Biontech für italienische Hotelmitarbeiter

Illegale Impfaktion: Apotheker als Haupttäter

, Uhr
Berlin -

Im Mai vergangenen Jahres wurden rund 120 Mitarbeiter:innen eines italienischen Luxusressorts am Flughafen in München gegen Corona geimpft. Die Bayerische Zentralstelle zur Bekämpfung von Betrug und Korruption im Gesundheitswesen (ZKG) ermittelt. Der Apotheke, die den Impfstoff besorgte, droht eine Verurteilung wegen Unterschlagung. Der Inhaber könnte sogar als Haupttäter belangt werden.

Einen Tag nach dem Ende der Impfpriorisierung wurden die Mitarbeiter:innen des Hotels „Forte Village“ per Charterflug nach München gebracht, wo sie mit dem Impfstoff von Biontech geimpft wurden. Der Arzt rechnete 50 Euro je Impfung ab, also 30 Euro mehr als regulär. Die Apotheke erhielt insgesamt 520,04 Euro für die Beschaffung des Impfstoffs. Kein großes Geschäft also, entsprechend hielt sich auch das Unrechtsbewusstsein aller Beteiligten in Grenzen. Die Bild-Zeitung veröffentlichte sogar ein Gruppenfoto des Hotelpersonals, das nach der Rückkehr nach Sardinien aufgenommen worden sein soll.

Doch die Aktion war unzulässig, denn der vom Bund eingekaufte Impfstoff ist nur für deutsche Patient:innen gedacht – die Hotelmitarbeiter waren keine anspruchsberechtigten Personen gemäß Impfverordnung (ImpfV). Die Ermittler der Generalstaatsanwalt Nürnberg sahen die Sache daher weniger entspannt und durchsuchten mehrere Objekte in München, darunter eine Arztpraxis, eine Apotheke und eine Rechtsanwaltskanzlei. Gegen sieben Beschuldigte wurden Ermittlungsverfahren eingeleitet, der Verdacht lautete auf Unterschlagung von Impfstoff sowie Bestechung und Bestechlichkeit im Gesundheitswesen.

Der Apotheker soll sich demnach der Unterschlagung schuldig gemacht haben, indem er den Impfstoff für die Impfaktion zur Verfügung gestellt haben soll. Einer der Ärzte soll den Impfstoff angekauft und die Aktion geleitet haben, ein weiterer Arzt und eine Ärztin sollen bei der Impfung geholfen haben. Ermittelt wird auch gegen den Inhaber des Hotels sowie eine Managerin. Der Rechtsanwalt soll den Vertrag für die illegale Impfaktion entworfen haben.

Der Jurist ist auch der erste Beschuldigte, dessen Fall vor Gericht gelandet ist. Denn er wehrt sich gegen Durchsuchung seiner Wohn- und Kanzleiräume und gegen die Auswertung der beschlagnahmten Unterlagen. Er habe nur die Vereinbarung aufgesetzt und nichts von der angeblich illegalen Beschaffung des Impfstoffs gewusst. Die Aktion sei im Übrigen durch die Hotelbetreiberin pressewirksam vermarktet worden, sodass nicht von einem „auf Heimlichkeit angelegten Delikt“ auszugehen sei. Damit fehle es an einem Anfangsverdacht und erst recht an einem Vorwurf, der es erlauben würde, die Räumlichkeiten eines Rechtsanwaltes zu durchsuchen.

Keine Bestechung, aber Unterschlagung

Noch bevor entschieden wurde, ob gegen die eigentlichen Protagonisten Anklage erhoben oder der Fall eingestellt wird, gab das Landgericht Nürnberg (LG) in diesem Verfahren also eine erste rechtliche Bewertung ab. Anders als das Amtsgericht Nürnberg geht das LG in dem Fall nicht von Bestechlichkeit beziehungsweise Bestechung im Gesundheitswesen gemäß §299a beziehungsweise §299b Strafgesetzbuch (StGB) aus. Diese Vorschriften setzten nämlich als Tatbestandsmerkmale voraus, dass ein Leistungserbringer „im inländischen oder ausländischen Wettbewerb“ in unlauterer Weise bevorzugt wird:

  • bei der Verordnung von Arznei-, Heil- oder Hilfsmitteln oder von Medizinprodukten
  • beim Bezug von Arznei- oder Hilfsmitteln oder von Medizinprodukten, die jeweils zur unmittelbaren Anwendung bestimmt sind
  • bei der Zuführung von Patienten oder Untersuchungsmaterial

Zwar ist laut Gericht die Vergütung von insgesamt 6000 Euro als Vorteil anzusehen, es fehle jedoch an einer Bevorzugung im Wettbewerb: „Zutreffend ist zwar der Grundansatz, der gerade in einer Pandemiesituation mit – damals – erheblicher Impfstoffknappheit von einer massiven Konkurrenzsituation zwischen Patienten und ihren Bedürfnissen in verschiedenen Risikogruppen ausgeht. Richtig ist auch, dass die ungerechtfertigte Bevorzugung eines Geimpften in letzter gedanklicher Konsequenz zu einer Erkrankung und zum Versterben eines Ungeimpften führen kann, der jene Impfdosis nicht erhalten hat.“

Die beiden Paragrafen bezögen sich aber ausschließlich auf Wettbewerb unter „Angehörigen eines Heilberufs, der für die Berufsausübung oder die Führung der Berufsbezeichnung eine staatlich geregelte Ausbildung erfordert, im Zusammenhang mit der Ausübung seines Berufs“. „Der Wettbewerb zwischen den Patienten um die schnellst- und bestmögliche Versorgung, mithin ohne jeden Unternehmens- oder Gewerbebezug, ist hier nicht gemeint“, so das LG. An keiner Stelle sei im Gesetzgebungsverfahren die Ansicht geäußert worden, dass auch Wettbewerb zwischen Patienten erfasst sein sollte.

Insofern sei die Argumentation, dass die Bevorzugung von Mitarbeitern eines Luxushotels gegenüber den Anspruchsberechtigten zu einem Vertrauensverlust geführt habe, zwar „völlig zutreffend“. Dennoch fehle es an einer Vorschrift, um „eine derartige – moralisch fragwürdige – Vorgehensweise“ als strafbar zu verurteilen. Und selbst wenn man die Vorschrift auf den „Wettbewerb zwischen den Patienten um die schnellst- und bestmögliche Versorgung“ ausweiten wolle, sei keins der drei genannten Tatestandsmerkmale erfüllt: Weder sei in einer solchen Konstellation von einer Verschreibung im herkömmlichen Sinne auszugehen, noch vom Bezug zur direkten Anwendung oder einer Zuführung von Patient:innen.

Allerdings erfüllte das Verhalten der Beteiligten den Tatbestand der Unterschlagung nach § 246 StGB. Dort heißt es: „Wer eine fremde bewegliche Sache sich oder einem Dritten rechtswidrig zueignet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wenn die Tat nicht in anderen Vorschriften mit schwererer Strafe bedroht ist.“ Und genau dies sei hier der Fall: „Der verwendete Impfstoff war für die Beteiligten fremd“, so das Gericht mit Verweis auf die Regelungen der ImpfV und den Beschaffungsweg über Großhandel und Apotheken. Den Beschuldigten sei bekannt gewesen, dass der Impfstoff nicht im Eigentum des Apothekers stand und dieser nicht berechtigt gewesen sei, diesen zum Zwecke der Verimpfung an nicht anspruchsberechtigte Personen zu veräußern.

Staatsvermögen einverleibt

„Erwägenswert ist bereits eine Zueignung des Impfstoffes durch den Apotheker an sich selbst, denn durch den Verkauf entzog er der Eigentümerin Bundesrepublik Deutschland dessen Sachsubstanz als solche und den in ihm verkörperte Sachwert und verleibte sich ihn unter Ausnutzung des Sachwertes in sein Vermögen ein.“

Letztlich sei der Impfstoff aber auch durch die impfenden Personen den Patienten als „Dritten“ zugeeignet worden: „So wie das Aufessen im Eigentum Fremder, aber ohne vorherige Wegnahme im Gewahrsam des Essenden stehender Lebensmittel bewirkt, dass sich der Essende die Lebensmittel zueignet, wird – hier – dem impfwilligen Patienten der Impfstoff zugeeignet. Letztlich hierdurch wurde die Eigentümerin des Impfstoffes endgültig aus ihrer Position verdrängt (Enteignung) und das impfende Personal nutzte den Impfstoff in wirtschaftlicher Weise (Aneignung).“

Das Vorgehen war auch rechtswidrig, denn das Hotelpersonal aus Italien hatte laut ImpfV keinen Anspruch auf den Impfstoff, da dieser im Wesentlichen für Personen mit Wohnsitz oder Aufenthaltsort in Deutschland beschafft worden sei. Der Wegfall der Priorisierung sei nicht gleichbedeutend mit einer Freigabe des Impfstoffs beziehungsweise einer Auswahl der zu impfenden Personen durch die Ärzte.

Apotheker als Haupttäter

Als Haupttäter kommt damit laut Gericht der Apotheker in Betracht: „Durch die CoronaImpfV ist hinreichend deutlich gemacht, nach welchen Vorgaben mit der fremden Sache ‚Impfstoff‘ durch diejenigen, die in den jeweiligen Stufen Gewahrsam hieran haben würden, verfahren werden sollte. Die Bundesrepublik Deutschland als Eigentümerin räumte den im Ablauf Beteiligten den Gewahrsam in dem Vertrauen ein, es werde entsprechend der CoronaImpfV verfahren.“

Doch auch die Ärzte können zur Rechenschaft gezogen werden: „Für alle diese Personen war der verabreichte Impfstoff fremd, da er von der Europäischen Union beschafft und seine Verwendung durch das Bundesgesundheitsministerium als Eigentümerin durch die CoronaImpfV bestimmt wurde. Zur Übertragung des Eigentums an einer beweglichen Sache ist erforderlich, dass der Eigentümer die Sache dem Erwerber übergibt und beide darüber einig sind, dass das Eigentum übergehen soll.“

Der Anwalt wiederum könnte sich der Beihilfe schuldig gemacht haben, denn die vertraglichen Regelungen, mit denen er sich befasste, konnten laut Gericht für ihn nur den Schluss zulassen, dass der Arzt sich den Impfstoff „rechtswidrig beschaffen oder aus dunklen Kanälen beziehen“ würde. „Auf geführte juristische Debatten über die Verteilung des Impfstoffes und den diesbezüglichen Kenntnisstand des Beschuldigten als Rechtsanwalt kommt es nicht einmal an. Hätte zum damaligen Zeitpunkt die Möglichkeit bestanden, Impfstoff frei in anderen Ländern oder von Zwischenhändlern zu kaufen, wären derartige Geschäfte mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit und für jeden Bürger erkennbar durch Unternehmen zum Zwecke der Gewinnerzielung durchgeführt worden und hätten die öffentliche Diskussion beherrscht, was aber – für den Beschwerdeführer erkennbar – zu keinem Zeitpunkt der Fall war. Für Impfstoffe gegen Covid-19 gab und gibt es – ebenso wie für viele andere Gegenstände – keinen freien Markt. Erfolgen jedoch Angebote in diesem Bereich, lag ein illegaler Hintergrund mehr als nur nahe.“ Insofern war auch die Durchsuchung aus Sicht der Richter gerechtfertigt.

Vor einer Verurteilung müsste dem Apothekeninhaber nachgewiesen werden, dass er von der Verwendung gewusst hat: Laut Gerichtsunterlagen arbeitet er mit der Praxis schon länger zusammen, in der auch regulär Corona-Impfungen durchgeführt wurden. Insofern könnte er behaupten, von einer normalen Bestellung ausgegangen zu sein. Allerdings war er laut Gericht „in den Tatplan eingeweiht“.

Die Schwerpunktstaatsanwälte haben ihre Ermittlungen noch nicht abgeschlossen, könnten die Entscheidung aber als rechtliche Grundlage nutzen. Es ist übrigens nicht der einzige Fall, in dem Impfstoff gegen Barzahlung verabreicht wurde: Gut eine Woche nach dem Vorfall gab es am Münchner Airport eine zweite Impfaktion für Mitarbeiter eines anderen Hotels in Italien. Dabei soll auch der Kölner Mediziner mitgeimpft haben. Deswegen waren auch seine Praxis sowie eine Apotheke in Köln durchsucht worden.

Newsletter
Das Wichtigste des Tages direkt in Ihr Postfach. Kostenlos!

Hinweis zum Newsletter & Datenschutz

Lesen Sie auch
Mehr zum Thema
Impfen in Österreichs Apotheken
„Wir könnten jederzeit starten“
Postexpositionsprophylaxe Tollwut
Rabipur/Verorab: Impfstoffwechsel möglich
Mehr aus Ressort
Wegen zweifachen Totschlags
Vier Jahre Haft für Charité-Oberarzt
Beschuldigte in U-Haft
Messerangriff auf PTA

APOTHEKE ADHOC Debatte