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Ein paar Kilo zuviel

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Berlin -

Bei seinem Friseur schaut ein Apotheker nachdenklich in den Spiegel. Der Ärger über Politik und Krankenkassen im vergangenen Jahr hat deutliche Spuren hinterlassen – die Geheimratsecken sind tiefer, das verbliebene Haar grauer geworden. Der Barbier tröstet mit professioneller Geschwätzigkeit. Als es um die guten Vorsätze fürs neue Jahr geht, gesteht der Apotheker seine Diätpläne. Wenig später beim Kassieren bietet der Friseur dann nicht nur das Shampoo gegen Haarausfall an, sondern zusätzlich eine Dose Almased für 13,99 Euro. Die Haare des Apothekers werden schlagartig noch etwas grauer.

Er und seine Kollegen haben sich daran gewöhnt, dass die Drogeriemarktketten das Diätpulver dauerhaft im Regal haben. Branchenprimus dm brüstet sich schon mit einem langjährigen Tiefpreis, bei Rossmann vermutet man sogar den Großteil des Umsatzes in den Drogerien. Dabei will der Hersteller es eigentlich nur an Apotheken verkaufen, nach eigener Aussage.

Doch jetzt scheinen alle Dämme gebrochen: Lebensmitteldiscounter wie Netto bieten das Diätpulver an, bei Kaufland gibt es Almased zum Schleuderpreis. Der Pulvermacher beteuert weiter seine Unschuld. Doch selbst wenn sich die angesprochenen Kanäle nur jeweils eine Dose in jeden Markt stellen: Das sind Warenmassen, die nicht mehr von einem Apotheker um die Ecke bedient werden können, der sich auf dem Graumarkt ein paar Euro dazuverdienen will.

Und so konnte Almased sehr leicht beweisen, welcher Handelspartner mehr als ein paar Pfund Dosen verloren hatte. Und das lag eigentlich auf der Hand: Es ist ein Großhändler, der die Abnehmer im Mass Market mit massenhaft Abnehmware belieferte. Angeblich wurde dieser Vertriebspartner von Almased jetzt auf Diät gesetzt. Wird es das Problem lösen? Wohl kaum. In der Hauptsaison der Schlankheitsmittel werden die Schwergewichte der Branche sich neue Wege suchen. Die Wirtschaftswissenschaft spricht vom Jojo-Effekt der Warenflüsse. Überallmased wird bald an Tankstellen und Frittenbuden erhältlich sein.

Nur nicht bei Aldi. Der Lebensmitteldiscounter wahrt seine gesunde Distanz zum Apothekenmarkt. Basismüsli ist schon an der oberen Grenze der Gesundheitsprodukte. Trotzdem hat Aldi Süd den Apothekern einen kurzen Schrecken eingejagt, als auf einmal von Rezeptautomaten in einem Testmarkt die Rede war. Hat sich geklärt, es geht um Kochrezepte („100 Saucen und Salatdressings aus Almased“).

Hat sich nicht so schnell, aber immerhin geklärt: Die PTA-Schule in Kassel ist gerettet. Das Nachwuchsproblem bleibt dennoch virulent. Die Schulgelder sind extrem hoch. Würden die Apothekerkammern und -verbände nicht vielerorts aushelfen, es sähe noch finsterer aus. Dann ist es doppelt bitter, wenn die gute PTA direkt vom HV-Tisch abgeworben wird. Und zwar nicht vom Kollegen nebenan – was immer schlimm genug ist –, sondern von der Industrie, die sich bei der Ausbildungsförderung meist vornehm zurückhält.

An der aktuellen Aktion von TAD scheiden sich die Geister: Ist das übergriffig oder ein normaler Wettbewerb um Köpfe? Fest steht, dass die PTA wechseln musste – die Konditionen sind nicht zu vergleichen. Wie soll die Durchschnittsapotheke da auch mithalten, wo sie schon keinen Pachtzins für die Apothekenerben mehr abwirft und für ihr Münzgeld bezahlen muss? Die Miniapotheke ist zwar eine Ausnahmelösung für die Fläche, aber eben nicht flächendeckend.

Wer als Apotheker seiner besten PTA übrigens in die Industrie folgen möchte, kann rententechnisch durchatmen: Laut dem Sozialgericht Aachen (SG) bleibt die Arbeit beim Hersteller apothekentypisch. Das wäre ja auch noch schöner. Spannend ist, dass die Richter die neue Bundes-Apothekerordnung (BApO) schon als Maßstab angelegt haben, obwohl diese noch gar nicht beschlossen ist. Noch spannender ist, dass ein Apotheker einen Prozess vor einen Sozialgericht gewonnen hat.

Apotheker Johannes Wilmers hat mal einen anderen Weg ausprobiert, weil Retax-Klagen letztinstanzlich beim Bundessozialgericht doch nicht so gut aufgehoben sind. Er hat seine Patienten über das Thema Formretaxationen aufgeklärt, wie viele seiner Kollege auch. Aber Wilmers machte mehr: Er verbündete sich mit ein paar Kunden und schickte sie mit dem Erstattungszettelchen über ihr Wunscharzneimittel in die Geschäftsstelle der DAK. Die beschwerte sich schnell über den bürokratischen Mehraufwand. Ein bisschen ist Wilmers jetzt ein Held unter seinen Kollegen.

Debatten mit den Kunden befürchteten einige Apotheker wegen eines eigentlichen unschuldigen Kleinkundenheftchens: In der Medizini-Ausgabe war ein Figur-Test für die größtenteils grundschulpflichtige Leserschaft. Das kam nicht überall gut an: Almased in der Schulküche, schön und gut, aber in dem Alter schon so viel Aufmerksamkeit auf die Problemzonen?

Hier wurde das Heft gar nicht abgegeben, dort der Selbsttest herausgerissen. Der Protest einzelner Apotheker schlug medial derart hohe Wellen, dass der Wort & Bild Verlag sich zu einer Stellungnahme genötigt sah. Für diese Fälle wurde die Formulierung „vielleicht zu mutig“ erfunden.

Vielleicht etwas zu mutig ist der Pharmakonzern AstraZeneca bei der „Umgestaltung“ seines Außendienstes gewesen. Die Guten auslagern und dann den Bereich mit den weniger Guten einfach schließen – das geht jedenfalls nicht so einfach, entschied das Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein und stellte sich auf die Seite des Betriebsrates.

Ein Verfahren gegen eine Blister-Apothekerin wurde gegen eine Auflage von 1000 Euro eingestellt. Damit wurde vor dem Amtsgericht Wolfratshausen nicht geklärt, ob sie Clonazepam und Clozapin verwechselt hat. „Ich habe kein falsches Arzneimittel abgegeben“, betont die Apothekerin aus Bad Tölz. Ein Kollege von ihr darf trotz mehrerer BtM-Verstöße seine Approbation behalten. Das Verwaltungsgericht Bayreuth begründete jetzt sein Urteil aus dem vergangenen Jahr.

Und es gab noch mehr Urteile aus dem Pharmabereich: Bei Finalgon ist stark noch zu schwach und bei Baldriparan war der Pfizer-Spot besonders frech. Und Almased darf sich nicht mehr von einem Arzt empfehlen lassen, sollte das Urteil des Landgerichts Lüneburg Bestand haben. Der Hersteller will jedenfalls in Berufung gehen. Ansonsten muss eben der Friseur als Testimonial einspringen. Schönes Wochenende!

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