USA

Schubert-Zsilavecz: Flibanserin bald in Europa

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New York/Berlin -

Nach der Einführung von Addyi (Flibanserin) in den USA sehen Fachleute für den europäischen Markt keine Hindernisse. „Es wird nicht lange dauern, bis die Substanz auch nach Europa kommt“, sagte der Pharmazeut Professor Dr. Manfred Schubert-Zsilavecz von der Universität Frankfurt. „Bei indikationsgemäßer Anwendung ist das kein Lifestyle-Medikament, sondern ein Arzneimittel.“ Es sei nicht für 30-Jährige gedacht, die der Meinung seien, sie müssten öfter Sex haben.

Der vom deutschen Pharmakonzern Boehringer Ingelheim entwickelte Wirkstoff Flibanserin sei mit seiner Wirkweise im zentralen Nervensystem „bemerkenswert“, so Schubert-Zsilavecz: Er wirke in besonderer Weise auf die Serotonin-Rezeptoren. Serotonin gilt umgangssprachlich als „Glückshormon“ und ist ein wichtiger Botenstoff.

Mit der Tablette wurde zum ersten Mal in den USA ein luststeigerndes Präparat für Frauen als Medikament zugelassen. Die Arzneimittelbehörde FDA gab am Dienstag die Genehmigung für den Arzneistoff. „Die heutige Zulassung gewährt Frauen, die unter sexueller Unlust leiden, eine überprüfte Therapiemöglichkeit“, sagte FDA-Forschungsdirektorin Dr. Janet Woodcock. Zuvor hatte die Behörde zwei Zulassungsanträge abgelehnt.

Das Mittel ist umstritten, weil es nur bei einem kleinen Teil der betroffenen Frauen überhaupt wirkt, der Effekt im Durchschnitt recht gering ist und es beträchtliche Nebenwirkungen geben kann. Flibanserin wird zwar oft als „Viagra für Frauen“ bezeichnet, der Wirkmechanismus ist jedoch nicht vergleichbar. Viagra hilft gegen körperliche Aussetzer, Addyi ist dagegen ein Psychopharmakon. Es beeinflusst die Freisetzung bestimmter Hormone und kann so – bei einigen Frauen – die Lust auf Sex steigern.

„Die Wirkung ist gering. Wer will guten Gewissens sagen, dass diese Pille verlässlich funktioniert?“, sagte der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Sozialwissenschaftliche Sexualforschung (DGSS), Professor Dr. Jakob Pastötter. „Viele Frauen werden sie mit großen Erwartungen nehmen und dann merken: Da passiert ja gar nichts.“

Die Psychologin Verena Klein vom Institut für Sexualforschung am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf fürchtet, dass mit Addyi die Sexualität der Frau in den Bereich der Krankheit rückt. „Es wird so getan, als gäbe es ein Defizit der Frau, das durch ein Medikament behoben werden könne“, sagt die Geschäftsführerin der Deutschen Gesellschaft für Sexualforschung (DGfS). Sexualität lasse sich aber nicht auf die Biologie der Partnerin oder des Partners reduzieren.

Nach Untersuchungen, die auch die FDA veröffentlicht hat, kam es bei Frauen mit dem Wirkstoff zu einem halben bis einem Mal Sex mehr pro Monat als bei Frauen, die das Scheinmedikament Placebo erhielten. Sexuelle Unlust ist ein Problem für Millionen Frauen und oft auch eine Belastung für die Beziehung. Die Gründe sind vielfältig, bedeutsame Faktoren sind Stress, Überlastung, Gewohnheit oder auch körperliche Leiden. Mediziner gehen davon aus, dass die Tablette etwa 10 Prozent der Betroffenen helfen könnte.

Ob und wann das Präparat nach Deutschland kommt, ist ungewiss. Derzeit liege kein Antrag auf Zulassung vor, hieß es am Mittwoch vom zuständigen Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM).

Die Pille muss jeden Abend eingenommen werden – ob Sex geplant ist oder nicht. Flibanserin ist ein Antidepressivum, zufällig wurde eine leicht luststeigernde Wirkung entdeckt. Als Nebenwirkungen führen Analysen unter anderem Müdigkeit, Übelkeit und Schwindel an, zudem gibt es Wechselwirkungen bei gleichzeitigem Alkoholgenuss.

Entwickelt wurde der Wirkstoff vom deutschen Hersteller Boehringer Ingelheim. Nach einem negativen FDA-Bescheid gaben die Rheinland-Pfälzer das Projekt 2010 auf.Sprout Pharmaceuticals aus Raleigh im Bundesstaat North Carolina übernahm die Forschung, scheiterte aber zunächst 2013 ebenfalls an der US-Behörde. Der dritte Anlauf brachte nun die Genehmigung.

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