Kommentar

Apotheken-Luxussteuer-exklusiv

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Berlin -

Dass Arzneimittel steuerlich anders behandelt werden als Lebensmittel, Schnittblumen oder der Eintritt im Schwimmbad, hat laut Bundesfinanzministerium (BMF) ordnungspolitische Gründe. Jetzt hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) entschieden, dass es weniger auf die Klassifizierung an sich, als vielmehr auf die Eignung ankommt. Wirksame Produkte sind demnach ein Luxus, den sich der Fiskus etwas kosten lassen kann.

Deutschland gehört zu den wenigen Ländern in Europa, in denen Arzneimittel mit dem vollen Mehrwertsteuersatz belegt werden. Nur Dänemark und Bulgarien folgen derselben Logik, in Schweden, Litauen, Großbritannien, Kroatien und Rumänien gibt es Erleichterungen zumindest für Rx-Medikamente. Noch vor einigen Jahren hatte die ABDA für eine Senkung gekämpft, zuletzt ist die Forderung kaum noch zu hören gewesen.

Dafür bringt der EuGH mit seinem Urteil eine ganz neue Sichtweise in die Debatte: Nicht die rechtliche Einstufung des Produkts sei gemäß EU-Richtlinie für die Einordnung durch den Zoll entscheidend, sondern die tatsächliche Produkteigenschaft. Ähnlich hatte vor einem Jahr schon der Bundesfinanzhof (BFH) entschieden.

Diese Auslegung ist nicht von der Hand zu weisen, steht es Herstellern doch oftmals frei, sich zwischen der Zulassung als Arzneimittel oder der Vermarktung als Nahrungsergänzungsmittel zu entscheiden. Gleichzeitig legt das Urteil den grundsätzlichen Fehler im deutschen Mehrwertsteuersystem offen: Dass Vitamine und Mineralien nach ihrem Gehalt besteuert werden, kommt einer fiskalischen Bestrafung für Präparate aus der Apotheke gleich. Wirksame Produkte sind ein Vergnügen, das es nicht ohne Luxussteuer gibt.

Dass Arzneimittel auch hierzulande zumindest teilweise von der Umsatzsteuer befreit werden, ist unwahrscheinlich. Das BMF müsste sich nach eigenen Angaben mit rund 3,7 Milliarden Euro weniger im Jahr zufrieden geben. „Dies stünde den Zielen der niedrigeren Lohnnebenkosten und der Sanierung der öffentlichen Haushalte entgegen.“

Dabei gibt es viele Gruppen von Produkten und Dienstleistungen, die aus unterschiedlichen Gründen nur mit dem reduzierten Satz von 7 statt 19 Prozent belegt werden. Bei Lebensmitteln führt das BMF „sozialpolitische Aspekte“ zur Begründung an. Bei Büchern, Zeitschriften und Grafiken werden „kultur- und bildungspolitische Erwägungen“ genannt, genauso wie bei Theater- und Zirkusvorführungen. Der Eintritt ins Schwimmbad wird laut BMF aus „gesundheitspolitischen Zielsetzungen“ vom vollen Satz verschont.

„Finanzielle Belastung der Sozialversicherungsträger und der Patienten begrenzen“, lautet die Begründung im Fall von Krankenfahrstühlen und orthopädischen Hilfsmitteln wie Rollstühlen, künstlichen Gelenken, Krücken, Bandagen, Prothesen und Herzschrittmachern. Auch bei Zahntechnikern und -ärzten soll der reduzierte Satz der „Kostendämpfung im Gesundheitswesen“ dienen. Ärztliche Leistungen sind komplett von der Mehrwertsteuer befreit. Warum diese Logik bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln nicht greifen soll, bleibt das fiskalische Geheimnis der obersten Finanzbeamten.

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