Rezeptsammlung in Arztpraxen

Wie sich zwei Apotheker gegenseitig das Handwerk legten

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Berlin -

Die Parteien streiten über die Verletzung apothekenrechtlicher Vorschriften. So beginnt das Landgericht Rostock seine umfangreiche Schilderung des Tatbestands. Die Parteien sind Kollegen und betreiben die beiden einzigen Apotheken in Feldberg, einem Kneipp-Kurort in der mecklenburgischen Seenplatte. Nach zwei Jahren Rechtsstreit wurde der beklagten Apothekerin verboten, in den Arztpraxen der Gemeinde Rezepte zu sammeln – und dem klagenden Apotheker ebenso.

Orhan Kızıltaş hat seinen Filialverbund eigentlich im brandenburgischen Prenzlau aufgebaut, etwa 30 Kilometer östlich von Feldberg. In der Region gehören ihm außerdem vier Sanitätshäuser. Seit 2012 betreibt er auch in Feldberg eine Delphin-Apotheke. Und dort wurde Mitte Juni 2017 eine Folientasche mit 15 bis 20 Rezepten abgegeben. Auf Nachfrage in der Arztpraxis habe es geheißen, dass die Rezepte eigentlich an eine andere Apotheke übermittelt werden sollten.

Weil es Feldberg sonst nur noch die Luzin-Apotheke von Doreen Wegner gibt, glaubte Kızıltaş an illegale Absprachen mit Ärzten. Und mit Pflegediensten ebenso, denn im Oktober desselben Jahres habe die Mitarbeiterin eines Pflegedienstes in seiner Apotheke nach der Medikation eines Kunden gefragt – das Rezept war aber nie in der Apotheke angekommen. Die Praxis habe diesmal mitgeteilt, das Rezept sei von einer Mitarbeiterin der Luzin-Apotheke abgeholt worden.

Nach erfolgloser Abmahnung traf man sich vor Gericht. Kızıltaş verlangte ein Ende der stillschweigenden oder ausdrücklichen Absprachen, außerdem Auskunft und Schadenersatz. Wegner erhob Widerklage: Der Kollege lasse doch selbst von seiner Mitarbeiterin Rezepte in der Arztpraxis abholen. Außerdem warf Wegner Kızıltaş vor, verschreibungspflichtige Arzneimittel ohne Vorlage eines Rezepts abzugeben und Patienten die gesetzliche Zuzahlung zu erlassen.

Das Gericht verurteilte beide wegen des unzulässigen Betriebes von Rezeptsammelstellen in zwei Praxen vor Ort. Der Arzt K. hatte im Prozess ausgesagt und das – aus Sicht der streitenden Apotheker harmlose – gewohnte Prozedere ausführlich beschrieben. „Es gibt aber zunehmend auch Patienten, die nicht die Möglichkeit haben, jemanden zu schicken. Die Wege sind bei uns weiter und die Möglichkeiten des öffentlichen Personennahverkehrs sind sehr eingeschränkt. So kommt es auch vor, dass wir gebeten werden, ein Rezept auszustellen und dieses an eine bestimmte Apotheke zu schicken. Es ist so, dass die Mitarbeiter der verschiedenen Apotheken zu uns kommen und Rezepte, die für diese Apotheke ausgestellt sind, durchaus auch mitnehmen.“

Der Mediziner versicherte aber, dass das mit allen Apotheken so gehandhabt werde. „Es erfolgt ohne jegliche Schädigung oder Benachteiligung von irgendjemanden.“ Es sei inzwischen auch üblich, dass die Botendienstfahrer die Arztpraxen anfahren und die für die Apotheken jeweils ausgestellten Rezepte abholen. Der Patient entscheide aber in jedem Fall, von welcher Apotheke er versorgt werden möchte. In der Praxis gab es nach seiner Aussage vier oder fünf Rezeptfächer für die Apotheken und weitere für die Sanitätshäuser. „Das wird bei uns schon immer so gehandhabt.“ Die ebenfalls als Zeugin befragte Ärztin Dr. W sagte aus, dass Patienten in Notfällen in der Praxis anriefen, Rezepte anfragten und angäben, in welcher Apotheke diese eingelöst werden sollen. „Wir haben halt das Problem des ländlichen Bereiches, dass es wenige Möglichkeiten gibt, mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu uns zu kommen“, so die Ärztin.

Das Gericht war nach beiden Aussagen überzeugt, dass dieses Prozedere nicht nur in medizinischen Notfällen betrieben werde. Die Rezepte, meist sogar für Chroniker, würden nach Anruf der Patienten von den behandelnden Ärzten ausgestellt und gemäß den Vorgaben der Patienten einer Apotheke zugeordnet. Das hätten nicht nur Ärzte bekundet, sondern auch die streitenden Apotheker im Nachgang zur Zeugenvernehmung bestätigt.

Eine illegale Zuweisung sieht das LG Rostock darin zwar nicht, aber den Betrieb von Rezeptsammelstellen. Denn darunter falle jedes organisierte Sammeln von Rezepten, um sie der Apotheke zuzuleiten. Einer ausdrücklichen Beauftragung durch den Apotheker bedürfe es nicht, die stillschweigende Duldung sei ausreichend. Unerheblich sei außerdem, dass die Arztpraxen auch bei Verschreibungen für andere Apotheken so verfahren. „Denn das Verbot ist unabhängig davon, ob das Sammeln und die Weitergabe der Verschreibungen einen einseitig begünstigenden Charakter für eine bestimmte Apotheke hat“, heißt es im Urteil. Selbst wenn man davon ausgehe, dass die beiden streitenden Apotheker hier gleichbehandelt würden, beeinträchtige die Verfahrensweise andere Apotheken.

Für den Fall, dass die Richter das so sehen würde, hatte Wegner hilfsweise beantragt, auch Kızıltaş den Betrieb von Rezeptsammelstellen zu verbieten. Der hatte zwar beteuert, in seinem Fall gehe es nur um Rezepte für eine Pflegeheimbelieferung und sei daher genehmigt, doch das Gericht gab auch der Widerklage statt. Wegner bedauert die Entscheidung: „Jetzt ist es für die Patienten schwieriger“, sagte sie gegenüber APOTHEKE ADHOC. Dabei sei es ihr nur um die Versorgung und nicht um einen Wettbewerbsvorteil gegangen.

Umtriebig war die Apothekerin dabei allerdings schon: Die ambulanten Pflegedienste wurden mit Einwilligungsformularen versorgt, damit die Patienten ohne Aufwand die Datenschutzerklärung abgeben und die Luzin-Apotheke beauftragen konnten. Kızıltaş hatte auch das moniert. Die Richter sahen darin aber kein Problem: Ein Pflegedienst habe schließlich ein erhebliches Eigeninteresse daran, nur mit einer Apotheke zusammenzuarbeiten, um den eigenen Aufwand zu reduzieren. Anders sähe es aus, wenn der Pflegedienst systematisch die Vorgaben der Patienten missachte. Eine solche Absprache sei hier aber nicht anzunehmen, selbst wenn der Pflegdienst die Formulare schon dabei habe.

Ebenfalls nicht durchgedrungen ist Kızıltaş mit seiner Forderung nach Schadenersatz. „Ein Ersatzanspruch gegen einen Mitbewerber ist regelmäßig ausgeschlossen, wenn beide Parteien im Wesentlichen gleichzeitig, in gleicher Art und Weise und in gleichem Umfang wettbewerbswidrig gehandelt haben“, heißt es im Urteil. Möglich, dass Wegner mehr Rezepte zugeordnet wurden, aber die Apotheke gebe es auch schon länger im Ort. Kızıltaş war davon ausgegangen, dass sein Vorgehen bei der Versorgung des Pflegeheims rechtmäßig gewesen sei, sonst hätte er die Kollegin auch nicht verklagt, sagte er gegenüber APOTHEKE ADHOC. Zumindest habe er jetzt Klarheit in dieser Frage – das Heim müsse die Rezepte jetzt selbst in der Praxis abholen und zu ihm bringen.

Verurteilt wurde er für die Abgabe ohne Rezept in einem Fall: Für einen Stammkunden wollte eine neue Mitarbeiterin eines ambulanten Pflegedienstes ein Herzmittel und einen Blutdrucksenker abholen, hatte aber kein Rezept und die Ärztin war zunächst nicht zu erreichen. Und die Ärztin Dr. W. weigerte sich später, die Verordnung auszustellen, denn diese war bereits an die Luzin-Apotheke gegangen. Offenbar gab es ein Missverständnis beim Pflegedienst, sodass beide Apotheken angefragt wurden. Dass Kızıltaş aber – wie von Kollegin Wegner behauptet – auch in anderen Fällen Rx-Arzneimittel ohne Rezept abgegeben habe, sah das Gericht nicht als belegt an. Auch für den Vorwurf bezüglich der nicht kassierten Zuzahlungen fehlten die Belege.

Und so endet der jahrelange Rechtstreit damit, dass sich die Apotheker die Gerichtskosten teilen müssen und keiner mehr Rezepte sammelt. Spricht man heute mit beiden über den Vorfall, klingt das Ganze weniger dramatisch. Nur die Stimmung in Feldberg ist nicht die Beste.

 

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