Gerade hat das Bundessozialgericht (BSG) im Streit um die Abrechnung von Rezepturen zugunsten der Apotheken entschieden, schon will das Bundesgesundheitsministerium (BMG) die Regelung kassieren: Mit der Apothekenreform soll klargestellt werden, dass nicht die jeweils erforderliche Packung, sondern nur die tatsächlich verarbeitete Teilmenge abgerechnet werden kann. Apotheker warnen vor dramatischen Folgen.
Ludwig Meyer stellt in der Wittelsbacher Apotheke in München regelmäßig Rezepturen her, denn ganz in der Nähe liegt eine Kinderklinik. „Wir haben zig Entlassrezepte jeden Tag, etwa für Patienten mit Herzfehler. Es geht um pädiatrische Suspensionen und Zäpfchen“, berichtete Meyer auf der APOTHEKENTOUR in München. Als Valcyte nicht lieferbar war, habe sein Team den Wirkstoff Valganciclovir verarbeitet. „Dabei setzen wir immer die billigste und kleinste Packung ein – und trotzdem kommen immer Retaxationen.“
Ihn ärgert, dass er bestraft wird, obwohl er an der Sache nichts ändern kann. „Was soll ich machen, die Leute kommen zu mir, Eltern mit schwerstkrankem Kind. Da kann ich doch nicht sagen, das kostet jetzt 300 Euro, bitte in cash bezahlen. Auch die Zusammenarbeit mit den Ärzten ist für uns immens wichtig, da kann ich doch die Rezepturen nicht verweigern.“ Dass jetzt nur noch die Teilmenge abgrechnet werden können soll, findet er doppelt ungerecht. Denn immerhin stellt er doch Rezepturen her, um Menschen zu helfen, die andernorts teilweise schon abgewiesen würden. „Wenn das jetzt kommt, werden noch mehr Kollegen das Handtuch werfen. Ich weiß gar nicht, was ich dann machen soll.“
Franziska Scharpf, Präsidentin der Bayerischen Landesapothekerkammer (BLAK), wies darauf hin, dass die Koalition gerade dabei sei, ihre in Sachen Honorar abgegebenen Versprechen zu brechen. „Es kann doch nicht wahr sein, dass das einfach so auf Wiedervorlage gelegt wird und nach den Wahlen vielleicht komplett verschwindet. Ein Koalitionsvertrag ist wie ein Ehevertrag: Das muss eingehalten werden, wir werden darauf pochen! Denn es ist das, was wir brauchen, um die Apotheken weiterentwickeln und gestalten zu können.“
Auch Meyer findet, dass es keinen Aufschub geben darf: „Wie sollen wir denn auf die steigenden Personalkosten reagieren? Wie sollen wir Personal einstellen, um pharmazeutische Dienstleistungen (pDL) anbieten zu können?“ 9,50 Euro sind aus seiner Sicht das Minimum, „sonst werden noch mehr Apotheken schließen“.
Scharpf pflichtete bei: „Wie sollen wir denn die pDL ins Laufen bekommen? Wir kämpfen mit Lieferengpässen, mit dem E-Rezept, mit der Bürokratie. Wir haben längst versucht, uns so effizient wie möglich aufzustellen. Ich will das wirklich vorantreiben, aber es eben nicht unsere wirtschaftliche Grundbasis, deshalb brauchen wir endlich die Honorarerhöhung.“
Sie schilderte noch ein weiteres Problem: „Auf der einen Seite haben wir allen Grund zum Jammern, auf der anderen Seite müssen wir als Apotheke attraktiv sein, um den dringend benötigten Nachwuchs zu gewinnen.“ Für sie ist klar: „Wir wollen uns verändern, wir wollen den Beruf weiterentwickeln – aber nicht so, wie das Bundesgesundheitsministerium es uns gerade aufzwingen will.“ Die Politik höre derzeit zwar zu, aber sie höre nicht hin. Deshalb ist für Scharpf klar: „Wenn sich nichts ändert, wird Protest ein Teil des Ganzen sein.“ Noch sei es nicht Zeit für Eskalation, aber man brauche jede Stimme, um der Politik jetzt – vor den Landtags- und Kommunalwahlen – einen Weckruf zu geben. „Wir brauchen jeden Kollegen, der mitwirkt.“
Die Bundeswehr habe längst erkannt, wie wichtig die Apotheken im Krisenfall wären, das müsse endlich auch die Politik erkennen. „Es geht um die Frage der zukünftigen Resilienz in unserem System. Diese Karte müssen wir spielen.“
Was die Pläne für Zweigapotheken und Filialverbünde, aber auch die Umkehr der Dienstbereitschaft angeht, so ist für Scharpf klar: „Hier wird der Systemwechsel vorbereitet.“ Die Logik hinter den Entwürfen zur Apotheken-, aber auch zur Notfallreform sei: „Mehrbesitz und Fremdbesitz sind gewollt, wir sollen nicht länger freiberuflich arbeiten können.“ Die Bürger müssten sich aber darauf verlassen können, dass jede Apotheke das vollumfängliche Spektrum an Gemeinwohlpflichten leisten könne: „Es kann doch nicht sein, dass niemand mehr weiß, ob er nur einen Arzneimittelkiosk oder eine vollwertige Apotheke betritt.“ Über kurz oder lang werde das System so ausgehöhlt, denn wohl kein Landrat könne es sich leisten, die Umwandlung einer Filiale in eine Zweigapotheke abzulehnen.
„Mit der Zulassung der Apotheke light würde man Strukturen zerstören, die erhalten bleiben müssen“, findet auch Meyer. Es gebe schon jetzt einen Fachkräftemangel, die PTA-Schulen hätten Probleme, die Klassen zu füllen. Daher müsse man die Apotheke stärken und attraktiver machen, statt sie zu schwächen.
Zum Thema PTA-Vertretung sagte Scharpf: „Ich habe selbst PTA gelernt und weiß, was dieser Beruf leistet. PTA sind keine Notlösung für Politk, um irgendwie Versorgung weiterzumachen!“ Apothekerinnen und Apotheker hätten auch nicht nur eine organisatorische Rolle, sondern eine heilberufliche Verantwortung. „Wir dürfen nicht naiv sein: Wenn wir hier einen Spalt aufmachen, kriegen wir die Tür nicht mehr zu.“
Es sei keine Frage, dass man den PTA-Beruf weiterentwickeln müsse. „Ich wollte ja auch eine Karrierechance – und bin deswegen Apothekerin geworden.“ Der richtige Weg sei daher, PTA schneller zum Studium bringen. Laut Europarecht könne man zwar das Studium nicht verkürzen, aber man könne Kurse anerkennen, sodass man in der gesparten Zeit zumindest arbeiten gehen könne. „Das würde die Attraktivität für diesen Weg definitiv steigern.“
Parallel müsse es auch um die Weiterentwicklung des PTA-Berufs gehen: „Wir wollen die Apotheke insgesamt ja weiterentwicklen, Stichwort Impfen und Analysen. Da brauchen wir die PTA in einer neuen Rolle.“ Es gehe aber um Attraktivität und nicht nur um mehr Verantwortung.
Laut Meyer gab es immer schon Ideen für Apothekenreformen, die äußerst kritisch waren. Jetzt gebe es aber auch eine Chance, die man nutzen müsse: Politik und Kunden sei bewusst, dass die Apotheken mehr Geld benötigten. „Die Gesellschaft merkt es, die Presse weiß es. Die Proteste des Jahres 2023 waren gut, jetzt müssen wir kämpfen, dann kriegen wir das hin!“
Scharpfs Appell: „Es gibt viele Wege im Beruf, aber wir sind ein Berufsstand. Wir dürfen uns nicht spalten lassen. Wir fordern das, was uns zusteht. Das lassen wir uns nicht nehmen.“