„Arztpraxen sind keine Beta-Tester“

Pleiten, Pech und Pannen: FÄ fordert E-Rezept-Stopp

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Berlin -

Die Freie Ärzteschaft (FÄ) war noch nie gut auf E-Rezept, elektronische Patientenakte (ePa) & Co. zu sprechen. Doch dass jetzt alles ganz schnell gehen soll, sorgt für neuen Protest: Arztpraxen seien nicht die Beta-Tester für ein gescheitertes Digitalisierungsprojekt, so der Verein im Vorfeld des Deutschen Ärztetags (DÄT) in Bremen.

Beim DÄT werde sich Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) einer frustrierten Ärzteschaft gegenübersehen. „Denn nach zwei Jahren Stress und Belastung durch die Coronapandemie soll die Einführung der umstrittenen Telematikinfrastruktur (TI) nun in die heiße Phase gehen“, so die FÄ in ihrer Protestnote. Nach dem Willen von Minister und Gematik sollen mehrere Anwendungen nach langen Verschiebungen ins Rollen kommen: die elektronische Patientenakte (ePA), das elektronische Rezept (eRezept) und die elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (eAU). Hinzu komme der Austausch der Konnektoren in den Arztpraxen und die Anwendung der KIM-Dienste.

Dabei jage eine Panne die nächste, so die FÄ mit Verweis auf eine Umfrage der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV). Die Infrastruktur falle ständig aus, die KIM-Anbindungen liefen nicht, Kartenlesegeräte stürzten ab und legten die Praxen lahm. Der IT-Support sei mangelhaft, einzelne Dienstleister rieten ihren Kunden gar, das Ganze wieder abzustöpseln.

„Das ist eine einzige Serie aus Pleiten, Pech und Pannen“, sagt Dr. Silke Lüder, niedergelassene Allgemeinärztin aus
Hamburg und Vizevorsitzende der FÄ. Jede neu eingeführte Anwendung führe zu Doppelarbeit, Verlust an Zuwendungszeit für die Patienten und erhöhtem Papierverbrauch in den Praxen. „Das wiederum ist die Folge davon, dass die Gematik nicht in der Lage war, die Massenanwendungen zunächst in bundesweiten Feldtests zu prüfen, bevor sie den Praxen übergestülpt werden.“ Diese Probleme seien Lauterbach bekannt; auch er habe kürzlich selbst erklärt, dass weder E-Rezept noch e-AU bisher irgendeine Verbesserung für die Arztpraxen brächten. „Doch selbst diese Erkenntnis hält das Drama nicht auf. Die Gematik und die interessierten Lobbyisten pushen das Projekt einfach weiter.“

Parallel müssten alle Konnektoren in Praxen und Kliniken ausgetauscht werden – „von Extrakosten und Arbeitszeitverlusten ganz zu schweigen“, so Wieland Dietrich, Dermatologe aus Essen und FÄ-Vorsitzender. Allein der Austausch von 63.000 Konnektoren der größten Softwarefirma CompuGroup Medical (CGM) solle 147 Millionen Euro kosten. „Wer ist eigentlich dafür verantwortlich?“

Gesundheitswesen als Cash Cow

Für Dietrich kommen die Gegebenheiten einer Veruntreuung von Versichertengeldern gleich. Er beklagt, dass das Gesundheitswesen schon lange zur Cash Cow für die Firmen mutiert. „Anstatt endlich die Reißleine zu ziehen, propagiert Lauterbach jetzt die schnelle Einführung der ePA. Für diese Anwendung interessieren sich bislang so wenige Patienten, dass es zur Rettung des Projektes der Festlegung im Koalitionsvertrag bedarf, wonach es eine verpflichtende ePA ab der Geburt geben soll. Das hat mit der lange versprochenen Freiwilligkeit der ePA für die Versicherten nichts mehr zu tun, verstößt offen gegen die informationelle Selbstbestimmung der Patienten und wird letztlich nur der Industrie als Datenpool dienen“, so Dietrich weiter.

Laut FÄ sind die Delegierten des DÄT aufgerufen, ein klares Stopp an Politik und Gematik zu senden. „Die ärztliche Schweigepflicht ist nicht verhandelbar und die Krankheitsdaten unserer Patienten sind keine Handelsware“, so Lüder. „Für die elektronische Patientenakte muss unverändert ein ,Opt-In' gelten. Zudem müssen alle Sanktionen bei Nichtanschluss an die TI wegfallen.“

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