Abgrenzung zu Nahrungsergänzungsmitteln

Ginkgo hat Risiken und bleibt Arzneimittel

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Berlin -

Kein Risiko, kein Arzneimittel – mit dieser Sichtweise hat das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) vor knapp zwei Jahren die Fachöffentlichkeit aufhorchen lassen. In dem Verfahren ging es um Ginkgo, das der österreichische Hersteller Gall Pharma gerne als Nahrungsergänzungsmittel vertreiben will. Doch das Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht (OVG) kam jetzt zu dem Schluss, dass die Einstufung nicht zu rechtfertigen ist.

Gall Pharma will Ginkgo als Nahrungsergänzungsmittel vertreiben. Weil die Dosierung mit 100 mg nur knapp unter der klassischen Wirkstärke von 120 mg liegt, verweigerte das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) die Zustimmung. Gerichtlich wollte der österreichische Hersteller das BVL verpflichten lassen, die Einführung und den Vertrieb von Produkten mit einer Dosierung von 100 mg Trockenextrakt pro Tag per Allgemeinverfügung zu erlauben.

Widerspruch und Klage blieben erfolglos, nach dem Verwaltungsgericht Braunschweig (VG) ging auch das OVG in Lüneburg von einer pharmakologischen Wirkung aus. Doch das BVerwG argumentierte, dass im Grenzbereich zwischen Nahrungsergänzungs- und Arzneimitteln dem Merkmal der Verwendungsrisiken besonderes Gewicht zukommt: „Eine Einstufung als Arzneimittel ist insoweit nur gerechtfertigt, wenn dies zum Schutz der menschlichen Gesundheit erforderlich ist.“

Dies sollte das OVG prüfen, die Sache wurde nach Lüneburg zur erneuten Entscheidung zurückverwiesen. Jetzt wiesen die Richter die Berufung zurück, die Urteilsgründe sollen in circa zwei Wochen vorliegen. Revision zum BVerwG wurde nicht zugelassen, dagegen kann Gall Pharma innerhalb eines Monats Beschwerde einlegen.

Nach geltendem Recht sind Produkte als Arzneimittel einzustufen, wenn sie

  • Stoffe enthalten, die eine pharmakologische Wirkung haben,
  • bei bestimmungsgemäßer Anwendung auch tatsächlich die physiologischen Funktionen in nennenswerter Weise beeinflussen und
  • diese Wirkung über das Maß hinausgeht, die ein „in angemessener Menge verzehrtes Lebensmittel“ haben kann.

Dabei muss die therapeutische Wirksamkeit nicht bis ins Letzte nachgewiesen sein; der Stoff muss aber im Grundsatz geeignet sein, der Gesundheit zuträglich zu sein. Anderenfalls handelt es sich nicht um ein Arzneimittel – es sei denn, die Aufmachung suggeriert eine gesundheitliche Wirkung (Präsentationsarzneimittel).

Für Fälle, in denen die Wirkung im Grenzbereich zwischen Nahrungsergänzungs- und Arzneimittel liegt, hatte das BVerwG nun eine neue Grenze gezogen. Auch die Annahme einer nennenswerten Wirkung auf die physiologischen Funktionen führt demnach nicht zwangsläufig dazu, dass ein Produkt als Arzneimittel eingestuft werden kann. Die Richter argumentierten, dass ohne Risiken der sachliche Rechtfertigungsgrund dafür fehle, „einem Erzeugnis, das geeignet ist, positive Wirkungen auf die menschliche Gesundheit zu entfalten, nur wegen des – möglicherweise dauerhaft – fehlenden Nachweises einer therapeutischen Wirksamkeit die Verkehrsfähigkeit auf dem deutschen Markt zu nehmen“. Im Urteil hieß es: „Eine derartige Anwendung des Arzneimittelbegriffs würde zu Einschränkungen und Behinderungen des freien Warenverkehrs führen, die offenkundig außer Verhältnis zum angestrebten Ziel des Gesundheitsschutzes stehen.“

Ist – wie im vorliegenden Fall – ein Produkt im Ausland bereits als Lebensmittel auf dem Markt, ist es im Grundsatz auch in allen anderen Mitgliedstaaten verkehrsfähig. Theoretisch können die nationalen Aufsichtsbehörden zwar zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen; das BVL darf die erforderliche Allgemeinverfügung nach § 54 Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch (LFGB) aber nur verweigern, wenn „zwingenden Gründe des Gesundheitsschutzes“ dies rechtfertigen. Die Beweislast liegt dabei bei der Behörde.

Die wenigen, nur schlaglichtartig benannten möglichen Nebenwirkungen ließen keinen Rückschluss auf eine Gesundheitsgefährdung zu, so das BVerwG in seiner Entscheidung. Eine Stellungnahme des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) sei bislang nicht eingeholt worden.

Insbesondere aber seien die zitierten Fundstellen nicht auf eine bestimmte Dosierung bezogen. „Soweit die Studien auf zugelassene Arzneimittel und damit eine GbE-Dosierung von mindestens 120 mg/Tag bezogen sind, fehlt eine Ableitung was sich hieraus für eine niedrigere GbE-Dosierung ergeben könnte. Die Tatsachenfeststellungen reichen daher nicht aus, um die möglichen Risiken für die menschliche Gesundheit aus einer bestimmungsgemäßen Verwendung der Erzeugnisse beurteilen zu können.“

Das BVL hatte in der Verhandlung keine konkreten Angaben dazu machen können, mit welchen Risiken bei dem Produkt von Gall Pharma zu rechnen ist. Für zugelassene Arzneimittel, also für Produkte mit einer Dosis von mindestens 120 mg/Tag, seien keine gravierenden Nebenwirkungen bekannt, hieß es. Blutungsrisiken würden kontrovers diskutiert; entsprechende Verdachtsfälle seien in der Datenbank der europäischen Arzneimittelagentur verzeichnet. Dem werde durch die Angaben in den Gebrauchs- und Fachinformationen Rechnung getragen.

Laut BVerwG ist auch denkbar, dass etwaigen Bedenken auch auf lebensmittelrechtlicher Grundlage, etwa durch die Beifügung von Warnhinweisen ausreichend Rechnung getragen werden könnte.

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