Im Jahr 2022 gab es einen großen Diphtherieausbruch in Westeuropa. Dieser führte zum stärksten Anstieg gemeldeter Infektionen seit 70 Jahren. Die Übertragungsquelle soll entlang etablierter Migrationsrouten nach Europa führen, wie eine Studie nun belegen konnte. Das Problem: Bakterienstämme aus jener Zeit verursachen noch immer Neuinfektionen in der Region. Zudem ist auch die Impfquote seit 2020 gesunken.
2022 wurde in mehreren europäischen Ländern eine ungewöhnliche hohe Anzahl Infektionen mit Corynebacterium diphtheriae gemeldet. Die meisten Fälle betrafen junge, männliche Geflüchtete – vorwiegend aus Afghanistan und Syrien – die kürzlich über Migrationsrouten, insbesondere durch den westlichen Balkan, nach Europa gekommen waren. Ein europäisches Forschungskonsortium analysierte 363 bakterielle Isolate aus zehn Ländern und konnte eine genetisch sehr ähnliche Struktur der Erreger nachweisen. Die Ergebnisse wurden im „New England Journal of Medicine (NEJM)“ veröffentlicht.
„Dies deutet auf eine gemeinsame Infektionsquelle oder darauf hin, dass es bestimmte Orte entlang der Reiserouten bei der Migration in europäische Länder gibt, an denen eine anhaltende Diphtherieübertragung stattfindet“, erklärt Andreas Hoefer vom European Centre for Disease Prevention and Control (ECDC).
Der Großteil der Patienten litt an kutaner Diphtherie, einige an der gefährlicheren respiratorischen Form. Die meisten Erkrankten waren nicht oder nur unzureichend geimpft. Laut Professor Dr. Adrian Egli von der Universität Zürich kann Diphtherie „ein breites Spektrum an klinischen Symptomen zeigen“, wobei vor allem „Komplikationen der Atemwege gefürchtet“ sind.
Dank eines schnellen Austauschs von Sequenzierungsdaten unter den betroffenen Ländern konnten die Übertragungswege nachvollzogen und Gegenmaßnahmen ergriffen werden. Stefanie Schindler, Mikrobiologin bei der Österreichischen Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES) betont: „Die Entdeckung des ersten respiratorischen Diphtheriefalls in Österreich nach fast 30 Jahren […] hat gezeigt, wie wichtig der grenzüberschreitende Informationsaustausch ist.“
Trotz Eindämmung des Ausbruchs bis Ende 2022 wurden seither weitere Infektionen mit Stämmen von damals gemeldet. Hoefer warnt: „Sowohl Angehörige der öffentlichen Gesundheit als auch Gesundheitsdienstleister müssen deshalb wachsam bleiben.“
Dr. Sabrina Bacci, Leiterin der Abteilung Vaccine Preventable Diseases and Immunisation und Immunisierung beim ECDC unterstreicht die Bedeutung eines aktuellen Impfschutzes: „Dies gilt insbesondere für gefährdete Bevölkerungsgruppen wie Migranten, Obdachlose, Drogenabhängige, ungeimpfte Personen und ältere Menschen mit Vorerkrankungen.
Vor allem vielen Kindern in Deutschland fehlt „der vollständige Impfschutz vor Erkrankungen wie Poliomyelitis (Kinderlähmung), Pertussis (Keuchhusten) oder Masern“, konstatiert auch das Robert Koch-Institut (RKI). „Seit dem Geburtsjahrgang 2020 ist ein Absinken der DTP3-Impfquote auf zuletzt 64 Prozent mit 15 Monaten zu beobachten“. Mehr als ein Drittel der Kinder hat im empfohlenen Alter also noch keine dritte Dosis erhalten.
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