Südsudan

Die Apotheke im Flüchtlingslager

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Berlin -

Barbara Trattnig ist „Krankenschwester ohne Grenzen“. Die Österreicherin engagiert sich bei Ärzte ohne Grenzen (ÄoG); seit Jahresanfang arbeitet sie für die Hilfsorganisation im Ausland. Ihr erster Einsatz führte sie in den Südsudan. Dort hat die 33-Jährige eine Apotheke geleitet.

Für die Hilfsorganisation ÄoG zu arbeiten, war für Trattnig schon immer ein Herzenswunsch. „Wünsche sollte man sich erfüllen, habe ich dann gedacht“, so die Krankenschwester. Im Mai 2015 hatte sie sich bei der Organisation beworben. Sie durchlief ein mehrstufiges Aufnahmeverfahren und wurde schließlich angenommen. Daraufhin absolvierte sie eine zehntägige Einsatzschulung.

Im Januar stand Trattnig für ihren ersten Auslandseinsatz bereit. Ihren Job in einer Unfallklinik hatte sie gekündigt. Gerade einmal vierzehn Tage vor der Abreise stand ihr Projekt fest: Trattnig sollte sechs Monate lang in einem Flüchtlingscamp in Melut arbeiten, einem Ort im Nordosten des jüngsten Staats der Welt, dem Südsudan. Erst im Juli 2011 hat sich das Land nach einer Abstimmung vom Sudan abgespalten. Seit 2013 herrscht in dem afrikanischen Staat Bürgerkrieg; hunderttausende Menschen wurden vertrieben.

Das Flüchtlingscamp teilt sich in zwei Lager auf, in denen insgesamt 7000 Menschen leben. Darüber hinaus gebe es ein drittes Schutzcamp von der UN mit 500 Bewohnern, berichtet Trattnig. ÄoG hat im ersten Lager ein Krankenhaus aufgebaut und betreibt mehrere Tageskliniken und Ambulanzen. 100 Personen arbeiten in der Gesundheitsversorgung, davon sind sechs internationale Einsatzkräfte am Projekt beteiligt.

Obwohl Trattnig Krankenschwester ist, hat sie in Melut die Projektapotheke geleitet. Von der Apotheke aus wiederum werden einzelne mobile Apotheken und Apotheken in Tageskliniken auf dem Gelände koordiniert. „Im Apothekenmanagement war ich relativ unerfahren“, gibt Trattnig zu. Vieles sei für sie daher „learning by doing“ gewesen: „Ich habe mich in alle Richtlinien eingelesen und mich mit dem Apotheker im Koordinationsteam telefonisch abgesprochen.“

Das Projekt in Melut sei zu klein, um extra einen Apotheker dorthin zu senden, erklärt Trattnig. Zum Koordinationsteam von ÄoG für den gesamten Südsudan gehört aber ein Apotheker, der in der Hauptstadt Juba stationiert ist und sie unterstützte.

Monatlich führte die Krankenschwester in der Apotheke eine Inventur durch. Alle drei Monate stand eine Komplettinventur an: Der gesamte Medikamenten- und Medizinproduktebestand wurde erfasst. Auch Arzneimittel, die kurz vor dem Verfalldatum standen, hat sie dokumentiert.

Auf Grundlage der Inventuren und der Abgabestatistiken aus den vergangenen Monaten bestellte Trattnig alle drei Monate über die ÄoG-Hauptapotheke in Juba Medikamente. Ein Computerprogramm unterstützte sie bei der Planung. Sie habe bei den Bestellungen auch saisonale Besonderheiten wie die Malaria-Zeit bedenken müssen. Die Hauptapotheke wiederum kaufte Arzneimittel für alle Projekt-Apotheken im Südsudan. Die Arzneimittel werden mit Spendengeldern bezahlt.

Nicht immer kam alles in Melut an, was Trattnig bestellt hatte. Regelmäßig sei es zu Lieferengpässen gekommen. „Mit dem Einsatz-Apotheker habe ich dann Alternativmedikationen abgesprochen. Um Lösungen zu finden, mussten wir manchmal improvisieren.“

Zu den drängendsten Gesundheitsproblemen im Südsudan zählen HIV, Tuberkulose und Malaria. Ein weitverbreitetes Problem ist Mangelernährung. Besonders wichtig seien in Melut Schmerzmittel und Antibiotika gewesen, ebenso wie Mittel zur Therapie von HIV, Tuberkulose und die Tropenkrankheit Leishmanias, berichtet Trattnig. Gegen die Unterernährung habe sie zudem häufig spezielle Kindernahrung wie Milchpulver und therapeutische Fertignahrung abgegeben.

Zwischen Rx- und OTC-Medikamenten wurde im Lager nicht unterschieden: Die Campbewohner erhielten ein Arzneimittel nur, wenn sie zuvor bei einem Arzt waren, der es ihnen verschrieben hatte. Im Anschluss an die Behandlung wurde direkt das Medikament abgegeben; die Flüchtlinge mussten also nicht etwa mit einem Rezept in die Apotheke gehen. Die ärztliche Behandlung und die Medikamente sind für die Vertriebenen kostenlos.

Nicht nur ÄoG bietet im Lager medizinische Versorgung an. Auch eine andere NGO sei dort aktiv und traditionelle Heilmethoden seien ebenfalls verbreitet, berichtet Trattnig. Zudem gebe es Bewohner, die Schmerzmittel und Antibiotika anbieten würden. Woher sie diese hätten, sei nicht klar: „Sie sagen, sie bekommen die Mittel aus dem Sudan“, so Trattnig. Südsudanesische Apotheken seien im Allgemeinen nicht mit österreichischen oder deutschen vergleichbar. „Wer genug Geld hat, kann sich dort sicher auch ohne Rezept verschreibungspflichtige Medikamente kaufen.“

Im Lager war Trattnig von Montag bis Samstag im Einsatz. Am Sonntag hatte sie frei. Alle sechs Wochen flog sie zudem in die Hauptstadt Juba. Dort konnte sie fünf Tage entspannen und andere Projektmitarbeiter treffen. Zudem konnte sie für das Team in Melut bestimmte Lebensmittel einkaufen. Nach der Halbzeit ihres Einsatzes hat Trattnig auf Sansibar Urlaub gemacht.

Von der unsicheren politischen Lage im Südsudan hat die Krankenschwester zwar einiges mitbekommen, fühlte sich jedoch nie „völlig unsicher“. ÄoG werde in der Bevölkerung gut angenommen. Zudem sei es um Melut eher ruhig.

Bei anderen Projekten im Südsudan mussten jedoch während ihres Aufenthalts Einsatzkräfte evakuiert werden. So starben beispielsweise in Malakal zwei Helfer von ÄoG nach Angriffen im Februar. Danach habe man besprochen, welche Pläne man für den Notfall habe und welche Arzneimittel vorrätig seien, berichtet Trattnig. „Meine Familie hat sich natürlich Sorgen gemacht“, sagt sie. Über das Internet hat sie versucht, Kontakt zu halten. Allerdings gab es in Melut erst zum Ende ihres Einsatzes eine wackelige Verbindung.

Der Lebensstandard im Südsudan sei ein ganz anderer als in Europa, betont die Krankenschwester: „Keine Toiletten, sondern Latrinen und kein fließendes Wasser, sondern Kübelduschen.“ In manchen Projekten sei man nahezu nie allein, sondern teile das Zimmer mit Kollegen. Trattnig hat außerdem die Hitze zu schaffen gemacht: Bei Temperaturen von mehr als 50 Grad Celsius habe sie zuweilen Kreislaufprobleme gehabt. Am Anfang war sie selbst krank; wie so einige Afrikabesucher litt sie unter Durchfall.

Trotz aller Anstrengungen schätzt Trattnig die Arbeit für ÄoG. „Man sieht direkt, wo die Hilfe ankommt und dass die eigene Arbeit etwas verändert.“ Das habe sie motiviert. Bei der Arbeit für die Organisation seien Flexibilität, Kreativität und eine positive Grundeinstellung hilfreich: „Man muss die Arbeit mit dem Herzen machen.“ Wichtig sei auch, einen Weg zu haben, um bedrückende Erlebnisse zu kompensieren: „Ich habe beispielsweise geschrieben und Yoga gemacht.“

Seit Mitte August ist Trattnig zurück in ihrer Heimat Österreich. Sie genieße es, wieder Familie und Freunde um sich zu haben. Auch das gute Essen habe sie vermisst, sagt sie. Im Oktober geht es wieder los; dann ist Trattnig erneut für ÄoG im Einsatz. Wohin es dieses Mal geht, weiß sie noch nicht. Klar ist, dass sie für sechs bis neun Monate unterwegs sein wird. Und der Südsudan wird es nicht: „Ich möchte unbedingt noch andere Projekte von ÄoG kennenlernen“, sagt Trattnig. Allerdings würde sie es spannend finden, in einigen Jahren noch einmal zum Projekt in Melut zu reisen.

Während ihrer Arbeit für die NGO ist Trattnig über ÄoG versichert. Zudem bekommt sie ein Gehalt. „Das ist zwar nicht so viel, wie ich in Österreich bekommen könnte, aber es genügt definitiv“, sagt sie. Noch in mindestens zwei Projekten will sie für die Organisation arbeiten. Wie es dann weitergeht, wird Trattnig von ihrer familiären Situation abhängig machen. „Mit Kindern würde ich nicht in ein Krisengebiet reisen“, sagt sie.

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