Suchterkrankungen

Viele Senioren alkoholabhängig

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München -

Beim Alkoholmissbrauch sind Senioren ebenso gefährdet wie Jüngere. Trotzdem ist das Thema in Arztpraxen und beim Pflegepersonal oft nicht präsent. Die ältere Dame, die torkelt und stürzt, der Senior, der undeutlich spricht, die Rollstuhlfahrerin, die vergesslich geworden ist – wer kommt schon auf die Idee, dass sie alle ein Gläschen zu viel getrunken haben könnten?

Ein Drittel aller Männer und jede fünfte Frau im Alter zwischen 65 und 79 Jahren konsumieren einer Studie des Robert Koch-Instituts (RKI) zufolge in riskantem Umfang Alkohol. Das bedeutet: mehr als der Gesundheit gut tut. Bei Frauen liegt die Grenze bei 10 bis 12 Gramm reinem Alkohol pro Tag. Das entspricht etwa 0,1 Liter Wein und Sekt oder 0,25 Liter Bier. Bei Männern gilt etwa die doppelte Menge.

Doppelherz, Klosterfrau Melissengeist, Buerlecithin – einiges, was als Stärkungsmittel für ältere Menschen angeboten wird, enthält Alkohol, wie Christa Merfert-Diete von der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen (DHS) sagt. Gepaart mit bestimmten Medikamenten und insbesondere Schlafmitteln brächten solche Geriatrika neue Suchtgefahren. „Das kann zu einer Abhängigkeitspotenzierung führen“, warnt sie. Zudem vertrage ein alter Körper weniger.

Trotz der alarmierenden Zahlen fehlen Experten zufolge ausreichende und passende Behandlungsangebote. Oft gebe es mit Blick auf Senioren die Meinung: „Dann soll man ihnen doch den Alkohol lassen bis zum Tod“, sagt Suchtforscher Professor Dr. Gerhard Bühringer von der Technischen Universität Dresden.

Die Wissenschaftler wollen zusammen mit Kollegen in Dänemark und den USA älteren Patienten helfen. Bei dem Projekt „Elderly“ sollen Betroffene in vier bis zwölf Terminen den Sprung zu einem abstinenten Leben schaffen. Damit solle auch gezeigt werden, dass nicht unbedingt eine jahrelange Therapie oder ein stationäres „Wegschließen“ nötig sei, heißt es.

Der Suchthilfeverein Prop und die Caritas setzten das Konzept in ihren Beratungsstellen in Oberbayern um. „Wir wünschen uns, dass mehr ältere Menschen zu uns finden“, sagt Prop-Geschäftsführer Andreas Czerny. „Die Scham ist gerade bei dieser Gruppe ein schwierig kalkulierbares Moment.“ Eine Studie an 1200 Betroffenen soll die neue Kurzzeitbehandlung begleiten. Je 200 Menschen in München und Dresden und 400 Menschen in Dänemark sowie den USA werden den Angaben zufolge teilnehmen.

Es gebe eine Reihe Menschen, die mit dem übersteigerten Alkoholkonsum erst im späteren Leben anfangen, sagt Merfert-Diete. Die Gründe: Verlust des Partners, Einsamkeit, der Umbruch mit Beginn des Rentenalters. Senioren könnten ihr Leben auch besser als Jüngere dem Alkohol anpassen, da sie zum Beispiel oft nicht mehr Auto fahren würden.

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