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Berlin -

Heute ist der erste Tag danach. Der Tag nach der mitunter konfusen Vorbereitung, an deren Ende sich doch ziemlich alles klärte. Der Tag nach dem Tag, als die „Pille danach“ noch verschreibungspflichtig war. Die Apotheken müssen jetzt selbst entscheiden, wann, wem und warum sie Notfallkontrazeptiva jeweils empfehlen (und abgeben). Aber mit der Empfehlung des Apothekers und ihrer Siegel war es in dieser Woche auch etwas schwierig.

Patienten mögen das: Wenn ihnen ihr Arzt oder ihr Apotheker etwas empfiehlt, fühlen sie sich sicher. Das Vertrauen ist aufgebaut, gelernt und gerechtfertigt. Das wissen aber auch die Pharmawerber und spielen gern mit der geschätzten Meinung der Heilberufler. Und manchmal spielen die Apotheker sogar mit: Der Bundesverband Deutscher Apotheker (BVDA) kürt jedes Jahr das „Medikament des Jahres“. Wäre auch irgendwie ganz nett, wenn es eines gäbe.

Es gibt aber nicht eins, es gibt 93. Sonst wären schließlich auch die Werbemöglichkeiten der Branche reichlich limitiert, mit unabsehbaren Folgen für alle Beteiligten. Das war es aber nicht, was das Oberlandesgericht Frankfurt (OLG) an dem verliehenen Siegel stört. Die Richter finden es problematisch, wenn Apotheker konkrete Produkte anpreisen. Das Heilmittelwerbegesetz (HWG) weiß nämlich um die Reputation der Heilberufler und hat die OTC-Werbebranche für diese Berufsgruppen versiegelt. Gut so.

Doch zurück zur „Pille danach“: Der Titel „OTC-Switch des Jahres“ ist dem Produkt jetzt schon sicher, auch wenn zum Glück jährlich nur 400.000 Packungen über den HV-Tisch wandern müssen. Der Gesetzgeber hat es mit einigen Kniffen geschafft, dass beide Wirkstoffe – Levonorgestrel und Ulipristal – gleichzeitig von der Rezept- in die Apothekenpflicht umziehen. Dass die Packungen das nicht immer so abbilden, ist laut Bundesgesundheitsministerium (BMG) nicht problematisch, und überhaupt: Wo kein Kläger, da kein Richter. Zu Retaxationen kommen wir später noch.

Leicht zu unterscheiden sind die Packungen beim Wechsel jedenfalls, denn der Hersteller von EllaOne hat sich ein neues Design ausgedacht. Ob das bei gleichzeitig eingeführtem Werbeverbot nützlich ist, sei mal dahingestellt. In Sachen Abgabe sind eigentlich alle Fragen geklärt. Und fachlich haben die Apotheker die Beratung sowieso drauf, die Kammern frischen bei Bedarf das Wissen über Ovulationsphasen und die Aktivierung der Progestron-Rezeptoren am Hypothalamus auf.

Beratung übernimmt auch der Bayerische Apothekerverband – und zwar von Angestellten, die sich selbstständig machen möchten. Die Apotheker und Verbandsmitglieder sind sich nicht ganz eins, ob das Sache der Verbände ist: Fachkräftemangel vs. Nachfolgersuche – jeder hat seine eigene Sicht auf das Thema. Die Aufregung bleibt aber mit den Kosten der Veranstaltung im Rahmen.

Wie groß die Aufregung um Efeu-Präparate wird, hängt von den Folgeinstanzen ab. Das Verwaltungsgericht Köln (VG) hat jedenfalls – mitten in der allerbesten Erkältungssaison seit Jahren – zu Prospan-Brausetabletten entschieden, dass der Hersteller bei den bisherigen Indikationen zu dick aufgetragen hat. Aus dem erstinstanzlichen Urteil kann alles werden: Seifenblase oder Lawine. Fest steht jedenfalls schon: Bei den Lutschpastillen sind die aus Hamsterversuchen hergeleiteten Angaben zur Häufigkeit allergischer Reaktionen nicht haltbar.

Der „Einkaufskonditionenaufreger des Jahres“ ist ohne Zweifel Skonto: Die Wettbewerbszentrale hat AEP ins Visier genommen und beim Landgericht Aschaffenburg Klage eingereicht. Irgendwie glaubt aber niemand so recht daran, dass eine vorfällige Zahlung nicht auch entschädigt werden darf. Selbst die Kläger sehen das Ganze als offen an. Für die Apotheken wäre es immerhin nützlich, wenn das Thema damit endlich mal vom Tisch wäre. Sollte der BGH in vier bis fünf Jahren doch anders entscheiden – nein, darüber will man lieber nicht nachdenken.

Beim BGH muss man zuletzt allerdings mit Überraschungen rechnen: Die Rezeptzuweisung aus der Klinik soll plötzlich legal sein – weshalb sich der Gesetzgeber zu einer Klarstellung genötigt fühlt –, die Arzneimittelpreisbindung ist relativ und Wartezimmer-TV ist vielleicht nicht in Ordnung, der Wartezimmer-TV-Anbieter aber in jedem Fall fein raus. Aber Skonto als unzulässiger und womöglich mit drei Jahren Knast sanktionierter illegaler Rabatt?

Unzulässige Rx-Rabatte in Apotheken wurden auch schon rauf und runter verhandelt. Keine Vergünstigung bei der Abgabe verschreibungspflichtiger Arzneimittel, auch keine versteckten. Ein Apotheker aus Ulm gibt seinen Kunden 5 Cent Rabatt, wenn sie auf die umweltschädliche Plastiktüte verzichten. Typisch grünes Ländle und eine schöne Idee. Wenn aber im mitgebrachten Jutesack Rx-Arzneimittel nach Hause getragen werden, könnte man einen Verstoß gegen die Arzneimittelpreisbindung vermuten. Wir würden jetzt nicht so weit gehen und 100.000 Euro dagegen wetten, aber wenn diese Sache vor Gericht geht, fressen wir einen Besen.

Wörwag sorgt vor, wenn auch eher aus wirtschaftlichen, denn aus juristischen Erwägungen: Der Generikahersteller streicht den Großhändlern das Skonti zusammen. Noweda will das nicht hinnehmen, droht wiederum den Apothekern mit Skontokürzung und liefert die Blaupause für einen Protestbrief an den Hersteller. Der schlägt zurück und empfiehlt Apothekern, den Großhandel zu wechseln.

Gemeinsam gehen GSK und Novartis in die OTC-Zukunft. Das will auch gemanaged sein: Emma Walmsley (GSK) bekommt den Chefsessel, Novartis setzt auf erfahrene Köpfe, die in ihrer Karriere einen Schritt zurückgehen. Die junge Garde ist das Opfer.

Die Geisterstunde-Retax war wieder ein Fall aus dem Kuriositätenkabinett der Rezeptprüfer: Weil der Patient nach seiner Notfallversorgung in der Klinik noch eine Viertelstunde Wegstrecke zur Apotheke hatte, stand ihm aus Sicht seiner Kasse die Erstattung der Notdienstgebühr nicht mehr zu. Denn dort war er um kurz vor, hier aber erst um kurz nach zwölf: Datumswechsel, keine unverzügliche Einlösung, Retax.

Der zuständige Kassenmitarbeiter zählt bestimmt zu den Sympathieträgern, die auf einer Party nach Mitternacht ihre Gesprächspartner korrigieren, wenn diese „morgen“ sagen, aber eigentlich „heute“ meinen. In diesem Fall sollte die Spitzfindigkeit 2,50 Euro kosten, natürlich den Apotheker. Letztlich gab die Kasse nach, entstandene Bürokratiekosten: unbekannt.

Dass Apotheker ob solcher Retaxationen und Korrespondenzen am Rad drehen, kann ihnen keiner verdenken. Sie sollten sich aber nicht dazu hinreißen lassen, ebenfalls zu absurden Maßnahmen zu greifen und den Druck – auch finanziell – nach unten weiterzugeben.

Tatsächlich gibt es in Apotheken vereinzelt noch Strafkassen für Fehler der Mitarbeiter. Das ist nicht nur arbeitsrechtlich bedenklich, sondern vor allem ein ziemlich paternalistisches Rollenverständnis in einem Team. Also Freunde: Stöckchen weglegen, durchschnaufen, raus gehen – das „Wochenende des Jahres“ ruft.

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