„Patienten in bestimmten Situationen irrational“

Biosimilar-Austausch: Hecken will Bedenken akzeptieren

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Berlin -

Apotheken sollen nicht nur klassische Generika, sondern auch Biosimilars austauschen, so sieht es das Gesetz für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung (GSAV) aus dem Jahr 2019 vor. Dazu muss die Arzneimittel-Richtlinie (AM-RL) geändert werden, im Stellungnahmeverfahren zeichnet sich ein Konflikt zwischen Kassen auf der einen und Pharmaindustrie, Ärzten und Apothekern auf der anderen Seite ab. Der Unparteiische Vorsitzende des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA), Professor Dr. Josef Hecken, deutet eine Kompromisslösung an.

Die Krankenkassen sehen überhaupt keinen Grund, warum biotechnologisch hergestellte Präparate nach Patentablauf nicht wie klassische Generika ausgetauscht werden sollten. „Aus pharmazeutischer Sicht sind die Abweichungen zwischen einzelnen Chargen desselben Produkts größer als die Unterschiede zwischen verschiedenen bioäquivalenten Präparaten“, sagte Dr. Antje Haas, Leiterin der Abteilung Arznei- und Heilmittel beim GKV-Spitzenverband, bei der Berliner Runde des Bundesverbands der Arzneimittel-Hersteller (BAH). Und sollte es doch einmal Bedenken geben, habe der Arzt immer noch die Möglichkeit, das Aut-idem-Kreuz zu setzen.

Die Industrie hält dagegen. Es dürfe keinen automatischen Austausch in der Apotheke geben, sagte Dr. Dorothee Brakmann, Mitglied der Geschäftsleitung von Janssen und Mitglied im BAH-Vorstand: „Es braucht den Arzt, er muss die Entscheidung mit tragen.“ Bei Biosimilars müsse man genauer hinschauen als bei Generika und dürfe nicht die Fehler wiederholen, die man etwa bei Impfstoffen gemacht habe.

Warnung vor Nocebo-Effekt

Und was sagt Hecken? Er will sich noch nicht in die Karten gucken lassen. Man werde wie geplant am 16. August entscheiden. Von der Applikationshilfe werde er sich nicht beeindrucken lassen: „Ich sagen Ihnen gleich: Die Farbe ist mir egal, darauf lasse ich mich nicht ein.“ Wenn man solche Diskussionen führe, könne man jede Festbetragsgruppe sein lassen. Insofern mache es ihn nervös, wenn etwa die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) mit dem Nocebo-Effekt argumentiere.

Und dann schwenkt er doch plötzlich ein: Man müsse den Patienten einbinden und akzeptieren, dass das Unwohlsein bei einer Umstellung in diesem Bereich größer sein könne als bei klassischen Generika. Patienten seien oft auf eine jahrelange Therapie eingestellt, da könne man sich keine Umstellung alle acht Wochen leisten: „Wir müssen auf alle Fälle den Therapieerfolg sichern, selbst wenn die Evidenz etwas anderes sagt und der Patient irrational handelt.“

Gerade erst habe er eine Diskussion mit einer Vertreterin des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI) geführt, die einen automatischen Austausch ohne jede Ausnahme unter Verweis auf die Zulassungsunterlagen für absolut unproblematisch gehalten habe. „Ich habe ihr gesagt: Dann stellen Sie sich vor die Apotheke und erklären den Patienten das. Am besten mit einer großen Powerpoint-Präsentation, damit sie nicht direkt vor der Apotheke geschlachtet werden.“

Rezepturen anders als Fertigarzneimittel

„Wir müssen damit leben, dass Patienten in bestimmten Situationen irrational sind.“ Deshalb schwebe ihm ein „einschleichendes“ Modell vor. Es gehe nicht darum, Krankheitsbilder abzuschichten und zu katalogisieren, also etwa für Hauterkrankungen andere Regeln zu beschließen als für Krebstherapien. Vielmehr könne er sich vorstellen, den Austausch bei der Verwendung in Apothekenzubereitungen stringenter zu behandeln als bei der Abgabe von Fertigarzneimitteln. „Es wird einen gewissen Spielraum geben.“

Hecken sieht aber durchaus die Notwendigkeit für umfassende Einsparungen in diesem Bereich: In den kommenden Jahren würde Biopharmazeutika mit einem jährlichen Umsatzvolumen von 4 Milliarden Euro patentfrei – hier sei aber eben nicht mit einem ähnlichen Preisverfall wie bei Generika zu rechnen: Statt auf 5 Prozent komme man vielleicht auf 25 Prozent des Originalpreises, was auch mit den Herstellungskosten zu tun habe. „Aber wenn solche Entlastungseffekt wegfallen, müssen wir gut überlegen, wie wir damit umgehen wollen, und uns einer Austauschbarkeit nähern, ohne das Patientenwohl zu gefährden.“

Zwei Szenarien

Mit der Änderung der AM-RL will der G-BA „Hinweise zur Austauschbarkeit von biologischen Referenzarzneimitteln durch im Wesentlichen gleiche biotechnologisch hergestellte biologische Arzneimittel [...] unter Berücksichtigung ihrer therapeutischen Vergleichbarkeit“ geben, die nach Veröffentlichung im Bundesanzeiger für Praxen und Apotheken gelten. Laut Hecken gibt es zwei Szenarien:

  • Bei der „soften“ Variante müssen alle Indikationen übereinstimmen, muss die Zulassung immer auf das Original referenzieren und sind Rabattpräparate ausgenommen.
  • Bei der Alternative genügt eine identische Indikation, gibt es keine Vorgabe, was die Bezug nehmende Zulassung angeht, und werden Rabattverträge nicht beachtet.

Apotheker- und Ärzteschaft stehen den geplanten Austauschregeln bislang eher kritisch gegenüber. Zu viele Fragen seien bislang ungeklärt. Zudem habe der Austausch Auswirkungen auf die Compliance. Sich stets ändernde Präparate mit abweichenden Hilfsmitteln (beispielsweise zur Applikation) könnten Fehldosierungen provozieren und einige Patient:innen verunsichern. Die Arztpraxen hätten mitunter keinen Überblick darüber, welches Präparat in der Apotheke abgegeben wird. Handelt es sich um ein für den Patienten neues Präparat, so muss die Apotheke eine verstärkte Beratungsleistung übernehmen. Hierfür wünscht sich die Apothekerschaft eine gesonderte Vergütung.

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