Herdenimmunität gegen SARS-CoV-2 schaffen

Eindämmung erst nach Durchseuchung?

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Berlin -

Die Verbreitung von SARS-CoV-2 kann offensichtlich nicht mehr aufgehalten werden. Ziel ist daher die Verlangsamung und das Hinauszögern der Erkrankungen, um die Welle in Schach zu halten. Experten gehen mittlerweile davon aus, dass es erst nach einer Durchseuchung der Bevölkerung zum Ende der Pandemie kommen wird. Demnach könnte nur die Herdenimmunität zur Eindämmung des neuen Coronavirus führen.

Vorwärtsstrategie statt Verlangsamung

Während derzeit im Fokus steht, die Ausbreitung von SARS-CoV-2 zu verlangsamen, ziehen manche Experten eine „Vorwärtsstrategie“ in Betracht. Ökonom Reiner Eichenberger erklärte in einem Interview mit „20 Minuten Schweiz“, dass sich gesunde Erwachsene Bürger dazu gezielt anstecken könnten: Denn je mehr Leute das Virus gehabt haben, desto weniger kann es sich ausbreiten und Risikopatienten gefährden.

Denn derzeit gehen die Experten davon aus, dass sich bei den Genesenen eine Immunität – zumindest für eine bestimmte Zeit – einstellt. „Das Ziel könnte also eine klug gelenkte Durchseuchung sein“, erklärt Eichenberger. Für die meisten Menschen sei das neuartige Coronavirus nicht schlimm: „Daher wäre es vielleicht richtig, dass die unter 65-Jährigen sich möglichst schnell infizieren, 14 Tage zu Hause bleiben und dann wieder arbeiten, festen und reisen.“

Im Moment werde alles ausgebremst, um vor allem die Alten und Kranken zu schützen. „Doch das Virus wird die älteren Menschen sowieso erreichen.“ Dann wären jedoch kaum Leute zum Pflegen vorhanden, die sich nicht selbst anstecken würden. „Daher müssen wir überlegen, jetzt Junge vorbeugend und gezielt zu durchseuchen“, meint der Ökonom. Die Strategie der Regierungen, das Geschehen hinauszuzögern, sieht er kritisch: „Ich fürchte, dass sie den Nutzen davon über- und die Kosten unterschätzen.“ Noch sei eine gezielte Durchseuchung wenig realistisch, weil der Regierung der Mut fehle. „Aber wenn mal tausend Junge den Virus hatten und sich eigentlich wieder völlig frei bewegen könnten, dürfte der Ruf nach gezielter Durchseuchung schnell wachsen.“

Kontrollierte Durchseuchung

Auch Professor Dr. Christian Drosten, Direktor des Instituts für Virologie der Charité, hält diese Methode für möglich, wie der „Focus“ erläutert. Das Virus werde sich erst dann nicht weiter verbreiten, wenn zwei von drei Menschen zumindest vorübergehend immun seien, weil sie die Infektion schon hinter sich hätten. Dazu zieht er ein Rechenbeispiel heran: „Bei einer Gesamtbevölkerung von 83 Millionen wären zwei Drittel fast 56 Millionen Menschen, die sich infizieren müssten, um die Ausbreitung zu stoppen. Bei einer Mortalität von 0,5 Prozent wäre in dem Fall mit 278.000 Corona-Todesopfern zu rechnen", erklärt Drosten. Solch eine Berechnung ergebe allerdings wenig Sinn, weil die Zeitkomponente fehle.

Drosten erklärt im Hinblick auf die Durchseuchung, dass eine wichtige Kennziffer sei, wie schnell sich die Krankheit ausbreite. Diesbezüglich sei die Frage, wie viele Menschen sich infizieren, die mit einem Kranken in Kontakt kommen. „Die aktuellen Zahlen liegen hier bei 5 bis 10 Prozent", erklärt er. Man gehe aktuell davon aus, dass ein Erkrankter im Schnitt drei andere Menschen infiziere. Diese Quote müsse auf unter 1 gedrückt werden, um ein Ausbreiten der Krankheit zu verhindern. Das passiere, wenn mindestens zwei von drei Menschen immun gegen eine Ansteckung seien – also bereits erkrankt waren.

Dem pflichtet auch Kassenarztpräsident Dr. Andreas Gassen bei: Er geht davon aus, dass sich ein Großteil der Bevölkerung anstecken wird, bevor die Ausbreitung zu einem wirklichen Halt kommt. „Das mag für den Laien schockierend wirken, ist aber nüchtern betrachtet nichts Bedrohliches.“ Auch andere Viren wie Herpes haben zu einer solchen Durchseuchung geführt, dadurch komme es letztlich zu einer Art Herdenimmunität. Da das neuartige Coronavirus nicht einfach verschwinden werde, sei die Frage lediglich, wie lange diese Durchseuchung dauere. „Das kann vier oder fünf Jahre dauern. Je schneller es geht, je größer ist die Herausforderung für das Gesundheitswesen.“ Auch bei einem weiteren raschen Anstieg sieht Gassen jedoch nicht, dass die Versorgung an die Grenzen gestoßen werde. Derzeit sei Corona „eher eine mediale als eine medizinisch relevante Infektion".

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