Kommentar

Das E-Rezept ruiniert die Apotheken

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Berlin -

Das E-Rezept entwickelt sich nur wenige Monate nach der verbindlichen Einführung zum Problem Nr. 1 für die Apotheke. Die strukturellen Unzulänglichkeiten und die immer wieder auftretenden technischen Störungen torpedieren nicht nur den Versorgungsalltag. Sie sorgen auch dafür, dass Patientinnen und Patienten regelrecht aus den Apotheken und in neue Vertriebskanäle getrieben werden. Aber wo bleibt der Aufschrei?

Dass es beim E-Rezept immer wieder und teilweise auch zu stundenlangen Ausfällen kommt, mag für diejenigen, die sich auf der Seite des digitalen Fortschritts wähnen, eine Randnotiz sein. Wo Digitalisierung Vorrang hat, müssen technische Fehler in Kauf genommen werden. In welcher Branche lässt sich schon eine 100-prozentige Verfügbarkeit garantieren? Und was bitte soll an einem kurzen Ausfall so schlimm sein? Geht man später eben nochmal hin. Und für den Fall der Fälle gibt es schließlich noch Muster-16. Nicht so viel rummäkeln! Einfach mal nach vorne schauen!

Die Wirklichkeit sieht anders aus. Pro Stunde können bei einem Ausfall zwischen 150.000 und 200.000 E-Rezepte nicht eingelöst und damit eine entsprechende Anzahl an Patientinnen und Patienten nicht versorgt werden. Den Apotheken fehlt in dieser Zeit ein erheblicher Umsatz, während die Kosten weiter laufen – vom zusätzlichen Aufwand ganz abgesehen. Dass die Ausfälle sich in rückläufigen Zahlen niederschlagen, lässt sich an der Statistik der vergangenen Woche sehr gut ablesen.

Digitale Analphabeten

Gar nicht quantifizieren lässt sich aber der Imageverlust, der entsteht, wenn Apothekerinnen und Apotheker und PTA wie digitale Analphabeten vor ihren Kassenplätzen stehen. Welchen Eindruck muss es hinterlassen, wenn Arzneimittelexpertinnen und -experten immer wieder hilflos die eGK einstecken oder ihre Kunden bitten müssen, in einigen Minuten noch einmal wiederzukommen. Beides wurde zuletzt offiziell von der Gematik empfohlen – was an sich schon Bände spricht.

Der Hinweis, dass mal wieder die Technik streikt, mag noch richtig sein und auch auf Verständnis stoßen. Am Ende bleibt irgendwo doch noch der Eindruck zurück: In der Apotheke wird auch nur improvisiert. Und das bei den Preisen!

Noch viel schlimmer sind in dieser Hinsicht allerdings die Verzögerungen bei der Signatur. Mittlerweile bekommen Patientinnen und Patienten in der Praxis schon den ausdrücklichen Hinweis, ja nicht zu früh in die Apotheke zu gehen. Denn dann sei das Rezept dort womöglich noch gar nicht angekommen. Mehr Blamage geht nicht.

Analoges Tempo auf der digitalen Autobahn – klar, wer dabei am Ende als Verlierer dasteht: Aus Apotheken, die bislang immer erreichbar waren und jedes Problem lösen konnten, werden plötzlich Amtsstuben, die scheinbar mit rostiger Technik ausgestattet sind und in denen man selbst bei einfachen Erledigungen unter Umständen warten muss.

Ins offene Messer gelaufen

Das ist natürlich kreuzfalsch, aber Verlierer sind die Apotheken tatsächlich. Denn mit dem E-Rezept ließ man sie regelrecht ins offene Messer laufen: Selbst wer schon frühzeitig mit Ärzten Kontakt aufnahm und die Technik im vergangenen Jahr auf Herz und Nieren testete, konnte nicht erkennen, dass die Signatur im Komplettbetrieb zum Nadelöhr werden würde. Selbst die sogenannten E-Rezept-Enthusiasten schienen auf diesem Auge blind zu sein.

Was gerade passiert, ist folgendes: Patientinnen und Patienten werden bei der Einlösung von Rezepten – bewusst oder unbewusst – so viele Steine in den Weg gelegt, dass sie allmählich regelrecht dazu konditioniert werden, den Versandhandel zu nutzen. Selbst bei den Lieferengpässen konnten die Apothekenteams sich noch irgendwie behelfen. Wenn aber das E-Rezept nicht da ist, kann man gar nichts machen.

So fahren die Menschen auf ihre Dörfer zurück, vergessen ihre Rezepte, die sie ja nie zu Gesicht bekommen, und damit auch ihre Medikamente oder überlegen sich, wie sie sich den erneuten Weg in die Apotheken ersparen können. Was, wenn das Rezept auch diesmal nicht da ist? Oder das Medikament gerade nicht vorrätig ist. Dann lieber gleich liefern lassen.

Neues Nutzungsverhalten

Während Patientinnen und Patienten also ein neues Nutzungsverhalten aufgezwängt wird, laufen die Kampagnen der Versender auf Hochtouren. 30 Euro, 60 Euro auf Rezept, alles ist möglich. Und der Herr Jauch empfiehlt es ja auch. Wer die Sache ausprobiert hat, wird schnell merken: In Holland gibt es die technischen Probleme offenbar gar nicht. Man könnte zum Verschwörungstheortiker werden.

Trotzdem drängen nun auch noch alle möglichen neuen Anbieter auf den Markt, die am E-Rezept mitverdienen wollen. Die Verbändetochter Gedisa hat gemerkt, dass sie trotz des zweistelligen Millionenbetrags nichts Sinnvolles hinbekommt. Stattdessen soll nun die Technologie von IhreApotheken.de genutzt werden. Der Cut ist sinnvoll – mal sehen, was außer der Chatfunktion am Ende in der Basisversion übrig bleibt und für welche Leistungen die Apotheken direkt oder indirekt zusätzlich zahlen müssen. Die Konkurrenz von Gesund.de hat schonmal ein Preisetikett angehängt: Für „Card Link“, das künftige Nonplusultra, kommen zu den 199 Euro noch einmal 99 Euro obendrauf. Wie viele E-Rezepte dann wirklich den Weg in die Apotheke finden, steht in den Sternen.

Vom Deutschen Apothekerverband (DAV) hört man dazu nicht viel. Kurz nach dem Livegang wurde ein Brandbrief verschickt, man fragt sich, warum die Fehler nicht vorher erkannt und im Gesellschafterkreis angesprochen wurden. Jetzt könnte man das E-Rezept wenigstens nutzen, um mit Blick auf die geplante Apothekenreform ein wenig Druck auf die Verantwortlichen zu machen. Aber auch das passiert nicht. Der Aufschrei ist längst erstickt im Dunst der Unzulänglichkeiten.

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