Kommentar

Die Pille der Wahrheit

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Berlin -

Die Frauenärzte hatten eindringlich davor gewarnt, Notfallkontrazeptiva aus der Rezeptpflicht zu entlassen: Die Apotheken könnten die Beratung zu den heiklen Produkten nicht sicherstellen. Ein halbes Jahr nach dem OTC-Switch fühlen sie sich bestätigt. Bei diesem Thema hat jeder Beteiligte seine eigene Wahrheit.

Ein sehr nahe liegender Ansatzpunkt für Kritik sind die Steigerungen beim Absatz. Seitdem Frauen die „Pille danach“ ohne ärztliche Konsultation erhalten, gehen 40 Prozent mehr Packungen über den HV-Tisch. Die einen sehen das als Beleg für den befürchteten unkritischen Umgang mit den Präparaten, die anderen als die überfällige Auflösung einer jahrelangen Unterversorgung.

Wenig überraschend, dass die Hersteller einen höheren Bedarf sehen, den sie wie folgt begründen: In Deutschland gebe es 2,4 Millionen Risikosituationen pro Jahr, dazu zählen alle Arten von Verhütungspannen sowie ungeschützter Verkehr. Davon sei man mit zuletzt 400.000 Packungen im Jahr noch sehr weit entfernt.

Die Frauenärzte haben bislang keine konkreten Zahlen präsentiert, in wie vielen Fällen eine Einnahme der „Pille danach“ nicht angezeigt gewesen wäre. Das können sie auch nicht. Sie legen noch nicht einmal Einzelfälle von unzureichender oder gänzlich ausgelassener Beratung vor – was vermutlich immerhin möglich wäre.

Und damit bleiben eher grundsätzlich Vorbehalte gegenüber der Beratungsleistung der Apotheker, gestützt auf deren vermeintlich fehlerhaften Leitfäden. Die Kritik ist daher theoretischer Natur und vielleicht mehr Ausdruck eines generellen Misstrauens in die Kompetenzen der pharmazeutischen Kollegen.

Aber dasselbe gilt für die Zeit vor dem OTC-Switch: Theoretisch hätten die Ärzte in der Notaufnahme oder die Gynäkologen in der Praxis immer eine eingehende Untersuchung durchführen müssen. Theoretisch wäre die Beratung zur „Pille danach“ abgeschlossen gewesen, wenn die Frauen in die Apotheke kommen.

Die Realität sah vielfach anders aus: Frauen erhielten das Rezept mal mehr oder weniger kommentarlos, mal nach einer allenfalls „moralischen Aufklärung“ oder in Extremfällen aus religiösen Gründen überhaupt nicht. Die Beratung zum Arzneimittel selbst erfolgte auch vor der Rezeptfreigabe vielfach erst in der Apotheke. So ist jedenfalls die Sichtweise vieler Apotheker.

Und auch heute gibt es Berichte über entsprechende Probleme: Junge Frauen werden mit Verweis auf den OTC-Switch in der Klinik weggeschickt: Obwohl es für sie nach wie vor eine Regelung zur Erstattungsfähigkeit gibt, wird das Rezept zuweilen verweigert. Hier scheint es vor allem Informations- und Kommunikationsdefizite auf Seiten der Ärzteschaft zu geben, trotz der immensen öffentlichen Aufmerksamkeit, die das Thema erfahren hat.

Der Frauenärzteverband beschwert sich auch darüber, dass die Apotheker Hinweise zur Verbesserung ihrer Leitfäden unbeachtet ließen. Weil diese Vorschläge auch noch mit den Experten aus dem Bundesgesundheitsministerium (BMG) abgestimmt waren, fühlen sich die Frauenärzte vor den Kopf gestoßen. Das ist verständlich. Und es ist unnötig, weil auch das nur eine Frage der Kommunikation ist.

Die Wahrnehmung auf Seiten der Apotheker ist eine andere: Dem OTC-Switch sei ein „aufwändiger Abstimmungsprozess vorausgegangen“, sagte ABDA-Hauptgeschäftsführer Dr. Sebastian Schmitz beim Deutschen Apothekertag (DAT). Natürlich war die „Pille danach“ auch Thema in Düsseldorf.

Schmitz feierte den OTC-Switch in seinem Lagebericht als Erfolg – in Ermangelung von Fortschritten beim Apothekenhonorar; wovon sich die Apotheker aber bitte nicht entmutigen lassen sollten. Die Apotheker seien mit ihrem qualifizierten Personal in der Lage, Frauen zu beraten und zu begleiten, sagte Schmitz. Wenn die Apotheker das in der Praxis beweisen, werden sie auch die Frauenärzte überzeugen.

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