Anteil innerhalb einer Woche verdoppelt

Drosten: Delta-Variante wirklich ernst nehmen

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Berlin -

Nach Einschätzung des Charité-Virologen Professor Dr. Christian Drosten muss Deutschland die Delta-Variante in der Pandemie ab sofort ernst nehmen.

„Ich bin mittlerweile so weit, dass ich sage, wir sind hier jetzt im Rennen in Deutschland mit der Delta-Variante“, sagte Drosten am Freitagabend auf dem Online-Kongress für Infektionskrankheiten und Tropenmedizin. „Wir müssen das ab jetzt wirklich ernst nehmen.“ Nach einer Analyse des Robert Koch-Instituts für die erste Juniwoche hatte sich der Anteil der Delta-Variante in Deutschland innerhalb von nur einer Woche auf sechs Prozent fast verdoppelt. In den Wochen zuvor stagnierte diese Mutante bundesweit eher um die zwei Prozent.

„Vom Gefühl her kann ich sagen, uns rufen immer mehr Leute an, die Ausbrüche beschreiben, immer mehr Labore“, sagte Drosten. Gerade in Süd-Dänemark und Schleswig-Holstein gebe es gerade ein Ausbruchsgeschehen. „Das erinnert mich an den Beginn der B.1.1.7-Epidemie in Deutschland, wo es genauso war“, sagte Drosten. Die ansteckendere Variante B.1.1.7., die 2020 in Großbritannien bekannt wurde, hatte Deutschland im Winter in die dritte Pandemiewelle getrieben. Eindämmungsmaßnahmen kamen zu spät oder waren zu inkonsequent.

Die Situation jetzt in Deutschland sei mit der in England im Mai durchaus ein wenig vergleichbar, analysierte Drosten. In Großbritannien hatte die ansteckende Delta-Variante innerhalb weniger Wochen trotz fortgeschrittener Impfquoten die Vorherrschaft übernommen. Die Inzidenzen stiegen wieder von 20 auf 70. Lockerungen wurden deshalb gestoppt. Angesteckt hätten sich dabei vor allem junge Erwachsene – zum Beispiel beim Feiern oder auch in der Gastronomie, sagte Drosten. Die Infektionen hätten sich in England vorwiegend in den Impflücken abgespielt.

„Wenn wir jetzt so rechnen würden, wie sich das in England entwickelt hat, also mit einer ungefähren Verdoppelung pro Woche, dann hätten wir dieses spekulative Szenario: Dann lägen wir in dieser Woche schon bei 20 Prozent“, sagte Drosten. Anfang Juli wäre die Delta-Variante dann auch in Deutschland im Bereich der Dominanz. „Und wir müssten damit rechnen, dass Anfang Juli in Deutschland auch die Meldezahlen wieder hochgehen“, sagte der Wissenschaftler. Das sei aber noch reine Spekulation und eine Hypothese. Deutschland habe noch Chancen, wenn es die Inzidenz in den nächsten Wochen weiter senken könne. „Was auch helfen könnte, sind die Schulferien. In England ging es in den Schulen los. Das ist ein deutlicher Unterschied.“

Der Bonner Virologe Professor Dr. Hendrik Streeck hält das schrittweise Vorgehen bei Lockerungen von Corona-Auflagen für angemessen. „Ich sehe es als richtig an, dass man in Babyschritten vorwärts geht und schaut, was verantwortbar ist und wie sich die Zahlen entwickeln“, sagte Streeck der „Fuldaer Zeitung“ (Samstag). Man sei nicht am Ende der Pandemie.

Der Virologe beklagte, die Politik sei immer noch zu reaktiv und nicht aktiv genug. „Wir versäumen es, aus der Pandemie maximal zu lernen und uns auf Herbst und Winter vorzubereiten. Es herrscht allgemein der Eindruck, das Virus verschwindet und dass wir die Pandemie überwunden haben, wenn die nächsten Monate ruhig laufen“, sagte Streeck. Man müsse sich aber für alle Eventualitäten, die im Herbst eintreten könnten, vorbereiten. Es gebe zu viele ungeklärte Unbekannte, etwa die Delta-Virusvariante, über die man noch zu wenig wisse.

Die Debatte über diese Variante gehört für Streeck in die Virologie und Epidemiologie, nicht aber in die öffentliche Diskussion. „Was wir wissen: Unsere Maßnahmen und zum Glück auch die Impfstoffe wirken genauso gut gegen die Varianten. Alle Schreckensmeldungen und Warnungen erzeugen beim Bürger nur unnötige Angst“, mahnte Streeck.

Der Virologe plädierte für einen Interdisziplinären Pandemierat, der jetzt schon Planspiele mache. „Mein Plädoyer ist, dass wir in einen vorwärtsgewandten Modus kommen, dass wir anfangen, diese Pandemie anders zu denken -– und zwar so, dass möglichst alles offenbleiben kann“, sagte Streeck. Er sprach sich zugleich dafür aus, dass bei niedrigen Inzidenzen Corona-Schnelltests nicht mehr verpflichtend sind und warb für einen Sommer-Winter-Modus bei der Maskenpflicht. Eine Maskenpflicht draußen sei im Sommer und im Winter wenig zielführend. In Innenräumen müsse man dies differenzierter sehen.

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