Kommentar

Ärzte im Boykottfieber

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Berlin -

Die Ärzte haben ihre erste Machtprobe mit Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) gewonnen. Doch statt den Erfolg still zu genießen, manövrieren sie sich mit neuerlichen Boykottaufrufen und -androhungen geradewegs ins Abseits.

Nicht umsonst gelten die Ärzteverbände als mächtigste Lobby im Gesundheitswesen. Nicht nur wegen der Reichweite der mehr als 100.000 Arztpraxen in Deutschland sind sie gefürchtet, sondern auch weil das Wort eines Arztes nun einmal ein besonderes Gewicht hat.

Lauterbach weiß das, immerhin ist er nicht nur seit 20 Jahren Gesundheitspolitiker, sondern selbst Arzt. Gleich zu Beginn seiner Amtszeit sagte er auf Drängen der Ärzteschaft nicht nur das E-Rezept ab, sondern stellte ihnen bei seinem überraschend unterwürfigen Antrittsbesuch im „Praxischeck“ der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) quasi einen Blankocheck für alle ihre Forderungen aus. Bei der Präsentation seines Spargesetzes gab er schließlich offen zu Protokoll, dass er die Ärzte wegen ihrer besonderen Bedeutung und der Inflation ausnehmen wolle. Mit den Apotheker- und Pharmaverbänden dagegen hat er bis heute noch nicht einmal gesprochen.

Doch Lauterbach wäre nicht Lauterbach, wenn er nicht am Ende doch das Gegenteil dessen tun würde, was er eigentlich angekündigt hat – und sich damit diejenigen zum Feind macht, die er eigentlich als Verbündete wollte: Die angekündigten Korrekturen bei der Honorierung von Erstpatienten sahen die Ärzte jedenfalls nicht als Kleinigkeit, sondern als Sparbeitrag in dreistelliger Millionenhöhe. Der Protest kam prompt und aus allen Rohren.

Dass Lauterbach nebenbei noch die Testverordnung versemmelte, war lobbypolitisch so etwas wie ein Glücksfall. Nun konnte die Ärzteschaft nicht nur Kritik äußern, sondern schlichtweg die Umsetzung verweigern. Hastig musste Lauterbachs Sprecher versichern, dass man darüber sprechen könne und dass die Abrechnung auf jeden Fall gesichert sei. Es fehlte nicht viel, dann wäre die Sache für Lauterbach unkontrollierbar geworden.

Ein Wochenende und zwei Gespräche später war der Eklat dann doch fürs Erste vom Tisch: Die Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) dürfen die Bürgertests weiter abrechnen und den erklecklichen Verwaltungskostenersatz von bis zu 3,5 Prozent einstreichen, müssen sie aber nicht kontrollieren und auch nicht fürchten, selbst kontrolliert oder gar belangt zu werden. Ein schöner Erfolg, über den man sich eigentlich freuen und auf den man auch bei späteren Gelegenheiten noch einmal gezielt zu sprechen kommen könnte.

Unverhohlen freut sich dann auch der Vorstandsvorsitzende der KV Nordrhein (KVNO), Dr. Frank Bergmann, darüber, „dass wir eine starke Stimme haben und gehört werden“. Für ihn ist klar: „Ohne die niedergelassene Ärzteschaft geht es nicht – gerade auch mit Blick auf die noch anstehenden Herausforderungen in der Corona-Pandemie.“

Doch im Siegestaumel wird schon der nächste Boykott angedroht: Die KV Berlin kündigt an, wegen des geplanten Spargesetzes keine weiteren Versicherten aufzunehmen. „Das werden wir nicht auf uns sitzen lassen. Wir werden uns gegen diese Streichung wehren. Wir werden unsere Praxen schließen, wenn unser Budget ausgeschöpft ist. Und wir werden keine neuen Patient:innen mehr aufnehmen“, heißt es in einem offenen Brief, den die Vorsitzende der Vertreterversammlung, Dr. Christiane Wessel, an den Bundesgesundheitsminister verfasst hat. So offen mit einem Behandlungsboykott zu drohen, das schaffen nur die Ärzt:innen. Andererseits: Wer in den vergangenen Monaten eine Magenspiegelung brauchte, musste die Darmspiegelung mit dazu nehmen, weil sich die Gastroenterologen nicht mit Kassen auf eine Erstattung der Hygienekosten einigen konnten.

So in Fahrt keilen die Mediziner:innen auch weiter gegen die pharmazeutischen Kolleg:innen, das heilberufliche Verhältnis hat einen neuen Tiefpunkt erreicht. Grippeimpfungen und pharmazeutischen Dienstleistungen bringen die Ärzteverbände reihenweise auf die Palme. Die KV Hessen wirft nun jeglichen Anstand über Bord und fordert ihre Mitglieder auf, Apothekerfehler zu sammeln und ihren Sprechstundenbedarf woanders zu bestellen. Solche Boykottaufruf sind im Wirtschaftsleben unzulässig – im Politikbetrieb immerhin geschmacklos.

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