Vertragsverletzungsverfahren

EU-Kommission: Rx-Boni für Holland-Versender

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Berlin -

Deutschland droht erneut Ärger mit Brüssel: Die EU-Kommission hat ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik eingeleitet, weil sich ausländische Versandapotheken hierzulande an die Preisvorschriften halten müssen. Aus Sicht der EU-Behörde werden DocMorris & Co. damit diskriminiert. Die Bundesregierung hat die Regelung verteidigt, die Kommission ist noch nicht zufrieden. Eine zweite Erklärung ist Berlin schuldig geblieben, seitdem ist schon mehr als ein Jahr vergangen.

Die damalige schwarz-gelbe Koalition hatte im Oktober 2012 das Arzneimittelgesetz (AMG) geändert. Immer wieder hatte es gerichtliche Auseinandersetzungen zu Rx-Boni ausländischer Versandapotheken gegeben. Daher wurde ausdrücklich festgeschrieben, dass die Preisbindung auch für Arzneimittel gilt, die von Apotheken aus dem EU-Ausland an Patienten in Deutschland abgegeben werden. Zuvor hatte schon der Gemeinsame Senat der obersten Bundesgerichte im August 2012 entschieden, dass gleiches Recht für alle gilt.

Der Verband der Europäischen Versandapotheken (EAMSP) hatte sich in Brüssel über das Urteil und die Gesetzesänderung beschwert. Aus Sicht des Verbandes, zu dem Branchengrößen wie DocMorris und die Europa Apotheek Venlo (EAV) gehören, verstößt das Gesetz gegen europäisches Recht. Auch die EAV soll als Unternehmen in Brüssel vorgesprochen haben.

Die EU-Behörde wurde schnell aktiv: Am 4. Dezember 2012 erkundigte sich die Dienststelle der Kommission bei der deutschen Regierung, ob die Ausweitung des Geltungsbereichs der Arzneimittelpreisverordnung (AMPreisV) auf EU-Apotheken außerhalb Deutschlands gegen den Grundsatz des freien Warenverkehrs verstoße. Berlin sollte zudem erklären, warum die AMG-Änderung den europäischen Kollegen nicht mitgeteilt wurde und ob die niederländischen Behörden unterrichtet worden seien.

Das Bundesaußenministerium, damals unter der Leitung von Guido Westerwelle (FDP), antwortete der Kommission am 29. Januar 2013. Die Preisbindung stelle „keinerlei Diskriminierung zwischen deutschen und ausländischen Versandapotheken“ dar und sei „aus Gründen des Gesundheitsschutzes gerechtfertigt“. Eine Mitteilungspflicht für die Gesetzesänderung wurde in Berlin gänzlich bestritten.

Die Antwort wurde von der Kommission als „nicht in allen Punkten zufriedenstellend“ zurückgewiesen. Am 20. November 2013 schrieb Vizepräsident Antonio Tajani erneut an Westerwelle und teilte ihm mit, dass Deutschland gegen seine Verpflichtungen aus den EU-Verträgen verstoße. Je nach Antwort der Regierung behalte sich die Kommission vor, eine mit Gründen versehene Stellungnahme nach Berlin zu schicken. Das ist die nächste Stufe im Vertragsverletzungsverfahren, eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) wäre das letzte Mittel.

Auch Sicht der Kommission verstößt die deutsche Regelung gegen die Warenverkehrsfreiheit gemäß Artikel 34 der europäischen Verträge. Preisvorschriften sind darin zwar nicht geregelt. Die Kommission verweist aber auf die EuGH-Rechtsprechung, wonach ein nationales Preisrecht selbst dann für Ungleichheit sorgen kann, wenn es für alle gleichermaßen gilt. Im konkreten Fall seien ausländische Versandapotheken von den Preisvorschriften nicht in gleicher Weise berührt wie die deutschen Apotheken, heißt es.

Tatsächlich werde der Marktzugang „wesentlich erschwert“, schreibt Kommissar Tajani. Der Italiener begründet dies auch mit dem Fremdbesitzverbot: Da Kapitalgesellschaften in Deutschland keine Apotheken betreiben dürften, hätten sie strukturelle Nachteile. Der Versandhandel aus dem Ausland sei die einzige Chance, überhaupt hierzulande aktiv zu werden. Entziehe man den EU-Versendern die Möglichkeit, ihre Waren entsprechend der in ihrem Land geltenden Preisvorschriften zu verkaufen, „so verlieren sie ihren wichtigsten Wettbewerbsvorteil“, so Tajani.

DocMorris gehört dem Vernehmen nach nicht zu den Beschwerdeführern. Der Kommission liegen aber offensichtlich Geschäftszahlen der Versandapotheke vor. Tajani zufolge hat die größte niederländische Versandapotheke nach Inkrafttreten der AMG-Novelle 80 Prozent ihrer Neukunden in Deutschland verloren. „Es lässt sich also sagen, dass sich die neue Rechtslage in Deutschland auf deutsche Apotheken, einschließlich Versandapotheken, nicht auswirkt, sie jedoch eine erhebliche Beeinträchtigung von nicht im deutschen Hoheitsgebiet ansässigen Apotheken bedeutet“, so die Kommission.

Die Bindung der EU-Versender an die Preisvorschriften komme daher faktisch einer mengenmäßigen Einfuhrbeschränkung gleich, schreibt Tajani. Daher sei das Gesetz ein Verstoß gegen die Warenverkehrsfreiheit, konstatiert der für Unternehmen und Industrie zuständige EU-Kommissar.

Die Bundesregierung verteidigte die Preisbindung mit dem Verweis auf den Gesundheitsschutz. Denn in der EU dürfen die Mitgliedstaaten selbst entscheiden, auf welchem Niveau sie diesen Schutz gewährleisten. Einschränkungen des Warenverkehrs müssen allerdings begründet werden.

Die Kommission ließ sich von den Argumenten nicht überzeugen: Da es um verschreibungspflichtige Arzneimittel gehe, sei allein der Arzt verantwortlich für die abgegebene Menge. Apotheken könnten nie mehr Arzneimittel abgeben, der Preis des Medikaments habe überhaupt keine Auswirkung auf die Menge. Dass Patienten, wie von der Bundesregierung befürchtet, Druck auf Ärzte ausüben könnten, ihnen Arzneimittel zu verordnen, müsse erst noch bewiesen werden. Bislang hätten die deutschen Behörden hierzu jedenfalls nichts vorgelegt, so Tajani.

Die festen Preise werden von der deutschen Regierung auch mit der flächendeckenden Versorgung begründet. Die EU-Kommission lässt auch dies nicht gelten. Es gebe wiederum keine Beweise, dass Rx-Boni die Arzneimittelversorgung gefährdeten. Die Zahl der Apotheken sei vor der Gesetzesänderung weder insgesamt noch in ländlichen Gebieten rückläufig gewesen, heißt es. Auf dem Land sei die Online-Alternative für die Versorgung sogar eine Verbesserung, schreibt die Kommission. Die Ausweitung der Regelung auf EU-Versandapotheken sei also nicht gerechtfertigt.

Gänzlich entschlossen ist man in Brüssel aber offenbar nicht. Tajani hatte
Westerwelle aufgefordert, innerhalb von zwei Monaten zu antworten. Sollte die Bundesregierung die Frist verstreichen lassen oder ihre Regelung nicht gut begründen, würde die Kommission das Vertragsverletzungsverfahren vorantreiben. Doch seitdem ist mehr als ein Jahr verstrichen, ohne dass die Regierung sich überhaupt noch einmal zu dem Thema geäußert hätte. Man warte derzeit auf die Antwort der deutschen Behörden zu dem Aufforderungsschreiben aus dem Dezember 2013, hieß es auf Nachfrage aus Brüssel.

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