KBV fordert Neustart für Gematik

E-Rezept: Ärzte wollen eigenen Vorschlag machen

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Berlin -

Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) will bei der nächsten Gesellschafterversammlung der Gematik einen eigenen Vorschlag für einen vernünftigen Rollout einbringen. Der Vorstandsvorsitzende Dr. Andreas Gassen appellierte an Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD), bei den Digitalisierungsvorhaben der Gematik strategisch umzusteuern. Bei der Vertreterversammlung in Bremen wurden auch Rücktrittsforderungen gegenüber Gematik-Chef Dr. Markus Leyck Dieken laut.

„Lieber Herr Minister Lauterbach, wenn Sie Ihre Aussage ernst meinen, dass es bei der Digitalisierung erstens um Versorgungsverbesserungen gehen muss, zweitens, dass Funktionalität wichtiger ist als ein Stichtag und drittens, dass Betroffene zu Beteiligten gemacht werden sollen, dann bedarf es einer kompletten Neuausrichtung dieses Prozesses – und eines Machtwortes des Bundesgesundheitsministeriums in Richtung Gematik“, sagte Gassen. „Es darf hier nicht länger der Schwanz mit dem Hund wedeln!“ Die KBV sei bereit und willens, einen echten Prozess einer strategischen Neuausrichtung der Gematik zu unterstützen.

Gassen kritisierte Gematik-Chef Leyck Dieken – unter anderem für das kürzlich bekannt gewordene Vorhaben, den Rollout des E-Rezepts am 1. September flächendeckend in den KV-Regionen Bayern und Schleswig-Holstein zu beginnen, ohne vorab mit den Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) gesprochen zu haben. „Und das Ganze in einer Phase, in der viele Praxen schon das Ärgernis eines Konnektoraustauschs bewältigen müssen – eine weitere völlige Fehlplanung, die die Gematik zu verantworten hat!“

E-Rezept erst weiter testen

KBV-Vorstandsmitglied Dr. Thomas Kriedel kündigte an, bei der anstehenden Gesellschafterversammlung einen eigenen Vorschlag zum weiteren Vorgehen zu machen. Das stufenweise Testkonzept für alle TI-Anwendungen und -komponenten soll einen konkreten Fahrplan und Testregionen umfassen. „Wir werden KVen für die Pilotregionen vermitteln.“ Das E-Rezept dürfe erst dann bundesweit eingeführt werden, wenn es dort nachweislich funktioniere. „Also: keine parallele Einführung des eRezeptes, solange die Tests in den Pilotregionen noch laufen“, forderte Kriedel.

Zu laufenden Testphase sagte Kriedel: „Die Hälfte der bisher eingelösten E-Rezepte stammen Meldungen zufolge aus zwei Praxen! Auf die positiven Rückmeldungen dieser zwei Praxen stützt die Gematik ihre positive Bilanz vom E-Rezept-Test und behauptet gegenüber dem Bundesgesundheitsministerium, dass es im Spätsommer mit dem Roll-out losgehen kann.“ Das sei grob fahrlässig. Die technischen Voraussetzungen seien in der Fläche noch gar nicht gegeben, so Kriedel.

Praxen suchen E-Rezept-Apotheken

In den Praxen gebe es zahlreiche Probleme, einen technischen Ansprechpartner gebe es aber weder bei der Gematik noch bei den IT-Dienstleistern. Insgesamt hätten 250 Praxen bereits E-Rezepte ausgestellt, das seien 0,019 Prozent aller Praxen. „So wird Politik gemacht! Das kann so nicht weiter gehen“, so Kriedel. Dabei sei keine andere Berufsgruppe so weit wie die Ärzt:innen, nicht die Pflege, nicht die Kliniken, nicht die Apotheken. „Mitunter haben die Praxen Probleme, überhaupt eine Apotheke zu finden, die E-Rezepte annimmt.“ Man könne nicht alles schön reden, nur um der Politik zu gefallen – so wie es die Gematik tue, so Kriedel. Daher habe man sich bei der letzten Gesellschafterversammlung auch erfolgreich gegen den geplanten Roll-out eingesetzt. Kriedel kritisierte, dass Lauterbach bislang keine personellen Konsequenzen gezogen habe.

Zwei Resolutionen beschloss die Vertreterversammlung. So wird etwa ein „Herstellergipfel“ der Softwarehäuser im Bundesgesundheitsministerium gefordert. Dabei sollen sich die Anbieter, gegebenenfalls gegen geeignete finanzielle Anreize, zu einer „reibungslose Implementierung der Anwendungen verpflichten“. Außerdem werden eine zentrale Gematik-Hotline für TI-Probleme sowie kompetente IT-Dienstleister vor Ort gefordert. Der Bund soll die Einführung komplett finanzieren und den Ärzt:innen wichtige Garantien geben.

Kostenerstattung für Praxen

Auch zu den Konnektoren fand Kriedel deutliche Worte: Diese müssten ab dem Herbst nach und nach ausgewechselt werden, weil die von der Gematik versprochene TI 2.0 mit Software-Anbindung noch längst nicht in Sicht sei – und das „entgegen der Beteuerungen der Gematik und obwohl allen Zuständigen stets bekannt war, dass die Sicherheitszertifikate der Konnektoren nach fünf Jahren ablaufen und sich die Konnektoren damit abschalten“. Leidtragende seien, wie so oft, die Praxen, die auf den Kosten sitzenbleiben würden. „Die Erstattung müsste eine Selbstverständlichkeit sein. Leider sehen die Kassen das anders; die Verhandlungen sind gescheitert. Deshalb haben wir in der vergangenen Woche das Schiedsamt angerufen“, sagte Kriedel und führte weiter aus: „Die Praxen haben nun schon jahrelang draufgezahlt: durchschnittlich 9000 Euro, die ihnen nicht erstattet werden. Und nun sollen die Praxen und die gesetzlich Krankenversicherten mit ihren Mitgliedsbeiträgen auch noch für Fehler der Gematik und der Industrie haften.“

Doch nicht nur finanziell sei die TI eine Katastrophe: „Seit mindestens vier Jahren ‚machen‘ die Praxen ‚TI‘. Und zwar trotz Technik-Ausfällen, TI-Störungen und der Disruption der Praxisabläufe. Fast 4000 Stunden liefen die TI oder einzelne TI-Komponenten und Dienste nicht, innerhalb von etwas mehr als einem Jahr.“ Dies mache den letzten Rest des Vertrauens der Vertragsärztinnen und -ärzte in die TI kaputt.

„Was wir brauchen, ist ein Paradigmenwechsel“, so Kriedel. Die Digitalisierung des deutschen Gesundheitswesens müsse sich künftig klar und deutlich auf die Versorgung fokussieren – unter umfassender Einbindung der Betroffenen. Das schließe auch eine Neuausrichtung der Gematik sowie die staatliche Bereitstellung und Finanzierung der TI-Infrastruktur mit ein. Die Praxen dürften mit Datenschutz-, Finanzierungs- und Technikproblemen nicht alleine gelassen werden.

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