Visavia

Terminal sucht Landapotheke

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Berlin -

Als vor zwei Jahren das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) weite Teile des Konzepts von Visavia beanstandete, schien das Schicksal des Arzneimittel-Abgabeterminals besiegelt. Doch der neue Eigentümer des Herstellers Rowa, der US-Medizintechnikkonzern CareFusion, wollte nicht aufgeben und schaffte es offenbar, Ministerpräsident Kurt Beck und Gesundheitsministerin Malu Dreyer (beide SPD) zu überzeugen. Seit Juli gibt es in Rheinland-Pfalz wieder „Video-Apotheker“.

 

Im Rahmen eines Modellprojekts hat Visavia eine zweite Chance bekommen, zunächst bis Herbst kommenden Jahres: An vier Apotheken in Daun, Osthofen, Bodenheim und Haßloch können Patienten ihre Medikamente seit einer Woche von 6 bis 22 Uhr am Terminal erhalten. Über einen angeschlossenen Kommissionierautomaten werden die Arzneimittel aus dem Lager geholt. Visavia kann auch Rezepte einlesen. Die Apotheker beraten über einen Bildschirm; die Abgabe wird von ihnen überwacht und freigegeben.

Laut Rowa wurden die Vorgaben des BVerwG-Urteils umgesetzt: Rezepte werden elektronisch vor der Abgabe abgezeichnet. Die Terminals werden nur innerhalb der Öffnungszeiten nach Landesladenöffnungsgesetz betrieben. Die Pharmazeuten teilen sich die Beratung vor der Kamera und haben die Bereitschaft untereinander in Vertretungsverträgen geregelt, sodass kein externes Call Center mehr zugeschaltet wird.

Der Spielraum ist also begrenzt und das Projekt daher vermutlich eher wirtschaftspolitischer Natur. Im Gesundheitsministerium in Mainz ist man jedoch bemüht, Versorgungsaspekte herauszustellen: Vor dem Hintergrund der demographischen Entwicklung seien die Abgabeterminals eine „sinnvolle Zusatzoption bei der Arzneimittelversorgung“, schwärmte Dreyer unlängst in einem Brief an Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP).

 

 

Auf der Fachebene hat man die Pro-Argumente bereits eingehender abgeklopft: Den Patienten sollen außerhalb der Öffnungszeiten die weiten Wege zur nächsten Notdienstapotheke abgenommen werden. Für die Apotheker wiederum soll die standardmäßige nächtliche Bereitschaft attraktiv gemacht werden, da das Terminal auch von zu Hause aus zu bedienen ist. Nur wenn der Kunde eine Beratung von Angesicht zu Angesicht wünscht, muss der Apotheker sich auf den Weg machen – dann seien Wartezeiten von bis zu 20 Minuten zumutbar.

Dass der Investition von vermutlich sechsstelligen Beträgen ungewisse Umsätze mit nächtlichen Besuchern gegenüber stehen, mag in Mainz von untergeordneter Bedeutung sein. Auch bei Rowa wollte man sich zu dieser Frage nicht äußern.

Kritiker führen noch weitere Gegenargumente ins Feld: Für 24/7-Apotheken brauche man keine Terminals, sondern nur Änderungen bei den Ladenöffnungszeiten. Gerade auf dem Land wohnten Apotheker ohnehin oft in der Nähe ihrer Apotheke und könnten mit einfachen Notdienstglocken rund um die Uhr für ihre Kunden verfügbar sein.

Unklar sei auch, wie sich der Einsatz von Visavia mit dem regulären Notdienst in Einklang bringen lasse beziehungsweise warum gerade auf dem Land ein verstärkter nächtlicher Beratungsbedarf gesehen wird. Orte ohne Apotheke erreiche Visavia nach den derzeit geltenden Regeln nicht, da der Automat immer an die Offizin gekoppelt sein muss. Und weil sie auf Wunsch trotzdem jederzeit vor Ort sein müssten, hätten die Apotheker denselben Aufwand.

 

 

Ansgar Pelzer ist einer der drei beteiligten Apotheker. Er hat das Terminal von seinem Vorgänger Jens Wiegland übernommen, der heute Projektmanager für Visavia bei Rowa ist und nebenher die Mini-Kooperation Primus betreibt. Bis zum Start des Pilotprojekts habe er den Automaten nur als Abholfach genutzt; nun sei er sehr interessiert, was mit dem Gerät noch möglich sei.

Er sehe durchaus eine Chance, dass sich mit Visavia die Versorgung auf dem Land verbessern lasse, sagt Pelzer. Immerhin würden überall Verwaltungsbezirke zusammengelegt und damit auch die Wege zur nächsten Notdienstapotheke weiter. Allerdings sei er „absolut ergebnisoffen“: Wenn Visavia am Ende nur Strom koste, werde er das Gerät auch wieder abbauen lassen.

Ein großer Gegner des Projekts ist dagegen Theo Hasse. Der Vorsitzende des rheinland-pfälzischen Apothekerverbandes kämpft an vorderster Front gegen Visavia. Aus seiner Sicht bieten Abgabeterminals keine reguläre Arzneimittelversorgung. Hasse fürchtet, dass das Prinzip des Apothekers in seiner Apotheke aufgeweicht werden könnte – zumal auch er in der gegenwärtigen Konstruktion keinerlei Nutzen sieht: „Wir dürfen uns nicht auf das Thema Logistik reduzieren lassen. Denn das können Andere besser.“

Um den Einsatz der Automaten zu verhindern, schließt Hasse auch rechtliche Schritte nicht aus. Insbesondere die Angestelltenverträge der Bereitschaftsapotheker untereinander über Distanzen von 100 Kilometer hinweg sowie die elektronische Signatur findet er angreifbar. Bevor die Anwälte eingeschaltet werden, will der Verbandschef aber noch einmal das Gespräch mit Dreyer suchen. „Wir werden mit allen verfügbaren und notwendigen Mitteln gegen dieses System vorgehen.“

 

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