifen im Monat in den Verkehr. Oft würden gleichzeitig verschiedene Marken angeboten und zudem andere Diabetiker-Produkte wie Kanülen, Lanzetten, Stechhilfen, Blutzuckermessgeräte oder Insulinpens.

Diese Mengen bekomme kein Diabetiker verordnet, so Burchert. Daher liege der Verdacht nahe, dass es sich bei den Verkäufern um Menschen handele, die mehreren Diabetikern nahestünden – etwa Mitarbeiter ambulanter Pflegedienste oder Pflegeheime. Diese seien froh, wenn sie regelmäßig von den pflegebedürftigen Diabetikern aus Dankbarkeit oder Mitleid Teststreifen zum Zweck des Weiterveräußerns erhielten. Auf diese Weise könne ein jährliches Nebeneinkommen von 2000 bis 4000 Euro entstehen.

Ähnlich bewertet Burchert die dritte Gruppe, die Entsorger. Diese kümmerten sich um die Restbestände, nachdem ein Diabetiker verstorben sei. Nach dem Tod seien die Hinterbliebenen mit den teils umfänglichen Restbeständen konfrontiert und würden oft bei Pflegediensten anfragen, ob die Produkte nicht weiterverwendet werden könnten.

Diese Verkäufer bieten Burchert zufolge relativ selten, dann aber vergleichsweise große Mengen an Teststreifen an. Fairerweise werde meist nicht versäumt, auf die Resthaltbarkeitsdauer hinzuweisen, und das Bietverfahren bei einem sehr niedrigen Preis begonnen. Die Frage des Nebenverdienstes stelle sich hier eher nicht, so Burchert. Vielmehr gehe es um die Überlegung, Diabetesprodukte nicht verloren gehen zu lassen.

Die vierte Gruppe bezeichnet der Ökonom als „Massenrealisierer“. Dabei handele es sich um Verkäufer, die täglich mehrere Verkäufe tätigten und so innerhalb von drei Jahren auf 300 bis 1000 bewertete Verkäufe kämen. Dabei handelt es sich aus Sicht von Burchert um Verkäufer mit einem beruflichen Zugang zu einer ständig verfügbaren, großen Masse an Teststreifen. Dazu zählt er neben Apothekern Außendienstmitarbeiter von Pharmaunternehmen sowie Mitarbeiter von Großhändlern, diabetogischen Schwerpunktpraxen und Diabeteskliniken.

Die Massenrealisierer verkaufen nahezu standardisiert nur jeweils eine oder zwei 50er-Packungen. Für die Abwicklung gebe es ein separates Ebay-Konto und das Angebot laufe nur über die Option zum Sofortkauf, nicht über Auktionen. Dies alles sind laut Burchert deutliche Zeichen für ein hohes Maß an Professionalität, verbunden mit klaren Einkommensinteressen. Der Spitzenverdiener unter den Massenrealisieren habe in den drei Jahren einen Umsatz von 40.000 Euro erwirtschaftet.

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