Forschung zu Spätfolgen der Infektion

Was ist dran an der Immunschwäche durch Covid-19?

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Berlin -

Wenn hochrangige Politiker und Experten von Fällen von Immunschwäche nach Corona-Infektionen sprechen, klingt das erst einmal beunruhigend. Was dahintersteckt.

Eine unüblich frühe Grippewelle, eine starke RSV-Welle bei Kindern, dazu viele Erkältungen und Bakterien-Infektionen: Nach dem Ende vieler Corona-Schutzmaßnahmen in Deutschland kann man schnell das Gefühl bekommen, dass die Menschen früher nicht so oft krank waren wie in den vergangenen Monaten. Und nun, da sehr viele Bürger in Deutschland schon ein- oder mehrfach mit Sars-CoV-2 infiziert waren, hört man zuletzt häufiger von einer womöglich länger anhaltenden Immunschwäche nach Covid-19. Was hat es damit auf sich?

„Es ist bedenklich, was wir bei Menschen beobachten, die mehrere Corona-Infektionen gehabt haben. Studien zeigen mittlerweile sehr deutlich, dass die Betroffenen es häufig mit einer Immunschwäche zu tun haben, deren Dauer wir noch nicht kennen“, sagte Karl Lauterbach, der Bundesgesundheitsminister, kürzlich der „Rheinischen Post“. In einer früheren Fassung, die einige Aufmerksamkeit auf sich zog, hatte er noch von einer „nicht mehr zu heilenden Immunschwäche“ gesprochen. Lauterbach stellte dann aber klar, von unheilbarer Immunschwäche könne derzeit noch keine Rede sein – und er sprach von einem Fehler bei der Freigabe des Textes.

Über eine befürchtete Alterung des Immunsystems hatte kurz vor dem Jahreswechsel auch Charité-Virologe Christian Drosten gesprochen. In einem „Tagesspiegel“-Interview berief er sich auf immunologische Befunde: Diese suggerierten, dass die Alterung des Immunsystems bei Kindern nach Corona-Infektion viel weiter fortgeschritten sei als zu erwarten. „Man kann sich nun zugespitzt fragen, ob ein ungeimpftes Kind nach Infektion vielleicht mit 30 das Immunsystem eines 80-Jährigen haben wird“, sagte Drosten.

Auf welche Daten genau sich Drosten und Lauterbach beziehen, lässt sich nicht mit letzter Sicherheit sagen. Fragt man beim Gesundheitsministerium nach, so wird man allgemein auf das Twitterprofil des Ministers verwiesen, wo dieser Studien bespreche. Die Befunde, von denen Drosten sprach, scheinen noch unveröffentlicht zu sein. Ein ansonsten stets gut über Covid-19 informierter Wissenschaftler teilt mit, er habe noch keine Daten dazu gesehen und wolle sich mit Einschätzungen zurückhalten.

Natürlich sind schon einige Studien publik, die mit Sars-CoV-2 und dem Immunsystem zu tun haben - darunter auch Langzeitfolgen. In sozialen Medien wurden sie nach den Lauterbach-Äußerungen fleißig geteilt. Manche Titel klingen besorgniserregend. Um nur ein paar Beispiele zu nennen: Da ist von geschädigter Immunität gegen Pilzinfektionen die Rede, von langfristiger Störung des peripheren Immunsystems und von beeinträchtigter Funktion bestimmter Zellen.

„Die Befunde, die es gibt, werden leider oft überinterpretiert“, sagte die Immunologin Christine Falk von der Medizinischen Hochschule Hannover kürzlich bei „Zeit Online“. Meist seien sie für Laien schwer bis gar nicht interpretierbar. Auch bezögen sich viele Beobachtungen auf Long-Covid-Patienten. Aus Falks Sicht gibt es demnach für die meisten Menschen „aktuell keinen Grund, sich Sorgen zu machen, dass ihr Immunsystem nach einer oder mehreren Corona-Infektionen schlechter funktioniert“. Und sie stellte klar, dass Covid-19 auch „kein über die Luft übertragenes Aids“ sei, wie manche anscheinend behaupteten. „Das ist Blödsinn.“

Die britische Immunologin Sheena Cruickshank von der Universität Manchester erklärte kürzlich in einem Beitrag auf dem Portal „The Conversation“, dass vorübergehende Veränderungen in der Immunabwehr nach einer Infektion normal seien. Auch wenn Fachdetails für Laien dramatisch klängen: Es sei gezeigt worden, dass die Abwehr der meisten Menschen nach der Genesung wieder ins Gleichgewicht komme.

Selbst bei vulnerablen Patienten blieben nur bei einem kleinen Teil über sechs Monate nach der Infektion noch einige Veränderungen zurück – meist bei Menschen, die schwer an Covid-19 erkrankten oder bei denen noch andere gesundheitliche Probleme zugrunde lagen. Hierzu seien weiterführende Studien nötig. „Für die meisten Menschen gibt es jedoch keine Anhaltspunkte für eine Schädigung des Immunsystems nach einer Covid-Infektion“, hält auch Cruickshank fest.

Auch weitere Aspekte muss man bei Thema im Blick haben. Sars-CoV-2 gilt verglichen mit vielen anderen Viren als besonders gut erforscht. „Wohl keine Virusinfektion geht ganz folgenlos an uns vorüber“, sagte der Molekularbiologe Emanuel Wyler vom Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in Berlin. HIV ist als besonders schädlich für das Immunsystem bekannt – und Masern bedeuten quasi einen Reset des Immunsystems, wie Wyler sagte. Rhinoviren hingegen, die Schnupfen auslösen, seien vergleichsweise harmlos. „Die Frage ist, wo auf diesem breiten Spektrum sich Sars-CoV-2 einreiht und wie das Virus bei Geimpften überhaupt noch heraussticht im Vergleich mit den vielen Virusinfektionen im Laufe eines Lebens.“

Wyler gibt auch zu bedenken, dass etliche Studienergebnisse noch aus der Zeit vor der Covid-19-Impfung stammen. Was darin über Schwerkranke berichtet werde, die sich mit frühen Varianten infizierten, sei nicht automatisch übertragbar auf gesunde und geimpfte 20-Jährige in Zeiten der Omikron-Variante.

Immunologen betonen seit Monaten, dass die jüngsten Erkältungswellen vor allem als Nachholeffekte zu sehen seien. Denn während der Corona-Jahre zirkulierten andere Atemwegserreger weniger stark. Hätten die Menschen tatsächlich in der Breite ein geschwächtes Immunsystem, so müssten jedoch auch andere Infektionen zunehmen – „etwa solche mit atypischen Erregern, die Menschen im Normalfall nicht krank machen“, sagte Falk „Zeit Online“.

Für ein Gesamtbild ist es laut der Immunologin noch zu früh – deshalb solle nicht immer gleich alles übersetzt werden in Warnung oder Entwarnung. Die Gespräche unter Fachleuten dauerten an, sagte sie in dem Interview. Vieles sei vorläufig und gehöre nicht in die Öffentlichkeit.

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